Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sparsamkeit in Krisenzeiten: Ihr Leid ist meine Wut
> Von seinen vietnamesischen Eltern hat unser Autor gelernt, sparsam und
> dem Staat dankbar zu sein. Aber dieses System hat keinen Dank verdient,
> sagt er.
Bild: Unnötige Lichter gehörten ausgeschaltet und der Wasserhahn wurde nie vo…
Meinen Eltern war es immer wichtig, zu Hause sparsam zu sein. Nichts sollte
verschwendet werden. Unnötige Lichter gehörten ausgeschaltet und der
Wasserhahn wurde nie voll aufgedreht. Wenn es kalt wurde, warteten wir bis
zum letzten Moment mit dem Heizen. Obwohl ich nie in Armut aufgewachsen
bin, war Sparsamkeit ein wichtiger Bestandteil meiner Erziehung. Als Kind
habe ich das nicht wirklich verstanden. Erst in den letzten Jahren habe ich
nachvollziehen können, warum.
Mein Vater kam als [1][vietnamesischer Vertragsarbeiter] in die DDR, meine
Mutter kurz nach der Wende in die sogenannten neuen Bundesländer. Die
1990er Jahre waren für beide geprägt von ökonomischen Sorgen, von ihrem
unsicheren Aufenthaltsstatus [2][und rechter Gewalt]. Trotz aller
Widerstände haben sie sich für ein Leben in Deutschland entschieden.
Mit der ersten festen Arbeitsstelle folgte die erste Wohnung und später
auch der Aufenthaltstitel. Sie haben sich ihr Bleiberecht erkämpft. Ab und
zu erzählten sie mir, wie schwierig die Zeit damals doch war. Wenn ich aber
nach mehr Geschichten frage, versuchen sie so schnell wie möglich vom Thema
abzulenken. Was genau alles passierte, weiß ich bis heute nicht. Über die
Vergangenheit zu reden, halten sie für nicht notwendig – dass es
schmerzhaft ist, wollen sie sich vielleicht nicht eingestehen.
Verständlicherweise.
## Sparsam aus Unsicherheit
Die Gesellschaft wollte meine Eltern nicht, der Staat schaute tatenlos zu
und das System profitierte von ihnen. [3][Existenzangst gehörte zum Alltag]
– egal wann, egal wo. Die Sorge, zu jeder Zeit alles verlieren zu können,
hat sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. Ihre Sparsamkeit ist das
Zeugnis dieser jahrelangen Unsicherheit. Es ist deswegen nachvollziehbar,
dass sie heute stolz auf ihren sozialen Aufstieg sind. Und ich bin es auch.
Ohne meine Eltern wäre ich heute nicht hier. Sie haben sich Tag für Tag
ausgebeutet, um uns Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Für ihre
Lebensleistung bin ich meinem Vater und meiner Mutter von ganzem Herzen
dankbar – cảm ơn bố và mẹ.
Dennoch möchte ich nicht in ihre Fußstapfen treten und dankbar für
Deutschland sein. Ein Staat mit einem System, welches Profite über die
Bedürfnisse der Menschen stellt, erfährt von mir [4][nicht die geringste
Dankbarkeit]. Der Kapitalismus hat meine Eltern ausgebeutet und meinem
Vater dieses Jahr das Leben genommen. Arbeiten, bis es nicht mehr geht und
einen Arzt aufsuchen, wenn es schon zu spät ist – so war es für meinen
Vater und so ist es weiterhin für meine Mutter. Ihr Leid ist meine Wut aufs
System.
Jetzt, in Krisenzeiten, zeigt sich dieses System von der besten Seite.
Während die Lebenshaltungskosten explodieren und die Großkonzerne sich über
Krisengewinne freuen, [5][sollen wir wieder sparen] und dankbar sein für
die kleinen Zuschüsse. Nein, danke. Papa, Mama, ich kann euer Leid nicht
rückgängig machen. Ihr sagt immer, dass ich einfach dankbar sein muss –
aber eine bessere Welt wird uns nicht geschenkt. Wir [6][müssen sie
erkämpfen]. Genug ist genug.
Quang Paasch, 21, war die letzten Jahre einer der Sprecher von Fridays for
Future. Hier beschäftigt er sich jeden Monat mit der Frage, was falsch
läuft und verändert werden muss.
19 Nov 2022
## LINKS
[1] /DDR-Vertragsarbeiter-aus-Vietnam/!5824863
[2] /Pogrom-von-Rostock-Lichtenhagen/!5873521
[3] /Protokolle-zum-Klassenkampf/!5789504
[4] /Inflation-und-Energiekrise/!5864438
[5] /Tipps-fuer-einen-warmen-Winter/!5889543
[6] /Klimaproteste-weltweit/!5892250
## AUTOREN
Quang Paasch
## TAGS
Inflation
Schwerpunkt Klimawandel
Kolumne Der Störfaktor
wochentaz
Zukunft
GNS
Sparen
Pariser Abkommen
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Weniger legen Geld zurück: Sparen muss man können
Bei de Reiche lernt mrs Schpara, bei de Arme lernt mrs Kocha! Das weiß man
in Schwaben und neueste Studien beweisen: Es stimmt.
FFF-Aktivist über Wahlen und Protest: „Jo, euer Programm reicht nicht“
Keine Partei hat eine gescheite 1,5-Grad-Strategie, kritisiert Aktivist
Quang Paasch. Warum ihm die anstehenden Koalitionsverhandlungen wenig
Hoffnung machen.
Vietdeutsche in Berlin: Ein Leben für die Blumen
Unsere Autorin hat als Kind viel Zeit im Blumenladen ihrer Eltern
verbracht. Über vietdeutsches Leben und das harte Geschäft mit schönen
Blumen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.