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# taz.de -- Privat-Uni spart bei Sozialwissenschaft: Professor unerwünscht
> Symptomatischer Vorgang: Die private Jacobs University Bremen wirft einen
> renommierten Politologen raus, weil sie „keinen Platz“ für ihn habe.
Bild: Spitzenforscher ohne Stelle: Politologe Philipp Genschel wird nicht in Br…
Bremen taz | Philipp Genschel, [1][Professor Doktor Philipp Genschel], um
genau zu sein, ist nervös. Ein bisschen wie vor einer Prüfung. „Oder wie
beim Zahnarzt“, sagt einer der Umstehenden. Bangen. Der 59-Jährige steht
vor Saal 2 im Untergeschoss des Bremer Justizzentrums: Das Arbeitsgericht
hat geladen, ins nüchtern rote Ambiente, Aktenzeichen 9 Ca 9077/22. Es ist
keine Güteverhandlung – die Jacobs University Bremen (JUB) hat Genschel
rausgeworfen.
Donnerstag, 17. November: Viele Kolleg:innen aus der JUB sind gekommen,
Professor:innen, Wissenschaftler:innen, Freund:innen auch. Man begrüßt
sich herzlich, man ist gekommen, um Genschel in dieser Stunde zu
unterstützen. „Der Kläger hat es für schlau befunden, Leute aus der Uni
mitzubringen“, ist das Erste, was [2][deren Anwalt Arne Kelm] in der
Verhandlung sagt. Da ist die Stimmung gleich viel frostiger. Allen ist
klar: Jetzt beginnt, auch wenn es am Ende einen Vergleich geben wird, eine
aggressive Auseinandersetzung.
## Im Fach eine Koryphäe
„Als Professor wird man in der Regel nicht gekündigt“, sagt Genschel dann,
und man merkt sofort, dass der groß gewachsene, etwas schlaksig gebliebene
Mann im Anzug es gewohnt ist, mit seiner Stimme große Hörsäle zu füllen.
Genschel ist Politikwissenschaftler und in seinem Fachgebiet das, was man
zurecht eine Koryphäe nennt: Seine Arbeiten wurden mehr als 6.000 Mal
zitiert. Die Europäische Integration, Internationale Organisationen und
Global Governance sind seine Forschungsgebiete.
Bis vor Kurzem war er Lehrstuhlinhaber für European Public Policy am
[3][European University Institute (EUI)] in Florenz. „Das ist eine seltene
akademische Ehre“, sagt Julian Limberg, selbst mittlerweile [4][Assistant
Professor am King’s College in] London, der bei Genschel promovierte. Ans
EUI berufen zu werden, „das ist ein Ritterschlag“, sagt Limberg. Die
Einrichtung hat keinen ständigen Lehrkörper und holt sich für je acht Jahre
renommierte Wissenschaftler:innen ins Haus. Genschel arbeite seit 2014
in Florenz.
Jetzt wollte er nach Bremen an die JUB zurückkehren. [5][Und noch im Herbst
sah es so aus, als wäre das kein Problem.] Dann kam der von Russland nach
Singapur ausgewanderte Investor Serguei Beloussov, [6][der sich jetzt Serge
Bell nennt], und übernahm die von Insolvenz bedrohte Privat-Universität –
verbunden mit dem Versprechen, bis zu 50 Millionen Euro hineinzustecken. Um
die JUB zu retten. Der promovierte Computerwissenschaftler Bell hat viele
Millionen mit dem Cybersecurity-Konzern Acronis verdient; die JUB, die bald
[7][„Constructor University“] heißen soll, soll sich künftig vermehrt der
Quantentechnologie widmen: Um Computer, Software, Mathematik, Data Sciences
und Maschinenintelligenz soll es hier gehen.
Für die Sozialwissenschaften solle trotzdem Platz bleiben, hieß es anfangs.
Es sei doch schwer, sich irgendeinen Professor vorzustellen, der nicht mit
Informationstechnologie arbeite, hatte der neue Uni-Besitzer gesagt.
Genschel hat hier schon gearbeitet, als die Hochschule noch International
University Bremen hieß, ehe der mit Kaffee reich gewordene [8][Mäzen Klaus
Jacobs] 200 Millionen Euro stiftete und die Uni seinen Namen annahm:
Genschel kam 2002 als Außerordentlicher Professor, zweimal wurde er danach
zum [9][„Best Teacher of the Year“] gewählt. „Seine Beiträge waren
entscheidend für die junge Universität“, [10][heißt es in einem offenen
Brief an den Präsidenten der JUB], den viele von Genschels Kolleg:innen
unterschrieben haben. „Er trug maßgeblich dazu bei, sozial- und
politikwissenschaftliche Studiengänge zu konzipieren und zu etablieren, die
in internationalen Hochschulrankings hervorragende Bewertungen erzielten
und starke Bewerber aus aller Welt anzogen“, schreiben die
Absender:innen im Namen vieler internationaler Forscher:innen, die zum
Teil in Harvard, Oxford, Cambridge, London, Tokyo arbeiten. Sie wollen mit
dem Brief ihre „Besorgnis über die plötzliche Entlassung von Professor
Genschel zum Ausdruck bringen“.
## Die Lehre sei „voll besetzt“
Warum die JUB Genschel loswerden will, dazu sagt ihr Anwalt wenig.
[11][Lieske Strudthoff, Director of People Management,] schweigt vor
Gericht gleich ganz. Die Uni habe „keinen Platz“, sei in der Lehre „voll
besetzt“, es gebe „keine Vakanz“, die JUB könne und wolle Genschel nicht
wieder beschäftigen, so Anwalt Kelm – und lässt keinen Zweifel daran, dass
da nicht der geringste Spielraum für Gespräche bleibt. Dabei kann man an
der JUB immer noch „[12][International Relations“] studieren, „[13][Global
Economics]“ und „[14][Society, Media and Politics]“. Politologe Limberg i…
„fassungslos“, dass die JUB trotzdem einem der „international
renommiertesten Politikwissenschaftler“ auf diesem Gebiet kündigt. Er
erkenne darin „ein starkes Zeichen“, dass die Sozialwissenschaften hier
„abgewickelt“ werden sollen. Dabei sei das „auch aus der
Businessperspektive unverständlich“, sagt Limberg: Anderswo in der Welt, wo
das Studieren so wie hier an der JUB viel Geld kostet, brächten gerade die
Sozialwissenschaften den Unis die Einnahmen: Sie seien im Unterhalt viel
kostengünstiger als etwa technische Fächer, die teure Ausstattungen
brauchen – erfreuten sich aber „großer Nachfrage“.
Genschel verzichtete auf Rufe nach München und Heidelberg, um an die JUB zu
kommen. Die wiederum hat mit der staatlichen Uni Bremen einst ausgehandelt,
dass er dort verbeamtet und beurlaubt wird. Doch nun hat die staatlicher
Hochschule kein Geld, um Genschel wieder zurückzunehmen, und einen
Arbeitsvertrag hat er nur mit der JUB. Deswegen sitzt die Uni erst gar
nicht mit am Tisch.
„Die Uni Bremen will ihn nicht“, sagt Kelm, und die JUB habe „kein
Interesse“ an ihm. Keiner will ihn also bezahlen. Kelm hält Genschel
angesichts seines Alters eh für „schwer vermittelbar“, seine Lage für „…
aussichtslos“. Der Anwalt droht unverhohlen mit einem „Dauerkonflikt“.
Einem, den keiner Jahre durchhält, um sich dann in den Ruhestand zu retten.
Die Richterin wiederum tut sich schwer, sich einen Professor vorzustellen,
der sich per Zwangsvollstreckung in eine Hochschule einklagt.
Von „Willkür“ spricht Genschels Anwalt [15][Klaus Hermann]: „Sie verspie…
das wissenschaftliche Renommee ihrer Einrichtung“, wirft er der JUB vor,
die er eine „inhabergeführte Uni“ nennt – es ist nur zum Teil ein Scherz.
Eine Zuschauerin spricht von „Oligarchenkapitalismus“.
Am Ende einigt man sich, dass der Herr Professor „betriebsbedingt
gekündigt“ und bis zum 31. März 2023 bei vollen Bezügen freigestellt wird.
Bis dahin ist er „unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung“
befreit, wie das Gericht förmlich feststellt. Soll heißen: An der JUB sind
ihm Forschung und Lehre damit verboten.
21 Nov 2022
## LINKS
[1] https://www.eui.eu/people?id=philipp-genschel
[2] https://www.trentmann.info/arne-kelm/
[3] https://www.eui.eu/en/home
[4] https://www.kcl.ac.uk/people/julian-limberg
[5] /Bremen-verkauft-Jacobs-University/!5797960
[6] /JUB-wird-Constructor-University/!5891640
[7] https://www.jacobs-university.de/
[8] /Bremer-Universitaet-geht-an-Investor/!5826998
[9] https://docplayer.org/8882022-Curriculum-vitae-philipp-genschel.html
[10] https://docs.google.com/document/d/1HmAOMdLsDebTh9XQiume-T6sNcHhg-FZFQyrUJ…
[11] https://www.jacobs-university.de/directory/strudthoff
[12] https://www.jacobs-university.de/study/undergraduate/programs/internationa…
[13] https://www.jacobs-university.de/study/undergraduate/programs/global-econo…
[14] https://www.jacobs-university.de/study/undergraduate/programs/society-medi…
[15] https://www.dombert.de/anwaelte-bei-dombert/prof-dr-klaus-herrmann/
## AUTOREN
Jan Zier
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