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# taz.de -- Anwalt über Hinrichtungen in Japan: „Starker Wunsch nach Rache“
> Der Strafverteidiger Yuji Ogawara fordert eine Debatte über die
> Todesstrafe in Japan. Und entsprechende Kritik von offiziellen deutschen
> Besuchern.
Bild: Im 21. Jahrhundert wird in Japan die Todesstrafe nach wie vor vollstreckt…
taz: Herr Ogawara, wann wird die nächste Todesstrafe in Japan vollstreckt?
Yuji Ogawara: Es wurde kein offizielles Datum festgelegt. Vergangenes Jahr
hat die japanische Justiz ihre Hinrichtungen im Dezember vollstreckt.
Als Strafverteidiger haben Sie Menschen vertreten, die hingerichtet wurden.
Waren Sie dabei anwesend?
Nein. Anwälte dürfen Hinrichtungen nicht beiwohnen.
Wie fühlen Sie sich, wenn ein Gefangener, den Sie verteidigt haben,
hingerichtet wurde?
Ich bin schockiert, denn ich erfahre davon immer erst im Nachhinein durch
Medien oder andere Quellen. Die Todesstrafe wird ohne Vorankündigung sehr
plötzlich vollstreckt. Dann bedauere ich, dass ich die Hinrichtung nicht
verhindern konnte.
Sie sind gegen die Todesstrafe?
Natürlich. Zum einen muss das Recht auf Leben respektiert werden. Töten als
Bestrafung führt nicht zu Gerechtigkeit. Zum anderen habe ich verschiedene
Mandanten verteidigt und bin vielen Menschen begegnet, die zum Tode
verurteilt wurden. Oft ist nach der Tat viel Zeit vergangen, in der die
meisten bereuen, was sie getan haben. In Japan gab es auch vier Fälle von
bereits verurteilten Straftätern, die freigesprochen wurden, weil sie
unschuldig waren. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit von Fehlurteilen.
Mit der Meinung sind Sie in Japan aber in der Minderheit.
Das stimmt. Hierzulande sprechen sich in Umfragen 80 Prozent der Befragten
für die Todesstrafe aus. Das liegt unter anderem daran, dass die Regierung
die Öffentlichkeit nicht ausreichend über Gefangene im Todestrakt
informiert. Weder über die Bedingungen, unter denen die Todesstrafe
vollstreckt wird, noch wie brutal die Hinrichtungen selbst sind. Ich bin
Mitglied des Verbands der Anwaltskammern. Wir setzen uns dafür ein, dass
solche Informationen bekannt gemacht werden und in der Öffentlichkeit
endlich eine Debatte über die Todesstrafe beginnt.
Warum interessiert sich die Bevölkerung nicht dafür?
Wenn Medien von der Regierung Informationen fordern, werden diese
geschwärzt herausgegeben. Das wird bei Todesstrafen fast immer gemacht.
Welche Informationen werden warum geschwärzt?
Meistens wird der Ablauf der Hinrichtung auf diese Weise geheim gehalten.
Also wann die Person gehängt wurde, wie lange der Todeskampf gedauert hat
und so weiter. Als Grund gibt die Justiz immer an, dass sie dadurch die
Privatsphäre des Gefangenen schützen will. Ich vermute jedoch, dass sie
verhindern will, dass solche Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.
Wären solche Details zu grausam?
Ja. Denn in der Bevölkerung wächst das Bewusstsein für Menschenrechte.
Zunehmend fordern Menschen, das Leben zu achten, auch das von Verbrechern.
Würde eine öffentliche Debatte über die in Japan übliche
Hinrichtungsmethode, das Erhängen, geführt, würden sicher einige eine
Abschaffung der Todesstrafe fordern.
Warum wäre eine Debatte über die Todesstrafe für die Regierung ein Problem?
Japanische Politiker sorgen sich nur darum, dass sie keine Wählerstimmen
verlieren. Derzeit gehören in Japan Hinrichtungen zur Routine des
Justizministeriums. Das Ministerium ist nicht bereit, das Thema zu
diskutieren, aus Angst vor negativen Reaktionen der Öffentlichkeit. Es
behauptet, eine Debatte sei unnötig, da die Mehrheit der Bevölkerung für
die Todesstrafe sei. Wenn Politiker sagen, sie dächten über die Todesstrafe
nach, wollen sie sicher sein, damit nicht in der Minderheit zu sein und mit
ihren Äußerungen nicht die Wählerschaft nicht zu verprellen.
Wird die Todesstrafe auch als Rache für eine Straftat gesehen?
Zum Teil schon, es gibt einen starken Wunsch nach Rache und nach Annäherung
an die Hinterbliebenen. Japanische Medien berichten sehr breit über
Mordfälle, aber das ist eine sehr einseitige Berichterstattung. So
konzentriert sich die Öffentlichkeit auf die trauernden Hinterbliebenen und
die Wut auf die Täter wächst.
Gelten in Japans Demokratie nicht dieselben Werte wie in den europäischen
Staaten?
Die Achtung grundlegender Menschenrechte sollte in jedem Land angestrebt
werden. Ich glaube nicht, dass Europa dabei immer so gut abschneidet, das
gilt auch für Japan. Auch wenn es den Anschein hat, dass sich in Japan
nicht viel geändert hat, glaube ich, dass hier die Diskussion über die
Abschaffung der Todesstrafe allmählich vorankommt.
Zum Beispiel bei der Frage von Resozialisierung?
Es ist ein weiter Weg dorthin, aber das ist der Plan. In diesem Jahr wurde
der Begriff „Strafe“ in „Freiheitsentzug“ geändert. Damit versucht der
Staat, den Menschen zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Dazu muss
aber auch die Gesellschaft Vorbereitungen treffen. Wird die Person nur
bestraft, wird es nicht möglich sein, sie erfolgreich zu rehabilitieren. Um
den Druck auf Politik und Gesellschaft zu erhöhen, kann Japan auch Hilfe
aus dem Ausland gebrauchen.
Was meinen Sie konkret?
Wenn deutsche Politiker Japan besuchen, sollten sie auf die Abschaffung der
Todesstrafe drängen.
Ohne ausländischen Druck passiert nichts?
Japaner müssen selbständig denken und Veränderungen vornehmen. Aber Druck
aus dem Ausland kann helfen, insbesondere, wenn dem Land vor Augen geführt
wird, in welchen anderen Ländern die Todesstrafe auch noch nicht
abgeschafft ist.
15 Nov 2022
## AUTOREN
Shoko Bethke
## TAGS
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