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# taz.de -- Der neue Vogel des Jahres: Er hat den Schnabel vorn
> Zwischen Insektensterben und Aufmerksamkeitsökonomie: Am Donnerstag wurde
> das Braunkehlchen zum Vogel des Jahres 2023 erklärt.
Bild: Ein Braunkehlchenmännchen im brandenburgischen Lebus
Am Donnerstag wurde in den USA [1][der „National Black Cat Day“ begangen].
Den haben sich die Katzenfreunde drüben ausgedacht, weil die schwarzen
Katzen für abergläubische Amerikaner Unglück bringen und nicht vermittelbar
sind, weswegen sie in den Tierheimen getötet werden. Um Sichtbarmachung,
Sensibilisierung und Medienöffentlichkeit geht es hier, und aus den
gleichen Gründen werden in Deutschland nahezu alle heimischen Tiere, Pilze
und Pflanzen irgendwann [2][zum „Jahreswesen“ ernannt].
Für die Popularisierung dieser „Jahreswesen“ sorgen die großen
Naturschutzverbände, vorgeschlagen werden sie oftmals von den Fachverbänden
ihrer Erforscher: die „Spinne des Jahres“ von der Arachnologischen
Gesellschaft, der „Einzeller des Jahres“ von der Deutschen Gesellschaft für
Protozoologie, der „Pilz des Jahres“ von der Gesellschaft für Mykologie.
Die „knappe Ressource Aufmerksamkeit“ wird inzwischen sogar auf ganze
„Waldgebiete des Jahres“ gerichtet, ausgewählt vom „Bund Deutscher
Forstleute“.
Die größte Aufmerksamkeit, nicht nur in Amerika und England (dem Geburtsort
des Naturschutzes), gilt jedoch hierzulande dem „Vogel des Jahres“. Eine
Wahl, die es seit 1971 gibt und die kaum ein Feuilleton der deutschen
Zeitungslandschaft unerwähnt lässt, und natürlich auch nicht all die Natur-
und Tiermagazine bis hin zu Zeitschriften wie Landlust oder Gartenspaß.
Hinzu kommen noch diverse Radio- und Fernsehsender, die das freudige
Ereignis, die Vogelwahl, in die Welt hinausposaunen.
## Alle durften mitwählen
Bei den ausgewählten Vögeln handelt es sich meist um eine von den Menschen
und ihrem unseligen Tun akut oder bald „gefährdete Art“. Seit einigen
Jahren [3][wird die Öffentlichkeit an der Wahl beteiligt]. Im Falle des
frisch gekürten „Vogel des Jahres 2023“ galt es, sich für einen von fünf
vorab ausgewählten Vögeln auf einer Internetseite des Deutschen
Naturschutzbundes (Nabu), der Naturschutzjugend (Naju – „Die Natur ruft –
Wir sind die Antwort“) oder dem Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV)
zu entscheiden und mit der Angabe von Name und Adresse zu verhindern, dass
man hundertmal für den gleichen Vogel abstimmt. Beim LBV, der nebenbei
bemerkt auch noch ein Projekt zur Rettung des Gobibärs in der Mongolei
finanziert, konnte man sogar ein „Wahlkampfteam gründen und Stimmen
sammeln“ sowie ein „Wahlplakat“ für den „Vogel des Jahres 2023“ bezi…
dieses durfte man dann in die „sozialen Netzwerke“ seiner Wahl kleben
(„teilen“, wie man heute sagt).
Bei den fünf Vögeln, die zur Wahl standen, handelte es sich 1. um den
Feldsperling, der übrigens, wie ungarische Spatzenforscher herausfanden,
weniger intelligent als der Haussperling ist. Das ist aber nicht der Grund,
warum er auf die „Rote Vorwarnliste“ geraten ist, sondern weil das
„Insektensterben“ ihm die Aufzucht seiner Jungen erschwert und weil seine
Lebensräume „Streuobstwiesen, alte Bäume und wilde Gärten“ zusehends
verschwinden.
2. stand der Trauerschnäpper zur Wahl, der ebenfalls unter dem
„Insektensterben“ leidet, er schnappt sich diese im Flug. Und weil die
alten Bäume immer weniger werden, in denen er Höhlen zum Nisten finden
könnte, geht er oft leer aus. Dies hat auch mit der Klimaerwärmung zu tun,
insofern der Frühling immer früher beginnt und die daheim gebliebenen Vögel
die Nisthöhlen bereits besetzt haben, wenn er aus seinem afrikanischen
Winterquartier zurückkehrt.
Zur Abstimmung stand auch der Neuntöter, über den der Nabu schreibt: „Am
liebsten spieße ich Käfer, Heuschrecken und Hummeln an Dornen und Stacheln
meiner geliebten Sträucher und Hecken auf. Dies ist meine Art, Vorräte
anzulegen.“ Auch den Neuntöter gefährdet also das Insektensterben. „Und d…
liegt am immensen Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Gebt mir
eure Stimme, wenn ihr für mehr Insektenschutz seid!“
## Ein Vogel mit drei Nestern
Der nächste Vogel auf der Liste war das Teichhuhn, das laut Nabu drei
Nester baut, eines „als Bühne für die Partnersuche, eines, um die Eier
abzulegen und ein weiteres zum Ausruhen“. Sie befinden sich meist im
Schilfdickicht, und genau das ist das Problem: davon gibt es nämlich immer
weniger, aufgrund von „zubetonierten oder kahlen Flächen, begradigten
Flüssen und trockengelegten Sümpfen“.
Und auch das Braunkehlchen konnte gewählt werden. Dieser Bodenbrüter macht
im hohen Gras auf Wiesen und Weiden Jagd auf Insekten, aber diese Jagd wird
immer aufwändiger und zudem wird in seinem Lebensraum zu oft gemäht: „Wo
soll ich denn jetzt jagen und brüten?“, heißt es auf der Nabu-Seite. „Auch
ruhende Ackerflächen, auf denen sich der Boden von der landwirtschaftlichen
Nutzung erholen und die Natur wieder entfalten kann, verschwinden.“
An diesem Donnerstag um 9 Uhr endete die Wahl, bereits drei Stunden später
wurde der „Vogel des Jahres 2023“ verkündet: Das Braunkehlchen hat
gewonnen. Das war schon 1987 Vogel des Jahres und ist damit der sechste
Doppeltitelträger nach dem Weißstorch, dem Eisvogel, der Feldlerche, dem
Rotkehlchen und seinem unmittelbaren Amtsvorgänger, [4][dem Wiedehopf]. Ob
dem Braunkehlchen dieser Titel nützt, wage ich als Misanthrop, der sich
allerdings gerade in einer Anthropause befindet, stark zu bezweifeln.
28 Oct 2022
## LINKS
[1] https://nationaltoday.com/national-black-cat-day/
[2] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/natur-des-jahr…
[3] /Wahl-zum-Vogel-des-Jahres/!5718546
[4] /Die-Wahrheit/!5831577
## AUTOREN
Helmut Höge
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Vögel
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