| # taz.de -- Die Wahrheit: Wir warten aufs Christkind (nicht) | |
| > Ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Oder schlimmer noch: | |
| > Vorweihnachtszeit? Muss das wirklich sein? | |
| Bild: In der Familie in der Regel unvermeidlich: Invasion der Engel | |
| Seit Anfang Oktober werde ich terrorisiert von Leuten, die mir „das Warten | |
| auf Weihnachten“ verkürzen wollen. Mit Märkten voller Tand, den niemand | |
| braucht; festlichen Konzerten, die man nur im Rotwein-Gänsebein-Koma | |
| ertragen kann; und Shopping-Angeboten und Schnulzen-Filmen aller Art. Ich | |
| frage die Regierung: Muss das sein? Wer, der älter ist als zehn Jahre, | |
| wartet denn auf Weihnachten? | |
| Ich zum Beispiel habe bis Ende Dezember leider keine Zeit, auf Weihnachten | |
| zu warten. Stattdessen will ein Vortrag und mindestens ein halbes Buch | |
| geschrieben werden. Außerdem versagt gerade das Coronavirus auf ganzer | |
| Linie, so dass alle möglichen Veranstaltungen tatsächlich stattfinden und | |
| mir die Zeit stehlen, die ich sonst in Ruhe verwarten könnte. | |
| Allgemein wird wieder gereist, bis die Bahn zusammenkracht. Ja, da wäre es | |
| gut, einmal innezuhalten und konzentriert auf das Christfest zu warten; | |
| vielleicht in der Schlange vorm Bahnhofsklo. | |
| Länger als auf Weihnachten werde ich wahrscheinlich auf meine | |
| 10-Euro-Verspätungs-Erstattung der Bahn warten, die mich jetzt schon | |
| Nerven für mindestens 20 Euro gekostet hat. Wer glaubt, dass es mit der | |
| Online-Meldung im Bahnportal getan ist, glaubt auch an den Weihnachtsmann. | |
| Die Bahn schickte mir statt Geld einen Brief: Es werde leider länger dauern | |
| mit der Bearbeitung meines Antrags, weil so viele Anträge vorlägen. Sie | |
| hätten auch schreiben können: Wir funktionieren leider schlecht, weil wir | |
| schlecht funktionieren. Oder: Der Betrieb verzögert sich wegen | |
| Verzögerungen im Betriebsablauf. | |
| Dann erreicht mich ein weiterer Brief: Ich solle schriftlich noch einmal | |
| genau schildern, welchen Zug ich verpasst hätte und welchen ich stattdessen | |
| nehmen musste. Da lag das Ereignis bereits sechs Wochen zurück. Die | |
| Schilderung solle ich mit dem Brief der Bahn zusammen per Post an die Bahn | |
| schicken. Sie hätten auch schreiben können: Wir wünschen uns, dass Sie an | |
| dieser Stelle aufgeben. Wir halten Digitalisierung für einen Witz. Wir | |
| verdienen an jeder verkauften Briefmarke 10 Cent Provision. | |
| Nur aus Widerspruchsgeist habe ich tatsächlich noch einmal geantwortet, | |
| denn das bisschen Erstattungsgeld wurde inzwischen längst von der Inflation | |
| aufgefressen. Das alles war ohnehin nur eine Trotzaktion gewesen, weil auf | |
| der spätabendlichen Reise die Bahn-App behauptet hatte, 50 weitere | |
| verzweifelte Reisende und ich würden den Anschluss in Göttingen erreichen, | |
| was keinem von uns gelang. Das schrie nach Rache! | |
| Wahrscheinlich kommt als nächstes ein Brief, in dem steht, dass laut | |
| digitalem Fahrplan wir alle den Zug bekommen hätten und eine Bande von | |
| Hochstaplern seien, die sich zu einem terroristischen Anschlag auf die | |
| Bahnverwaltung in Form von geballten Erstattungsanträgen verabredet hätten. | |
| Mir egal, ich warte dann mal auf 2023, da wird bestimmt alles besser. | |
| 9 Nov 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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