# taz.de -- Rassismus gegen Sinti und Roma: Feindseligkeit ist Alltag | |
> Mehmet Daimagüler ist Antiziganismusbeauftragter der Bundesregierung. Der | |
> Anwalt sieht tiefgreifende Diskriminierung und großen Handlungsbedarf. | |
Bild: Mehmet Daimagüler ist Anwalt und seit Mai Antiziganismusbeauftragten der… | |
BERLIN dpa | Der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung hat eine | |
[1][tiefgreifende Diskriminierung der Sinti und Roma in Deutschland] | |
angeprangert. „Wir haben eine rassistische Unterscheidung in den Bereichen | |
Polizei und Justiz, Bildung, Wohnungsmarkt und Sozialverwaltung“, sagte der | |
Beauftragte Mehmet Daimagüler der Deutschen Presse-Agentur. Auch der | |
Völkermord der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma sei nicht | |
aufgearbeitet. Deshalb plane er für kommendes Jahr eine Wahrheits- und | |
Versöhnungskommission. | |
Daimagüler bekleidet das neu geschaffene Amt seit Mai. Er äußerte sich vor | |
dem Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Denkmals für die im | |
Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas mit Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier an diesem Montag um 11.00 Uhr. Dass der | |
Bundespräsident dabei eine Rede halte, sei sehr wichtig, sagte Daimagüler. | |
„Es darf halt nicht bei den symbolischen Akten bleiben.“ | |
Die angekündigte Wahrheitskommission soll aus seiner Sicht den Mythos | |
ausräumen, dass Ausgangspunkt der NS-Verfolgung der Sinti und Roma die | |
angebliche Kriminalitätsbekämpfung gewesen sei. Grund [2][sei Rassismus | |
gewesen]. „Es gibt für mich bei der Ermordung der Juden und der Sinti und | |
Roma durch die Nationalsozialisten keine strukturellen Unterschiede im | |
völkischen Wahn, in der Kaltblütigkeit und der industriellen Umsetzung des | |
Völkermords“, sagte Daimagüler. | |
## Sinti und Roma werden kriminalisiert | |
Während der NS-Zeit von 1933 bis 1945 wurden [3][Sinti und Roma | |
systematisch verfolgt] und etwa 500.000 Angehörige der Minderheit aus ganz | |
Europa ermordet. Daran erinnert das 1992 beschlossene und am 24. Oktober | |
2012 eröffnete Mahnmal in der Nähe des Berliner Reichstagsgebäudes. Heute | |
leben Schätzungen zufolge etwa 70.000 bis 150.000 Sinti und Roma in | |
Deutschland. | |
Der 54-jährige Daimagüler, Sohn türkischer Einwanderer, ist Anwalt und war | |
unter anderem Nebenklagevertreter im Prozess gegen die Neonazi-Terrorzelle | |
„Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Auch Sinti und Roma habe er in | |
Hunderten Fällen von Alltagsdiskriminierung vertreten, sagte er der dpa. | |
Seine Einschätzung: „Antiziganismus ist eine weitgehend gesellschaftlich | |
akzeptierte Erscheinung und wird noch nicht mal als Rassismus erkannt.“ | |
Bis heute begleite ein „Soundtrack“ den Alltag, sagte er: „Sinti und Roma | |
sind angeblich kriminell, asozial, fremd.“ Kommunalpolitiker behaupteten, | |
wo Sinti und Roma seien, da seien auch Ratten. Die Community werde | |
kriminalisiert. „Diese rassistischen Stereotype führen dazu, dass Menschen | |
nie mit der gleichen Gewissheit in Sicherheit leben können wie es andere | |
tun“, sagte der Bundesbeauftragte. | |
Er fügte hinzu: „Wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus ist, ist zum | |
Glück fast allen bewusst. (…) Im Kampf gegen Antiziganismus müssen wir auf | |
einem sehr viel niedrigeren Niveau anfangen und zum Teil ganz grundlegende | |
Menschenrechte einfordern.“ Es gehe um den Grundsatz, dass die Würde des | |
Menschen unantastbar ist. „Wie können wir damit leben, dass viele Menschen | |
in diesem Land ihrer Würde beraubt werden, jeden Tag?“, fragte Daimagüler. | |
Er führte den Fall eines elfjährigen Jungen an, der von der Polizei in | |
Handschellen abgeführt worden sei, aber auch Feindseligkeit im Alltag. In | |
Bonn habe er selbst miterlebt, wie ein Mann einem Rom aus Rumänien gesagt | |
habe: „Verpiss dich aus unserem Land, bevor ich dich verbrenne.“ | |
In seinem neuen Amt werde er alles dafür tun, den Beitrag der Community für | |
die Gesellschaft herauszustreichen. „Es gibt keinen Bereich, der nicht von | |
Sinti und Roma beeinflusst wurde, Musik, Kultur, Wirtschaft, überall haben | |
Sinti und Roma ihren Anteil für das Gedeihen dieses Landes geleistet“, | |
sagte Daimagüler. „Das ist eigentlich der schönste Teil meiner Arbeit – zu | |
zeigen, dass bemerkenswerte Menschen bemerkenswerte Dinge machen. Darauf | |
freue ich mich.“ | |
24 Oct 2022 | |
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