# taz.de -- Einreisebeschränkungen für Russen: Kein Weg mehr nach Europa | |
> Russen, die aus politischen Gründen ihr Land verlassen, dürfen in viele | |
> Länder nicht mehr einreisen. Ihre reichen Landsleute kommen trotzdem. | |
Bild: Estland, Lettland und Litauen sowie Polen beschränken die Einreise für … | |
Die meisten derjenigen, die Russland nach dem 24. Februar verlassen haben, | |
sind Menschen, die gegen Russlands Ukrainekrieg sind. Die meisten ihrer | |
Fluchtrouten führten auf dem Landweg vor allem durch die drei baltischen | |
Republiken, die an Russland grenzen. Direktflüge nach Europa gab es wegen | |
der Sanktionen nicht mehr und über Istanbul zu fliegen konnten sich die | |
meisten gar nicht leisten. | |
So kamen vor allem nach Lettland und Estland neben vielen ukrainischen auch | |
zahlreiche liberal eingestellte russische Flüchtlinge. Aber schon ein | |
halbes Jahr nach Kriegsbeginn gab es Probleme. Die baltischen Staaten haben | |
ihre Meinung über die Aufnahme von Russen geändert. Hier sieht man das | |
Missverständnis. Diese Russen dachten: „Wir sind Kriegsgegner, gegen Putin | |
und sein Regime, wir fliehen nach Europa.“ Aber dann merkten sie: „Dieses | |
Europa will uns nicht reinlassen.“ | |
Am 19. September haben einige europäische Staaten (Lettland, Litauen, | |
Estland und Polen) entschieden, keine Russen mit Touristenvisa mehr | |
einreisen zu lassen. Kurz darauf schloss Finnland sich an. Am 21. September | |
begann in Russland die „Teilmobilisierung“, Zehntausende Männer im | |
wehrpflichtigen Alter flüchteten. Fast das einzige Türchen nach Europa war | |
Norwegen, aber auch dort haben sie begonnen, über ein Einreiseverbot | |
nachzudenken. Und seit dem 25. Oktober lässt auch Tschechien keine Bürger | |
Russlands mit Touristenvisa mehr ins Land | |
Die Länder, die ein Einreiseverbot erlassen haben, taten dies aus folgender | |
Überlegung: Solange Krieg herrscht, sollten die [1][Menschen aus dem | |
Aggressorland nicht nach Europa in Urlaub fahren]. „Ein Besuch in Europa | |
ist ein Privileg, kein Menschenrecht“, schrieb die estnische | |
Premierministerin Kaja Kallas auf Twitter. Zudem hört man oft das Argument, | |
dass alle, die weggehen wollten, dies seit einem halben Jahr hätten tun | |
können. Viele europäische Politiker dachten auch, dass ein Einreiseverbot | |
mehr Russen die Augen öffnen würde, dass dieser Krieg auch sie beträfe (und | |
sie daher schneller ihren blutigen Diktatoren stürzen würden). | |
Hier beginnt das „Aber“. Erstens sind die meisten Russen, die ihr Land | |
Richtung Baltikum verlassen haben, [2][vor allem Oppositionelle] und keine | |
reichen Touristen, die zum Shopping nach Mailand fliegen (und die in aller | |
Ruhe weiter dorthin reisen, über Istanbul und für teures Geld). Da die | |
Länder Westeuropas keine Einreiseverbote für Menschen mit Touristenvisa | |
erlassen haben, sind Flüge nach Italien oder Frankreich kein Problem – so | |
man Geld hat. | |
Zweitens: Die Russen, denen man „über den Krieg die Augen öffnen muss“, | |
sind nicht diejenigen, die nach Europa kommen. Mehr als 70 Prozent aller | |
Russen haben nicht mal Reisepässe und nur 2 Prozent der Bevölkerung haben | |
überhaupt ein Schengen-Visum. Und diese 2 Prozent sind gebildete und | |
aufgeklärte Menschen, die bereits offene Augen haben. | |
Drittens: [3][Die, die vor Putins Regime nach Europa fliehen], kommen mit | |
Touristenvisa. Humanitäre Visa, die viele europäische Länder russischen | |
Staatsbürgern erteilen, kann man erst in diesen Ländern selbst erhalten. | |
Darum ist das Argument europäischer Politiker, sie seien nicht gegen | |
diejenigen, die wegen ihrer Nichtüberstimmung mit Putins Politik nach | |
Europa kommen, und würden sie auch weiterhin einreisen lassen, unlogisch. | |
Denn dann müsste man humanitäre Visa schon in Russland selbst erteilen, | |
aber das plant derzeit niemand. Die meisten Staaten erteilen nicht mal mehr | |
Touristenvisa. | |
Viertens: Nicht alle, die Russland verlassen wollten, weil sie mit dem | |
Regime nicht einverstanden sind, haben dies in den ersten Wochen und | |
Monaten des Krieges geschafft. Viele mussten noch Dinge erledigen: Geld für | |
die Reise zusammenkratzen, Papierkram, Wohnungsfragen und familiäre | |
Angelegenheiten regeln. Eine Ausreise im Februar/März ist kein Gradmesser | |
für eine oppositionelle Einstellung. | |
Das Ergebnis? Die, die gerne in Mailand shoppen, können auch jetzt dorthin | |
fliegen. Ich möchte noch mal daran erinnern, dass viele regierungsnahe | |
Geschäftsleute und Beamte sogar eine europäische Aufenthaltsgenehmigung | |
besitzen, die sie durch den Kauf teurer Immobilien in Europa erworben | |
haben. Diejenigen, [4][deren letzte Fluchtmöglichkeit die Überquerung der | |
Brücke zwischen dem russischen Iwangorod und dem estnischen Narva] mit | |
einem Touristenvisum gewesen wäre, haben diese Chance nicht mehr. | |
Mit dieser Überlegung ende ich: Die Länder Europas haben absolut das Recht, | |
einreisen zu lassen, wen sie wollen. Sie haben das Recht, sich nicht zu | |
detailliert damit zu beschäftigen, wer ein „guter Russe“ und wer ein | |
„schlechter“ ist und einfach allen die Einreise zu verbieten. Das ist | |
beschämend. Aber es herrscht Krieg. Das ist für alle schmerzhaft. | |
Bedauerlich ist nur, dass dieses jüngste Verbot weder den Krieg beenden | |
noch zum Zusammenbruch des Putin-Regimes führen wird. | |
Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey] | |
14 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Maria Bobyleva | |
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