# taz.de -- Beth Orton übers Singen: „Musik stärkt meine Gesundheit“ | |
> Die britische Künstlerin Beth Orton über das meditative Landleben, Trost | |
> am Klavier und Schwierigkeiten beim Hören ihrer eigenen Stimme. | |
Bild: Wildwest-Atmosphäre in Suffolk: Beth Orton auf dem Land | |
taz: Frau Orton, Sie treten gerade in Hamburg auf, gleich nebenan sind | |
Rammstein in einem Stadion. Diese Band spielt jeden Abend ihr Programm | |
exakt in der gleichen Reihenfolge. Wäre das was für Sie? | |
Beth Orton: Auf keinen Fall. I couldnt fucking bear it. Das zerstört meine | |
Seele. Aber ich fülle auch keine Stadien – das habe ich durch | |
Erfolglosigkeit umgangen. Ich hatte nie ein Hitalbum, muss ergo nie die | |
gleichen Songs spielen. Ich konnte immer das machen, was ich wollte. | |
Das Resultat: Jedes ihrer Alben klingt anders. Mal nach Folk, mal Pop, ja | |
sogar Country. Ist Ihr neues Werk „Weather Alive“ nun ein Jazz-Album? | |
Ja. Das Album ist geprägt von dem, was ich in den letzten zehn Jahren | |
gehört habe. Das waren kaum Songs, sondern viel Instrumentals, vor allem | |
[1][Jazz.] Ich habe mich selbst weitergebildet; nicht, was das Spielen | |
anging, sondern beim Zuhören. Das ist in den Sound eingesickert und kommt | |
jetzt wieder heraus. Ich wollte schon immer mit Tom Skinner arbeiten, dem | |
Drummer der Jazzband [2][Sons of Kemet]. | |
Wie sind die neuen Songs entstanden? | |
Ich wusste, welche Musik ich hören wollte, aber ich konnte sie nicht | |
auftreiben! Also musste ich sie selbst komponieren. Ich schrieb die neuen | |
Songs am Klavier, mit simplen Ein- und Zwei-Akkord-Mustern. So sind diese | |
modalen, minimalistischen Songs entstanden. | |
Sie haben einige Jahre bei Los Angeles gelebt, ehe sie 2015 zurück nach | |
England gezogen sind. Warum? | |
Laurel Canyon ist ein Traum, da haben viele Vorbilder von mir gelebt. Aber | |
ich verbrachte den ganzen Tag im Auto! Ich war nicht nah genug an der | |
Natur, und meine Gesundheit war angeschlagen. Ich kam also zurück nach | |
London und fragte mich: Wer zum Teufel bin ich? Mein Hirn holte all diese | |
Erinnerungsfragmente hervor und ich verband mein Klavierspiel damit. Eine | |
Weile lebte ich in der Musik. Ich dachte an Leute wie diesen Typen, den ich | |
mit 17 geliebt habe. Und darüber habe ich dann komponiert. Da steckt viele | |
Sehnsucht drin, und viele Schmerzen, ganz sicher. | |
Und die englische Landschaft half, das alles zu verarbeiten? | |
Ich komme aus der Nähe von Suffolk, da hatte der Komponist Benjamin Britten | |
zu Lebzeiten ein Haus. Dort durfte ich arbeiten und unternahm zwischendurch | |
lange Spaziergänge. Dabei musste ich weinen – es war einfach so schön dort! | |
Zurück nach England zu ziehen half mir, eine Verbindung zur Natur | |
aufzubauen, das war wichtig für die Musik. | |
Wonach haben Sie gesucht? | |
Nach Trost. Am [3][Klavier] habe ich ihn gefunden, Klavierspielen erdet | |
mich. Es ist eine Konversation, die mir hilft, wenn ich einsam bin. Musik | |
ist eine Meditation, ein Ort, an dem ich gern bin. | |
Wie ging es bei Ihnen los? | |
Als ich klein war, schrieb ich viele Gedichte. Aber niemand hat mich | |
beachtet, auch mein Klavierspiel nicht. Eine prägnante Erinnerung aus der | |
Zeit: Ich sitze auf der Treppe und lege immer wieder „As Tears Go By“ von | |
Marianne Faithfull auf. Als ich 14 war, zogen wir nach London, ich spielte | |
Drums in einer Reggaeband. Die haben mich nur geduldet, weil ich lustig | |
war. Es ging nicht um Coolness, es war einfach Spaß. | |
Gesungen haben Sie nicht? | |
Ich wollte nie Sängerin werden, öffentlich zu singen war eine Qual. Als ich | |
19 war, starb meine Mutter. Ich beschloss, all diese Dinge zu tun, vor | |
denen ich vorher Angst gehabt hatte. Mit einer experimentellen | |
Theatergruppe gab ich Rimbaud und entschied, eines der Gedichte zu singen. | |
Der Produzent William Orbit hörte das und lud mich ins Studio ein: Ich | |
sollte spontan kommen und singen. Ich war ziemlich high und summte nur mit. | |
Daraus wurden dann langsam Worte. So wurde ich Sängerin. | |
Wie gefällt Ihnen Ihre Stimme? | |
Ich mochte sie noch nie. Singen fällt mir schwer. Anders bei meinem Mann | |
Sam Amidon, Musik strömt nur so aus ihm heraus. Ich dachte, Musik wäre bloß | |
eine Phase. Aber es ist ein Grundpfeiler meiner Existenz geworden. Ich habe | |
viel gesungen, ich spiele viel, ich bin kreativ, weil es für meine mentale | |
Gesundheit gut ist. | |
Ihre Stimme klingt heute fragiler und zugleich intensiver. | |
Ja, so klingt sie eben. Gelegentlich beschleicht mich das Gefühl, eine | |
Enttäuschung zu sein. Es tut mir leid, dass die Dinge sich verändert haben, | |
dass ich älter geworden bin, dass meine Stimme reifer klingt. | |
Wofür entschuldigen Sie sich? | |
Ach Quatsch, es tut mir kein bisschen leid. Ich bin furchtloser geworden. | |
Nie hätte ich gedacht, dass ich mit 50 noch so kreativ sein würde. | |
20 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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