| # taz.de -- Britischer Musiker Alabaster DePlume: Die vielen Zimmer des Jazz | |
| > Hippiesk, aber nicht verspult: „Gold“ ist das neue Folk-Pop-Jazz-Album | |
| > des umtriebigen britischen Künstlers Alabaster DePlume. | |
| Bild: Alabaster DePlume | |
| Der Künstlername des britischen Saxofonisten, Sängers und Gitarristen Angus | |
| Fairbairn klingt ausgesucht bescheuert. Er sei von Manchester nach London | |
| gegangen, um als Alabaster DePlume ein anderer zu werden, hat Fairbairn in | |
| einem Interview erzählt. | |
| Um in der Folge eine ganze Reihe Alben aufzunehmen, die hierzulande | |
| weitgehend unbemerkt geblieben sind. 2020 erschien dann auf dem | |
| US-Jazzlabel International [1][Anthem „To Cy & Lee: Instrumentals Vol. | |
| 1“] und wurde reihum abgefeiert. Eine Trost spendende, in sich ruhende | |
| Musik, in der Jazz- und Folkstandards immer wieder aufscheinen, aber nie | |
| wirklich ausgespielt werden. | |
| Folk war das auch in dem Sinne, dass es Alabaster DePlume immer um the | |
| people geht – seine Mitmusiker:innen, das Publikum, das auf Konzerten | |
| von ihm gerne für seine schiere Existenz gelobt wird, obwohl es eigentlich | |
| nur dasitzt, überhaupt Menschen, die einem begegnet sind. | |
| Im Fall von Cy und Lee waren das zwei junge Erwachsene mit Lernbehinderung, | |
| die DePlume in seinem damaligen Beruf als psychiatrische Pflegekraft in | |
| Manchester kennengelernt hatte und die sehr gerne gemeinsam mit ihm | |
| gesungen haben sollen. Die Stücke auf „Instrumentals Vol. 1“, das seien | |
| eigentlich ihre Melodien. | |
| ## Go Forward | |
| Auf seinem neuen Album [2][„Gold“, das in vollem Ernst den Untertitel „Go | |
| Forward in the Courage of Your Love“ trägt], kommt stilistisch alles | |
| zusammen, was Alabaster DePlume bislang auf verschiedenen Platten verteilt | |
| hatte: Jams („Fucking Let Them“, „Visitors XT8B – Oak“), Gospelartiges | |
| („The Sound of My Feet on This Earth Is a Song to Your Spirit“, „I Am Good | |
| at Not Crying“), Spoken-Word-Stücke („I Will Not Be Safe“), Folk („I�… | |
| Gonna Say Seven“) und eben Jazz. 18 Songs in immer wechselnden Besetzungen. | |
| Man kann Jazz als Genre definieren, dann sind die Grenzen eher eng, aber | |
| immerhin klar gezogen. Oder man versteht Jazz als Produktionsprinzip. | |
| Menschen spielen zusammen, in immer wieder neuen Kombinationen, | |
| improvisieren und lassen einander dabei möglichst Raum. Wenn einer der | |
| Musiker:innen dann noch hin und wieder in ein Saxofon bläst, ist die | |
| Definition leichter, aber entscheidend ist es nicht. | |
| Auch wenn DePlume mal mit Akustikgitarre den Singer-Songwriter gibt, mal | |
| gemeinsam mit dem britischen Synthesizerkünstler Danalogue ein Album mit | |
| knarziger Electronica fabriziert, ist das immer alles Jazz. Wie also | |
| beschreibt man diese Musik, ohne einfach von Crossover oder so etwas zu | |
| sprechen? | |
| Vielleicht mit einem Kitschbild: Das Haus von Alabaster DePlume hat viele | |
| Zimmer, und die Türen stehen alle offen. In den Zimmern finden Menschen | |
| zusammen und machen Musik, gehen wieder auseinander, meistens klingt es | |
| wundervoll, manchmal auch nervtötend verschroben. | |
| ## Den Raum mit Liebe füllen | |
| Auf „Gold“ singt Alabaster DePlume wieder, und damit scheint stärker auf, | |
| was in den Instrumentals atmosphärisch mitschwingt. Es ginge ihm darum, | |
| „den Raum mit Liebe zu füllen“, sagt Angus Fairbairn, und seine | |
| glaubwürdige Kunstfigur Alabaster DePlume ist ohne Zweifel ein Hippie, | |
| vielleicht der letzte, der es wirklich ernst meint und dabei große Kunst | |
| produziert. | |
| Wenn es so etwas wie Hippietum heute noch geben kann, dann so: unironisch, | |
| aber sehr komisch und im Wissen um das agierend, was am Hippietum | |
| schrecklich war und ist. Das Gruselige am indifferent Weltumarmenden wird | |
| von Alabaster DePlume im Verbund mit seinen Mitmusiker:innen aufgelöst | |
| in einer Performance, die Albert Aylers Idee, „music“ sei nicht nur eine, | |
| sondern die „healing force of the universe“, realisieren will. | |
| In seltsamen Folk-Pop-Jazz-Vermischungen, die das Publikum Liebe und | |
| Selbstliebe lehren wollen. „I remember my identity / I remember my shame“, | |
| singt DePlume im Song „Don’t Forget You’re Precious“. „I remember the | |
| german word for calculator / But I forget that I’m precious.“ | |
| Das alles kann in seiner bedingungslosen Menschenliebe und Schratigkeit | |
| auch anstrengend wirken. Aber verspult ist diese Musik nicht. Alabaster | |
| DePlume weiß immer, wohin er will, auch konzeptuell. „Taschenrechner / They | |
| can’t beat us / They can’t beat us if we don’t forget / They can’t use … | |
| on one another if we don’t forget we’re precious.“ Vielleicht ist die | |
| naheliegende Hörerreaktion, das sei doch Hippiekacke, auch einfach nur | |
| Abwehr dieses sanften Einspruchs gegen Härte und Selbstverhärtung. | |
| Alabaster DePlume: „Gold“ (International Anthem/Rough Trade) | |
| 18 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://intlanthem.bandcamp.com/album/to-cy-lee-instrumentals-vol-1 | |
| [2] https://alabasterdeplume.bandcamp.com/album/gold-go-forward-in-the-courage-… | |
| ## AUTOREN | |
| Benjamin Moldenhauer | |
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