# taz.de -- Neue Schlachtregeln in Argentinien: Protest gegen das Vierteln | |
> Argentinische Schlachter treten in den Streik. Sie wehren sich dagegen, | |
> dass Rinderteile künftig höchstens 32 Kilo schwer sein dürfen. | |
Bild: Mitarbeiter eines Schlachthofs in Buenos Aires: Das Schleppen von Rindert… | |
Buenos Aires taz | In Argentinien droht der Rindfleischnotstand. Ab | |
Dienstag wollen zahlreiche Schlachthöfe das Töten und Zerlegen von Rindern | |
aus Protest einstellen. „Wenn die Maßnahme andauert, kommt es in einigen | |
Provinzen rasch zu Engpässen“, erklärte der Verband der regionalen | |
Schlachthöfe, Fifra. Es gebe nicht viele Vorräte in den Kühlhäusern, so der | |
Verband. Was die Schlachter umtreibt, ist eine Verordnung, die am 1. | |
November in Kraft tritt. Dann müssen geschlachtete Rinder in mindestens | |
vier Teilen ausgeliefert werden. | |
Seit über hundert Jahren liefern die Schlachthöfe am Río de la Plata ein | |
erlegtes Rind in zwei Hälften an die Fleischereien aus. Die im | |
argentinischen Sprachgebrauch media res genannte Hälfte ist das in der | |
Mitte durchgeschnittene Schlachttier ohne Kopf und Eingeweide. Je nach | |
Gewicht des Rindes kann jede Hälfte zwischen 90 und 120 Kilo wiegen. Die | |
Hälften werden von den Fleischern zerteilt und verkauft. | |
Die neue Verordnung soll vor allem den Gesundheitsschutz der lomeros | |
sichern. Jener Beschäftigten, die täglich rund 100 der schweren | |
Rinderhälften beim Be- und Ausladen auf ihren lomo, sprich Rücken, | |
aufbuckeln müssen. Künftig dürfen die Rinderteile höchstens noch 32 Kilo | |
schwer sein. Damit liegen sie allerdings weiterhin über dem Höchstgewicht | |
von 25 Kilo, das die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) | |
festgeschrieben hat. | |
Einig sind sich alle Beteiligten, dass das Vermarktungssystem der halben | |
Rinder geändert werden muss. Doch seit mehr als 30 Jahren wird über den | |
Zeitpunkt der Änderung gestritten. Keine Eile haben jene Schlachthöfe, die | |
den inländischen Markt beliefern oder die die nötigen Investitionen nicht | |
vornehmen wollen oder können. Denn bevor die geschlachteten Rinder weiter | |
zerteilt werden können, müssen sie mindestens 24 Stunden kalt gelagert | |
werden. Das erfordert große und teure Kühlhäuser, wie sie die Schlachthöfe | |
für den Exportsektor haben müssen. | |
## Umsetzung mehrfach verschoben | |
Auch die jetzige Anordnung wurde bereits im April 2021 von der Regierung | |
erlassen. Aber die Umsetzung wurde mehrfach verschoben. Noch immer | |
verfügten nur die Hälfte der knapp 400 offiziell registrierten Schlachthöfe | |
über die baulichen und betrieblichen Voraussetzungen für die Umsetzung der | |
neuen Regel, so die Fifra. Der Verband warnt vor dem Verschwinden kleinerer | |
Schlachthöfe vor allem im ländlichen Raum. Vergangene Woche hatten seine | |
Vertreter bei einem Treffen mit den zuständigen Ministerien auf eine | |
weitere Verschiebung gedrängt. | |
Während das Arbeitsministerium und das Wirtschaftsministerium abwinkten, | |
legte die Regierung sogar nach. Statt des lilablauen Farbstempels, mit dem | |
die Rinderhälften bisher offiziell gekennzeichnet werden, müssen ab | |
Dienstag alle Teilstücke mit einem Etikett versehen werden, auf dem die | |
Betriebsnummer des Schlachthofs, das Datum der Verarbeitung, die | |
Bezeichnung des Erzeugnisses sowie dessen Gewicht stehen müssen. In | |
spätestens 180 Tagen muss die erst vergangenen Freitag beschlossene | |
Verordnung von allen Beteiligten umgesetzt sein. | |
Zustimmung kommt von den exportierenden Unternehmen. „Die Viertelung ist | |
ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Effizienz und modernisiert unsere | |
Branche“, so Mario Ravettino, Vorsitzender des Konsortiums der | |
argentinischen Fleischexporteure. Derzeit gebe es weltweit nur noch | |
Paraguay und Argentinien, die die Vermarktung in Form von | |
Schlachtkörperhälften aufrechterhalten. Sollte sich im letzten Moment | |
nichts mehr ändern, dann werden auch in Argentinien ab Dienstag keine | |
halben Rinder mehr ausgeliefert. Die dafür verantwortliche Behörde hat | |
bereits verstärkte Kontrollen angekündigt und bei Verstoß gegen die | |
Verordnung mit Bußgeld bis hin zur Betriebsstilllegung gedroht. | |
Neben der Gesundheit der Beschäftigten soll auch gewährleistet werden, dass | |
das Fleisch beim Abladen vom Lkw und Tragen in die Fleischerei nicht über | |
den Boden schleift, zumal jedes media res verpackungsfrei ausgeliefert | |
wird. Die Exportbranche fürchtet, dass dies von den Importländern als | |
mangelnde Hygiene ausgelegt und zu einem massiven Handelshindernis werden | |
könnte. | |
Doch der schmerzende Stachel im Fleisch der Exporteure ist die enorme | |
Informalität der gesamten Branche. Geschätzt wird, dass 60 bis 70 Prozent | |
aller Aktivitäten informell geleistet werden, sprich von Beschäftigten ohne | |
reguläre Arbeitsverträge – und dass ein erheblicher Teil des Geschäfts am | |
Fiskus vorbei abgewickelt wird. „In einer Produktionskette, in der jährlich | |
1 Milliarde Dollar hinterzogen wird, stößt jedes Vorhaben gegen die | |
Informalität auf Widerstand“, so Ravettino. | |
Wer die Regeln einhält, leidet unter Wettbewerbsverzerrung. Wer davon | |
profitiert, zeigt wenig Wille zur Änderung. Viertelung und Etikettierung | |
versprechen weniger Informalität und bessere Kontrolle, so der Tenor der | |
Exportbranche. | |
## Fleischkonsum geht zurück | |
Hinzu kommt ein schrumpfender Markt. Zwar stieg der Wert der argentinischen | |
Rindfleischexporte in den ersten sechs Monaten diese Jahres um gut 40 | |
Prozent auf 1,7 Milliarden Dollar gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das | |
Ausfuhrvolumen nahm jedoch nur um 0,5 Prozent auf 300.000 Tonnen zu. Davon | |
gingen gut 75 Prozent nach China. Doch in der zweiten Jahreshälfte sinken | |
die Weltmarktpreise, nicht zuletzt wegen der geringeren chinesischen | |
Nachfrage. Argentiniens Exportbranche ist so doppelt betroffen. | |
Der inländische Rindfleischkonsum ist bereits seit Jahren rückläufig. 2021 | |
war der Durchschnittsverbrauch pro Kopf mit 47,8 Kilo auf den niedrigsten | |
Stand seit 1920 gefallen. Mit 63 Kilo lag der Durchschnittsverbrauch pro | |
Kopf im Jahr 2013 zum letzten Mal über der 60-Kilo-Marke. Der Grund ist | |
allein [1][der gestiegene Preis]. Statt Rindfleisch wird mehr billigeres | |
Geflügel oder Schweinefleisch konsumiert. [2][Fleischverzicht] ist in | |
Argentinien kein Thema. Zum Vergleich: Der deutsche Pro-Kopf-Konsum lag im | |
vergangenen Jahr bei 9,8 Kilo Rindfleisch. | |
Mit der Viertelung der Rinder setzt die Regierung auf eine Senkung des | |
Fleischpreises gerade i[3][n den ärmeren Vierteln der Bevölkerung.] Da | |
keine halben Rinder mehr geliefert werden, können die örtlichen | |
Fleischereien günstigere Teilstücke ohne die teuren Filetstücke ordern, so | |
das Kalkül. Denn damit auch die teuren Filets über die Ladentheke gehen, | |
verringern die Fleischereien deren Preis über eine Art Umlage, die auf die | |
preisgünstigeren Stücke verteilt aufgeschlagen wird. Ob diese Umlage | |
tatsächlich entfällt, wird sich an der Fleischtheke zeigen, zumal bei | |
einer korrekten Abführung von Abgaben und Steuern der Fleischpreis steigen | |
müsste. | |
31 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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