# taz.de -- Die Wahrheit: Spinnen in Berlin | |
> Warme Tage in Berlin-Spandau, eine unaufhaltbare Invasion. Krieg! An den | |
> Fenstern krabbelt es unaufhörlich. Ein Friedensangebot wird ausgearbeitet | |
> … | |
Suchen Sie zufällig eine Wohnung? Dann werden Sie wissen, wovon ich | |
spreche. Auf dem Wohnungsmarkt herrscht Krieg. Sogar aus dem Weltall können | |
die endlos langen Schlangen und Schlachten um eine leer stehende Wohnung | |
verfolgt werden. Und dann passiert es ausgerechnet mir, dass ich in meiner | |
Wunschbleibe in Berlin stehe und den Mund nicht mehr zu kriege. Kaum sind | |
50 Jahre vergangen, zack, geht mein Traum in Erfüllung. | |
Ich selber bin mit Kohle und Stahl groß geworden. Das ist nicht schön, | |
deswegen haben wir uns damit getröstet, woanders ist es auch nicht besser. | |
Von wegen. Jetzt sollte ich das alles gegen den Ausblick auf die schmucke | |
Spandauer Altstadt eintauschen können. Innerlich habe ich ganz laut Ja | |
geschrien. | |
Zum Glück hatte ich noch einen Kopf dabei. Und was hat der gemacht? Das | |
Gehirn wollte wissen, ob es in Berlin-Spandau mit der Havel vor der Tür | |
schon einmal Hochwasser gegeben hatte. Oder Schwärme von lästigen Mücken | |
und was sonst noch so das schöne Wohnen vermiesen kann. | |
Dann bin ich zu der Einsicht gekommen, wer nichts weiß muss alles glauben, | |
also habe ich meine Detektivarbeit aufgenommen und bin Beobachterin | |
geworden. Bei Tag und bei Nacht, bei Regen und bei Sonnenschein. Was ich | |
von außen nicht gesehen habe, waren die Aufzüge. | |
## Einfach mal Pause machen | |
Meine zukünftige Nachbarin, eine flotte 80-Jährige, hat mich zu Fuß | |
probeweise in die obere Etage des Hochhauses begleitet mit den Worten „Frau | |
zu Kappenstein, Sie sind das ja nicht gewohnt, machen Sie zwischendrin | |
einfach mal Pause.“ Letztendlich bin ich eingezogen. Meine Lieblingsbleibe | |
blieb auch im Winter unauffällig. | |
Bis der Winter vorbei war und die Tage wärmer wurden. Dann kam eine | |
unaufhaltbare Invasion. Krieg! An allen Fenstern krabbelte es unaufhörlich. | |
Spinnen jeglicher Größe okkupierten meine Öffnungen. Ich wusste nicht mehr, | |
was ich machen sollte und habe um Hilfe geschrien. Der Hausmeister | |
beruhigte mich. Die Spinnen seien schon lange vor mir da gewesen. | |
Schließlich habe ich ein Friedensangebot ausgearbeitet. Das beinhaltete | |
eine ultimative Kaugummiabwehr. | |
Spinnen mögen den Geruch von gekautem Kaugummi sowenig wie wir den Duft von | |
Buttersäure. Inzwischen hängt mein Unterkiefer schon seit längerem vom | |
vielen Kaugummikauen schlaff im Gesicht. Wer mich besucht, kaut aus | |
Solidarität mit oder überreicht eine großzügige Gabe an gekauten Kaugummis | |
anstatt Wein oder Blumen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis unser | |
Spandauer Mietshaus ins Guinessbuch der Rekorde kommt: Hausfassade mit den | |
meisten gekauten Kaugummis. | |
Den Spinnen aber ist längst klar, hier wird zurückgesponnen. Am Fenster, | |
genau da, wo der Innenraum anfängt und massenweise gekaute Kaugummis den | |
Rahmen zieren, da gilt unverrückbar: Hier ist spinnenfreie Zone, hier | |
spinnt Frau zu Kappenstein. | |
25 Oct 2022 | |
## AUTOREN | |
Frau zu Kappenstein | |
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