# taz.de -- Die Wahrheit: Ganz groß rauskommen | |
> Im Fitnessstudio. Eine junge Frau. Selfies. Selfies. Selfies. Apropos, | |
> Blitz. Das ist doch die Blitzidee! | |
Während ich mir im Fitnessstudio die Hände wasche, tippt eine sehr junge | |
Frau sehr eifrig auf ihr Smartphone ein. Sie hat schwarze Haare, trägt ein | |
dickes schwarzes Brillengestell und ein sehr schwarzes Top, achsel- und | |
bauchfrei. Nach dem Tippen bewegt sie sich bei ihren Selfie-Posen vor den | |
anthrazitfarbenen WC-Fliesen hin und her, vor und zurück. Mit Blick zu mir: | |
Mich würde sie definitiv nicht fotografieren. | |
Ich bin beruhigt, da ich nur ganz schlecht mit den vielen Schwarztönen | |
korrespondieren würde. Das stille Örtchen hieß bislang ja so, weil es schön | |
im Verborgenen existierte. Bislang. Endlich kommt die Damentoilette dank | |
Smartphone ganz groß raus. Raus mit dem Klo also, hinein in die | |
Öffentlichkeit! | |
Dann überlege ich, was war bei mir an der Tagesordnung, als ich blond und | |
sehr jung war. Da gab es Hotpants, Parkas in Olivgrün und naturfarbene | |
Wildlederboots mit langen Fransen. Ins Internet habe ich es damit nicht | |
geschafft. Es musste noch erfunden werden. | |
Während ich gedanklich wehmütig zurückschaue, überfällt mich eine | |
Blitzidee, was ich tun kann, um zeitverzögert ganz groß rauszukommen. Die | |
Post will ihre alten Telefonhäuschen endgültig nicht mehr. Da komme ich ins | |
Spiel. Endlich eine eigene Telefonzelle, bei der ich nicht wie früher | |
ermahnt werde, mich kurzzufassen! Einen Aufstellort habe ich schon: gut | |
sichtbar an einer der längsten Straßen Berlins, der Ein- und Ausfallstrecke | |
namens Heerstraße. Einst marschierten hier Truppen auf, jetzt bin ich da zu | |
Gange. Zu wenig Aufmerksamkeit gibt es dort bestimmt nicht. Meine Chance | |
für die Präsentation meiner Ein- und Ausfälle. | |
In dieser gelben Zelle kann ich nach Herzenslust ich selbst sein, während | |
ich Kontakt mit dem Himmel, ja gleich mit Frau Göttin aufnehme. Mal | |
nachfragen etwa, ob die Sachen mit dem Festkleben auch im Himmel an der | |
Tagesordnung ist. Auf Erden hat das Festkleben schon seit anno dazumal | |
Tradition, und ein Ende ist nicht in Sicht. Allen voran in der Kirche. Die | |
Würdenträger in Frauenkleidern kleben unlösbar an der Macht. Direkt | |
dahinter folgen Amtsinhaber in Wirtschaft und Politik. Da wird mit | |
Jahrhundertkleber gearbeitet. | |
Siehe Friedrich Merz, ach nee, lohnt sich nicht, der ist einfach nur tumb | |
in den fünfziger Jahren kleben geblieben. Mich interessiert also, wie das | |
Thema im Himmel bei Frau Göttin behandelt wird. Dann kann ich die | |
himmlischen Informationen auf der Heerstraße verbreiten. Apropos | |
Münzfernsprecher: Der musste verschwinden, weil es keine Nachfrage mehr | |
nach ihm gab. So ist das, wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit | |
gehen. | |
Beim Verlassen der Muckibude lese ich dann: „Handyverbot im Fitnessstudio“. | |
Das hat das Handy bestimmt nicht gelesen. Oder es hat sich gesagt: „Ich | |
habe mich fokussiert. Komplett auf mich selbst.“ | |
23 Dec 2022 | |
## AUTOREN | |
Frau zu Kappenstein | |
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