| # taz.de -- Die Wahrheit: ¡Fuerza, Kastagnettenorchester! | |
| > Die Spanien-Woche der Wahrheit: Schlimmer geht immer, besonders, wenn es | |
| > sich um musikalische Hola-Darbietungen in der Nachbarwohnung handelt. | |
| Das kleine, dürftig isolierte Tonstudio in der Nachbarwohnung ist in Sachen | |
| Belegung nicht wählerisch. Nachdem ich monatelang Gangstarap-Sessions | |
| zuhörte, bei denen Teenies Rhymes wie „Isch ficke deine Mutter/ und isch | |
| bin noch kaputter / isch fick auch Deinen Vater/ im Puppenspieltheater“ | |
| über einen Beat spuckten, war eine Death Metal-Band zu Gast. Um die | |
| Mittagszeit wurde die Double-Bassdrum neu eingerichtet, und ich holte meine | |
| Teetasse vom Regal. | |
| Gegen Abend quälte sich der Sänger dazu, ein dünner Mann mit langem Haar, | |
| dessen Text-Book ich im Treppenhaus gefunden hatte: „Maggots are grey / | |
| organs decay / your rotting flesh / will make me crash“ hatte er gereimt. | |
| Ich kritzelte schnell eine Strophe dazu, „But love is great/ and I await / | |
| the sunny sight / of joy’s delight“, und trug es hinterher. | |
| Nach der Metal-Session nahm der Studiobetreiber eine irische Folkband auf. | |
| Das Gefiddel nervte fast noch mehr als der Gutturalgesang, darum war ich | |
| nicht unglücklich, dass die Iren nach einigem musikalischen Hickhack um | |
| eine „fair maid“ die ihr „cockoo’s nest“ nicht protestfrei zur Verfü… | |
| stellen wollte, ihre Mützen auf die roten Locken drückten und von dannen | |
| zogen. | |
| ## Zwergponys im Treppenhaus | |
| Als ich nach zwei Tagen Ruhe eines Morgens auf meinem Sitzball eingenickt | |
| war, träumte ich, dass eine Herde Zwergponys durch das Treppenhaus | |
| galoppierte. Ich schaute durch den Türspion: Eine Frau in einem mit Volants | |
| verzierten Flamenco-Kleid und klappernden Schuhen tänzelte hinauf, ihr | |
| folgten ein paar Männer mit Kastagnetten in den Händen, der letzte wuchtete | |
| eine Kiste Rioja. | |
| Die folgende Woche war ein fiebriger Alptraum aus Zapateados, | |
| Rasgueado-Gitarrenspiel und Gesang. Inhaltlich schien es meistens um die | |
| Liebe zu gehen, und zwar zwischen diversen „mujeres“ und „hombres“, die | |
| sich gegenseitig oder auch untereinander voller Leidenschaft ihre | |
| „corazónes“ brachen. Der Rioja floss in Strömen, abends wurde Osborne | |
| Veterano ausgepackt, wie ich am Inhalt des Glascontainers erkannte. Jeden | |
| Morgen hörte ich durch die dünnen Wände, wie sich die Männer im Bad (bis | |
| auf ihre Schnauzer) rasierten, was mir recht sinnlos erschien, denn schon | |
| mittags hatten sie wieder einen Dreitagebart. | |
| Irgendwann hielt ich das Gejammer und Gestampfe nicht mehr aus. Ich | |
| googelte „Wann ist Schluss?“ und klopfte an der Studiotür. Hübsche braune, | |
| bereits etwas glasige Augenpaare starrten mich an. „Cuándo se acaba?“ | |
| fragte ich. Keine Reaktion. “Cuándo se acaba??“. Spanien schaute | |
| verständnislos. | |
| Ich überlegte kurz, ob ich einen Aussprachefehler gemacht hatte. Dann | |
| erkannte ich das Problem. Ich nahm eines der Fragezeichen, stellte es vor | |
| der Frage auf den Kopf, und wiederholte: “¿Cuándo se acaba?“ “Ahhh si!�… | |
| nickte Spanien, “pronto, pronto!“. Man winkte mich mit einem Glas Rioja | |
| herein und schenkte mir ein Paar Kastagnetten. Ich habe mir Ohrringe daraus | |
| gebastelt. Als Erinnerung, ay-ay-ay. | |
| 19 Oct 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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