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# taz.de -- Juventus Turin in der Krise: Strafcamp und pure Verzweiflung
> Vor dem Stadtderby gegen den FC Turin befindet sich Juventus in prekärer
> Lage. Den Verein plagen Schulden und wenig Punkte.
Bild: Mitleideserregend: Kapitän Bonucci verbirgt sein Gesicht in seinem Triko…
Der Absturz könnte schlimmer kaum sein. Auf Platz 8 mit 10 Punkten
Rückstand auf Tabellenführer Neapel steht der einstige Branchenführer
Juventus Turin in der Serie A. In der Champions League muss Juve nach drei
Niederlagen darum bangen, die K.-o.-Runde zu erreichen. Zur spielerischen
Dürftigkeit und zur riesengroß klaffenden Finanzlücke von mehr als 250
Millionen Euro in der letzten Bilanz kommt jetzt noch hinzu: Nicht einmal
ein anständiges Straftrainingslager klappt.
Nach der bitteren 0:2-Pleite gegen Maccabi Haifa hatte [1][Präsident Andrea
Agnelli] verbal geschäumt: „Ich schäme mich dafür, was geschehen ist. Ich
bin wütend.“ Er konstatierte einen Mangel an Einstellung bei vielen
Spielern und eine „negative Alchemie“ zwischen Spielern und Trainerstab.
Ganz offen drohte er: „Egal, um wen es sich handelt, wie viel er verdient
oder wie sein Status ist: Wer jetzt nicht Herz und Seele zeigt, ist weg von
Juventus.“
Das ist pure Verzweiflung. Was macht ein überforderter Alchemist, wenn die
Substanzen nicht so reagieren, wie es im Schwarzen Buch steht? Er kippt
noch ein paar Mittelchen mehr hinein und lässt die Flammen höher lodern.
Dabei allerdings fing die ganze Bude Feuer. Denn das angedrohte
Straftrainingslager machte die Fliehkräfte bei Juventus Turin nur noch
deutlicher. Angel de Maria setzte sich nach Ankunft aus Israel einfach in
seinen Jeep und brauste davon.
Gut, der Argentinier war angeschlagen. Aber wenn bei Motivationsevents wie
einem Trainingslager hinter verschlossenen Türen ausgerechnet die, die
besonders motiviert werden müssen, fehlen, darf man am dem Sinn des Ganzen
zweifeln. Weil auch andere Spieler desertierten, wurde das Strafcamp um
eine Nacht verkürzt. Selbst die Hardcore Fanpostille Radio Bianconero
spottete und bezeichnete die Disziplinarmaßnahme als simple „Einladung zum
Essen“. Kapitän Leonardo Bonucci wurde vorgeworfen, der Binde nicht würdig
zu sein, weil er eben die Truppe nicht zusammenhalte.
## Schon lange ohne Spielidee
Das stimmt. Es fehlt diesem wild zusammengekauften Haufen an Struktur und
Zusammenhalt. Man kann die Spieler dafür verantwortlich machen. So lustlos
und planlos, wie sie gegen Haifa agierten, bieten sie breite
Angriffsfläche. Aber auch Coach Massimiliano Allegri wirkt ratlos. Ihm
gelingt es nicht, dauerhaft die Defensive zu stabilisieren, einst das
Prunkstück der Alten Dame.
Eine Spielidee erwartet man schon lange nicht mehr von ihm. [2][Er war nach
den fehlgeschlagenen Revolutionsversuchen] in Sachen Spielkultur durch die
Trainer Maurizio Sarri und Andrea Pirlo mit der untersten Anspruchshaltung
geholt worden: Ergebnisse sollten her, egal wie. Aber das misslingt enorm.
Die noch humoristisch gestimmten unter den enttäuschten Fans
veröffentlichten ein Fahndungsplakat: Gesucht werde ein 55-jähriger Mann
aus Livorno, der seit zehn Jahren vortäusche, Fußballtrainer zu sein.
Allegri, Jahrgang 1967, kommt aus Livorno.
Die meisten suchen die Fehlerquelle aber weiter oben in der Hierarchie,
beim Präsidenten Agnelli. Die für ihre verbale wie physische Rabiatheit
berüchtigten Hooligans des, nun ja, Fanklub Vikings ätzten, dass, solange
Agnelli nur „die Farbe der Vorhänge in den Büros und die Dicke des
Toilettenpapiers in den Bädern der 1. Mannschschaft bestimmt“ habe, sei
alles prima gelaufen. Die Titel kamen, und auch das Finale der Champions
League wurde erreicht. Dann aber habe er tatsächlich Präsident spielen
wollen. Er jagte Giuseppe Marotta weg, den Sportdirektor, der Juventus nach
dem Zwangsabstieg aufgebaut hatte, und auch die Trainer Sarri und Pirlo.
„Er ließ sogar die Streifen auf dem Trikot verschwinden, schaffte das
traditionsreiche Logo ab und vertrieb die Ultras aus dem Stadion.“
Die Analyse hält in weiten Teilen der Realität stand. Seitdem der
Industriellensohn sich von seinen kompetentesten Mitarbeitern trennte, am
Erscheinungsbild herumdokterte und der alchemistischen Idee erlag, die
Millionen, die man für einen Cristiano Ronaldo braucht, brächten
automatisch die Champions League, geht es im Sauseschritt bergab. [3][558
Millionen Euro Mehrausgaben] bei Spielerkäufen leistete sich Juventus seit
2018, errechnete die Gazzetta dello Sport. Die sportliche Bilanz seitdem
ist aber mager. So mager, dass vor dem Stadtderby am Samstagabend gegen den
eigentlich mittelprächtigen FC Turin Juventus für manche als Außenseiter
gilt.
15 Oct 2022
## LINKS
[1] /Juventus-Chef-Agnelli-vor-Gericht/!5445278
[2] /Juventus-Turin-scheitert-erneut/!5838734
[3] /Ermittlungen-gegen-Juventus-Turin/!5815694
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Juventus Turin
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