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# taz.de -- Die Wahrheit: Mein Küchenempfangsgerät
> Die alte Küche wärmt nicht nur die kalten Finger, sondern auch das Herz,
> wenn plötzlich aus der Röhre Zärtliches erklingt.
Bild: Los Restos im typisch spanischen Interieur der 1960er Jahre
Neulich war mir kalt, auch ich versuche, Energie zu sparen. Um mich
aufzuwärmen, hielt ich morgens zärtlich meinen rechten Zeigefinger in die
langsam aufkochende Milch, die sich im „Emailtopf“ auf dem ollen
Elektroherd befand.
Vor dem stand letztens die Tochter einer Freundin, wollte wissen, was das
sei. Zirka elf Jahre ist sie alt. Ich so: „Ein Elektroherd.“ Sie so: „Und
was machen die komischen großen schwarzen Knöpfe da oben drauf?“ Ich
erklärte ihr, dass es sich, auch wenn die „Platten“ durch 23-jähriges
Wohnen in der Mietwohnung leicht verkohlt seien, um sogenannte Kochplatten
handle, auf denen man durchaus „etwas zaubern“ könne. Sie nickte andächtig
mit dem Kopf, dann setzte sie mir altersgerecht altklug die Vorzüge eines
„Zebrakochfelds“ auseinander, sie meinte wohl „Cerankochfeld“.
Ihr sprachliches Vertun kann ich verstehen, stand ich doch beim Erwerb
besagten „Emailmilchtopfs“ vor ihm und dachte: „Was bloß hat eine Email …
einem Topf zu tun?“, und dann: „Muss ich jetzt ins Netz zum Milchkochen?“
Erst nach längerem Verweilen in meinem Lieblingswarenhaus, das bald von
einem grausamen österreichischen Großinvestor geschreddert werden wird, und
nach vielmaligem Lesen des Wortes „Emailtopf“ wurde mir klar, dass es sich
beim ersten Wortteil um eine Masse handelt von „anorganischer
Zusammensetzung, meist aus Silikaten und Oxiden bestehend, die durch
Schmelzen, Fritten oder Sintern in meist glasig erstarrter Form hergestellt
wird“, wie Wikipedia weiß, danke dafür.
Doch eigentlich wollte ich hier auf anderes hinaus in unserer komplett
verwohnten Kuchl mit der rund 30 Jahre alten Einbauküche, Marke Bauhaus
ausgemustert. Immerhin ließen sich einst in Berlin Wohnungen mit Kuchl
inklusive mieten. Das waren noch Zeiten, und damals gab es auch schon
Probleme.
Vor 30 oder 40 Jahren gab es auch sehr schöne Radioempfänger, die in Küchen
wohnten, auf Anrichten, Tischen oder wackligen Klappstühlen. Und diese
klobigen, silbrig- oder schwarzglänzenden Ungetüme besaßen meist ein
Kassettendeck. Gegeben wurden selbst aufgenommene Hitparaden
angeschlossener Funkhäuser, ächzende und gefühlt quarzende
Leonard-Cohen-Kassetten, die irgendwann unter Tränen in einem Bandsalat
endeten – und Pumuckl. In meiner Küche steht noch ein solcher
Radioempfänger mit Kassettendeck, von meiner Oma mütterlicherseits selig
habe ich ihn geerbt. Ich halte ihn in Ehren, auch seine Aufkleber. Das
Kassettendeck klemmt leider seit zwölf Jahren.
Dafür hat er mich letztens mit Rockröhre Suzi Quatro beschallt, als ich
seinen Einschaltschalter links außen nach oben zog. Eigentlich ist er stets
auf Deutschlandfunk geeicht. „Stumblin’ In … our love is alive“, tönte…
plötzlich aus meinem Küchenempfangsgerät – es war ein ähnlich zärtlicher
Moment, wie der mit dem Zeigefinger in der langsam aufkochenden Milch. Der
Winter kann kommen.
11 Oct 2022
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Küche
Wohnen
Kälte
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
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