Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Regionalwahlen in Russland: Millionen Preise für ein Kreuz
> Russland hat in mehreren Regionen mitten im Krieg abgestimmt. Wegen
> „Diskreditierung der Armee“ droht so manchem Abgeordneten eine
> Haftstrafe.
Bild: Traditionell: Ein Wahlbüro während der aktuellen Regionalwahlen im russ…
Moskau taz „Die Glückspilze“, sagt die Moderatorin des Moskauer staatlichen
Fernsehsenders „Moskwa 24“ und strahlt. Es sind Wahlen in Russland – und
der Sender verlost Autos. „Gestern 50, heute 30, morgen nochmals 20. Dazu
gibt es noch Millionen weiterer Preise.“ Dafür müssen die Moskauer*innen
online für ihre [1][Bezirksabgeordneten abstimmen].
Der Begriff „Wahl“ aber führt in Russland seit Jahren in die Irre.
Abstimmungen dienen lediglich der Bestätigung der bestehenden Macht und der
Positionierung von kremlloyalen Kandidaten in allen Regionen des Landes.
Wahlzettel werden gefälscht, Staatsangestellte zur Wahl gedrängt. Selbst
die Systemopposition – also die Abgeordneten, die nicht der
Regierungspartei „Einiges Russland“ angehören, bei Gesetzesvorhaben aber
letztlich immer so abstimmen wie „Einiges Russland“ – hatte bei dieser Wa…
kaum Gewicht. Viele unabhängige Oppositionelle wurden gar nicht erst zur
Wahl zugelassen oder im letzten Moment von den Wahlzetteln gestrichen.
Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, den der Kreml offiziell
„militärische Spezialoperation“ nennt, haben zudem viele Liberale das Land
verlassen. Harsche Gesetze bringen Kritiker*innen des russischen
Feldzugs hinter Gitter. „Diskreditierung der Armee“ ist ein machtvolles
Instrument, um alle, die etwas am Staat auszusetzen haben, zum Schweigen zu
bringen.
So ergeht es gerade auch sieben Abgeordneten des Sankt Petersburger
Stadtbezirks Smolny. Vor wenigen Tagen hatten sie [2][ein Ersuchen an die
Staatsduma], das Unterhaus des russischen Parlaments, gerichtet. Darin
fordern sie Russlands Präsident Wladimir Putin zum Rücktritt auf. Sie
werfen ihm Staatsverrat vor, weil der Krieg in der Ukraine zum Tod
russischer Soldaten, Schwierigkeiten in der russischen Wirtschaft und zur
Erweiterung der Nato geführt habe, steht in dem Schreiben.
## Vorwurf: „Diskreditierung der Armee“
Nikita Juferew, einer der Initiatoren, hatte bereits im Februar Putin
offiziell dazu aufgefordert, den Krieg zu beenden. Daraufhin hatte ihn die
Kremladministration darüber informiert, dass es sich in der Ukraine um eine
„militärische Spezialoperation“ handele. Nun werden auch Jeferew und seine
Mitstreiter*innen wegen „Diskreditierung der Armee“ belangt. Zunächst
droht eine Ordnungsstrafe, mehrere davon können zum Straftatbestand führen.
Parallel dazu hat in den letzten Tagen auch der Abgeordnetenrat des
Moskauer Stadtbezirks Lomonossow Putin zum Rücktritt aufgefordert. Beide
Stadtbezirke in Sankt Petersburg und Moskau gelten als liberaler und
dadurch weniger kremlnah.
In dieser Atmosphäre der Angst und Apathie ist die Regionalabstimmung an
drei aufeinanderfolgenden Tagen letztlich ein Spiel um Fahrzeuge,
Metro-Karten und Ermäßigungen beim Kleiderkauf. Die Wahlbeteiligung ist
niedrig, viele Russ*innen wissen gar nicht, dass eine Wahl stattfindet,
vielen ist sie auch vollkommen egal, weil sie keinen Sinn in einer
Abstimmung erkennen. In Moskau, so legen es offizielle Zahlen dar, seien 28
Prozent der Wahlberechtigten zur Stadtteilwahl gegangen. Die unabhängige
Wahlbeobachtungsorganisation „Golos“ – von den russischen Behörden zum
„ausländischen Agenten“ erklärt – berichtet seit Freitag von
Manipulationen. Vor allem die elektronische Abstimmung sei fehleranfällig,
weil jegliche Kontrolle fehle.
Die Hauptstadt feiert derweil ihren Stadtgeburtstag, mit Aktionen für
Kinder und der Einweihung eines Riesenrads, auch Putin sagte ein paar Worte
vor dem Fahrgeschäft. Das Rad aber stellte den Betrieb nach ein paar
Fahrten bereits wieder ein. Defekt. Die Wahl verkommt zu einer Farce und
erinnert mit all den Wettkämpfen, der Tombola, dem Feuerwerk am Abend an
Urnengänge in der Sowjetunion, die stets den Charakter einer Feier trugen,
aber kein politisches Gewicht hatten. Die Fahnen an den Wahllokalen der
Hauptstadt wehen, die Menschen aber versammeln sich lieber am Mini-Nachbau
eines Flussterminals und schauen den Modellbooten beim Rennen zu.
Vor allem die vom Kreml abgesetzten oppositionellen Kandidat*innen
versuchen, ihren Nachbarn zu vermitteln, dass eine Wahl auch Protest sein
kann. Gehört werden sie kaum. Einer der sieben Petersburger Abgeordneten
schrieb [3][am Sonntag auf Twitter]: „Ich möchte Sie daran erinnern, dass
die Bezirksabgeordneten in Smolny von echten Menschen gewählt wurden, die
in die Wahllokale gingen. Alle Abgeordneten, die das Ersuchen an die
Staatsduma gerichtet hatten, wurden von der [4][„Smart Voting App“] (die
App, die von Anhängern Alexei Nawalnys als Anti-Kreml-Wahltaktik entwickelt
wurde, Anm. d. Red.) empfohlen. Das hat uns sehr geholfen. Stimmen Sie
bitte ab, es macht Sinn“.
Mitarbeit: Gemma Terés Arilla
12 Sep 2022
## LINKS
[1] /Regionalwahlen-in-Russland/!5880894
[2] https://twitter.com/dmitry_palyuga/status/1567554776144953347
[3] https://twitter.com/dmitry_palyuga/status/1568880880034398208
[4] https://votesmart.appspot.com/
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Wladimir Putin
Ukraine
GNS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Russlands Defensive in der Ukraine: Die neuen Euphemismen
Russische Politiker*innen, Militärexperten und TV-Propagandist*innen
ringen um Erklärungen. Von Niederlage und Rückzug sprechen sie nicht.
Putins Angriffskrieg in der Ukraine: Rache per Luftangriff
Ukrainische Truppen rücken östlich und nordöstlich von Charkiw vor.
Russland reagiert und bombardiert die ukrainische Strom- und
Wasserversorgung.
Regionalwahlen in Russland: Eine Wahl ohne Auswahl
An diesem Wochenende sind Wahlen in Russland, die Opposition hat es schwer.
Der Moskauer Nikolai Kassjan tritt an. Wenn der Staat ihn lässt.
Rede von Wladimir Putin in Wladiwostok: Ungebrochener Größenwahn
Der Kremlchef gibt sich trotz der EU-Sanktionen weiter selbstbewusst. Doch
der Handel mit alternativen Partnern ist gar nicht so unkompliziert.
Wirtschaftsforum in Wladiwostok: Putin teilt gegen den Westen aus
Der russische Präsident erklärt seine Weltsicht: Der Westen führe alle in
den Abgrund, in der Ukraine werde er seine Pflicht bis zum Ende erfüllen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.