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# taz.de -- Schon bei 1,5 Grad Erderhitzung: Das Klima kippt früher
> Forscher:innen warnen in einer Studie: Schon in wenigen Jahren droht
> eine planetare Kettenreaktion, mit der die Klimakrise sich
> verselbstständigt.
Bild: Der schmelzende Eisschild Grönlands hat den weltweiten Meeresspiegel sei…
Exeter/Berlin dpa/taz | Sie sind das Damoklesschwert der sich ohnehin
stetig verschärfenden Klimakrise: die Kipppunkte des Klimasystems. Heizt
sich die Erde zu stark auf, könnten Elemente des Klimasystems komplett
außer Kontrolle geraten – und das Leben auf der Erde unumkehrbar
erschweren.
Wann genau diese Kipppunkte drohen, gilt bislang allerdings auch in
Fachkreisen noch als ungewiss. Ein internationales Forschungsteam ist jetzt
nach Auswertung von Studien aus mehr als einem Jahrzehnt zu dem Thema zu
dem Schluss gekommen, dass wir vier der gefährlichen ökologischen Schwellen
schon 2030 überschreiten könnten.
Zwei der Kipppunkte betreffen den grönländischen Eisschild beziehungsweise
den westantarktischen Eisschild. Die Überschreitung der Schwelle könnte zu
einer Dynamik führen, die die Eisschilde auch dann weiter abschmelzen
lässt, wenn sich die Temperatur auf der Erde durch ein Stoppen der
Treibhausgas-Emissionen nicht weiter erhöht, berichtet das Team um David
Armstrong McKay und Timothy Lenton von der britischen University of Exeter
[1][in der Fachzeitschrift Science].
Lenton gehört zu den Forscher:innen, die 2008 [2][erstmals Kipppunkte für
das Weltklima benannten]. Sie definierten Kipppunkte als „eine kritische
Schwelle, an der eine winzige Störung den Zustand oder die Entwicklung
eines Systems qualitativ verändern kann“. Wenn beispielsweise ein
[3][Gletscher beim Abschmelzen] an Höhe verliert, gerät seine Oberfläche in
niedrigere, wärmere Luftschichten, was das Abschmelzen beschleunigt.
## 9 weltweit relevante Kipppunkte
Seit 2008 sind mehr als 200 Studien [4][zum Thema „Kipppunkte“] erschienen.
Armstrong McKay, Lenton und Kolleg:innen haben sie sorgsam studiert und
auf der Basis ein aktualisiertes Modell der Klima-Kipppunkte erstellt. Sie
ermitteln neun Kipppunkte, die für das weltweite Klima relevant sind, und
sieben Kipppunkte, die immerhin weitreichende regionale Auswirkungen haben.
Die Forscher:innen kommen zu der Einschätzung, dass beim Erreichen einer
Erderwärmung von durchschnittlich 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum
vorindustriellen Zeitalter vier Kipppunkte erreicht werden: beim
grönländischen und westantarktischen Eisschild, beim Absterben der
tropischen Korallenriffe und beim Tauen des Permafrostbodens.
Aufgrund der Entwicklung in den vergangenen Jahren prognostizieren sie,
dass die 1,5 Grad bereits im Jahr 2030 Wirklichkeit werden. Der
Weltklimarat IPCC, ein internationales Gremium führender
Wissenschaftler:innen, war im vergangenen Jahr von einem Zeitpunkt in den
frühen Dreißigerjahren ausgegangen. Im vergangenen Jahr lagen die
Temperaturen im globalen Schnitt 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau,
im Vorjahr waren es sogar schon 1,2 Grad.
Wenn alle politischen Klimaziele, die Regierungen in mehr oder weniger
verbindlicher Form ausgerufen haben, vollständig erreicht werden, läuft das
bis zum Ende des Jahrhunderts auf eine globale Erhitzung von 1,8 Grad
hinaus. Das haben Expert:innen von zwei Thinktanks mit ihrem Projekt
Climate Action Tracker ermittelt.
Das ist bereits eine überaus optimistische Rechnung, denn zu vielen dieser
Ziele gibt es noch keine passenden Maßnahmen. Guckt man sich nur an, welche
konkreten Schritte schon beschlossen wurden, sieht das Ergebnis noch
dramatischer aus: Dann erhitzt sich die Erde wahrscheinlich um 2,7 Grad.
„Damit ist die Erde geradewegs auf Kurs, mehrere gefährliche Schwellenwerte
zu überschreiten, die für die Menschen auf der ganzen Welt katastrophale
Folgen haben würden“, warnt Johan Rockström, Mitautor der Studie und Chef
des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.
Mit der Annäherung der Erderwärmung an zwei Grad werden weitere Kipppunkte
möglich: das Abschmelzen der Gebirgsgletscher außerhalb der Polargebiete
sowie das Absterben des borealen Nadelwalds im südlichen
Verbreitungsgebiet.
Für Europa besonders relevant sind aber die Änderungen beim Golfstrom, dem
Teil der atlantischen Umwälzzirkulation, die für milde Temperaturen in
Europa sorgt. Den Forschenden zufolge wird ein Zusammenbrechen eines
Golfstromausläufers südlich von Grönland immer wahrscheinlicher, was sich
auch auf die gesamte Umwälzzirkulation auswirke. Dass die gesamte
atlantische Zirkulation – und damit der Golfstrom – zusammenbrechen könnte,
werde jedoch erst bei einer Erderwärmung von mehr als vier Grad
wahrscheinlich.
Auch bei den Eisschilden gehen die Forscher:innen von einem Prozess von
2.000 Jahren (westantarktischer Eisschild) oder 10.000 Jahren
(grönländischer Eisschild) bis zum völligen Abschmelzen aus. Bei anderen
Teilen der Antarktis würden die Kipppunkte erst bei einer Erderwärmung von
drei bis sieben Grad erreicht.
Sollten jedoch alle polaren Eiskappen abschmelzen, würde sich der weltweite
Meeresspiegel um etwa 66 Meter erhöhen. Auch andere Folgen des Klimawandels
könnten katastrophale Auswirkungen auf das Leben auf der Erde haben.
Deshalb mahnt Rockström: „Um gute Lebensbedingungen auf der Erde zu
erhalten, die Menschen vor zunehmenden Extremen zu schützen und stabile
Gesellschaften zu ermöglichen, müssen wir alles tun, um das Überschreiten
von Kipppunkten zu verhindern – jedes Zehntelgrad zählt.“
9 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.science.org/doi/10.1126/science.abn7950
[2] /Forscher-ueber-Klimanotstand/!5645275
[3] /Dramatischer-Eisverlust-in-den-Alpen/!5876249
[4] /Aufruf-zum-Handeln-gegen-Klimakrise/!5831893
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