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# taz.de -- Russ*innen an tschechischen Unis: Studieren unter Vorbehalt
> Seit dem Krieg bleiben russischen Studierenden in Tschechien bestimmte
> Fächer verwehrt – und sie müssen ihre Antikriegshaltung beweisen.
Bild: Menschenkette zur Unterstützung der Ukraine in der Prager Altstadt am 24…
Prag taz | Russlands Angriff auf die Ukraine sorgte bei
Universitätsprofessor Martin Dlouhý für Gewissensbisse. [1][Der Krieg]
würde ihn dazu bewegen, keine russischen Studierenden mehr zu unterrichten,
zu prüfen oder mit ihnen zu forschen. „Ich weiß, dass das im Widerspruch zu
meinen beruflichen Pflichten steht“, twitterte Dlouhý zu Kriegsbeginn.
Er ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Ökonometrie an der Prager
Wirtschaftshochschule VŠE und Abgeordneter der proeuropäischen
Regierungspartei TOP 09 im Stadtrat von Prag. „Aber Bürger eines
feindlichen Staates zu unterrichten ist für mich aus moralischen Gründen in
der gegenwärtigen Situation inakzeptabel“, appellierte der 52-jährige
Wirtschaftsmathematiker an seine Vorgesetzten und Kollegen. Auch sie
sollten ihren Beitrag leisten: „Ich bitte meinen Arbeitgeber um Verständnis
und Unterstützung.“
Allerdings stieß Dlouhýs empörter Tweet im Dekanat der Hochschule im Prager
Stadtteil Žižkov nicht auf offene Türen. Die Hochschule gehört mit 14.000
Studierenden zu den größten Bildungseinrichtungen in Tschechien. „Die VŠE
hat dank der enormen internationalen Mobilität ihrer Studenten und
Akademiker, einer engen Zusammenarbeit mit Partneruniversitäten weltweit
wie auch ihrer Studenten aus dem Ausland schon immer intensive
freundschaftliche Beziehungen zwischen allen Ländern und Nationen
gefördert“, kommentierte die PR-Abteilung der Hochschule den
Empörungstweet des Professors.
Außerdem unterrichte der Wissenschaftler gar keine Russen, sagte der Dekan
der Fakultät für Informatik und Mathematik, unter die auch Dlouhýs
Fachbereich fällt.
## Gefundenes Fressen für Moskaus Propagandisten
Als am Tag darauf sogar Bildungsminister Petr Gazdík – der inzwischen nach
einem Korruptionsskandal zurückgetreten ist – auf den „moralischen“ Appe…
Dlouhýs reagierte, hatte der seinen Tweet längst wieder gelöscht. Er war
ihm dann wohl doch zu entlarvend. Er sei eben sauer gewesen, wollte aber
keinesfalls den Anschein erwecken, dass er dem Prinzip der Kollektivschuld
folge.
Die Forderung des Ministers war jedoch eindeutig: „Bitte lassen Sie nicht
zu, dass die negativen Folgen der aktuellen Kriegsereignisse in das
Bildungssystem einfließen. Wir sollten immer daran denken, dass Kinder
nicht für das Verhalten von Erwachsenen verantwortlich sind und dass eine
wichtige Aufgabe der Schulen darin besteht, gesunde Beziehungen in
schwierigen historischen Zeiten zu fördern.“ Und Gazdíks Kritik ging noch
weiter: „Schulen gehören nicht in den Graben zwischen uns und ihnen oder in
kriegerische Auseinandersetzungen.“
Ganz anders fielen die Reaktionen im fernen Moskau aus. Dort kam der
emotionale Tweet des Professors gerade richtig, um [2][den russischen
Desinformations- und Propagandaapparat] zu füttern. Zwei Monate darauf
beklagte sich eine angebliche Soziologiestudentin namens Liza im russischen
Staatsfernsehen Russia Today bitter. Und zwar darüber, dass sie an der
Prager Karls-Universität schikaniert und schließlich rausgeworfen worden
sei, weil man dort keinen Platz für Russen habe.
Aber offenbar waren die Aussagen frei erfunden: „Durch unser
Informationssystem kann ich bestätigen, dass im aktuellen Semester keine
Studentin namens,Liza' an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der
Karls-Universität immatrikuliert ist“, teilte eine Sprecherin der
Hochschule mit.
## Strategische Fächer nicht für Russ*innen
Tschechien ist schon lange beliebt bei Studierenden aus Russland und
Belarus. Das Land gilt als sicher, angenehm und die Preise sind bezahlbar.
Ein tschechischer Studienabschluss ist zudem in der gesamten EU anerkannt.
„Manche sehen den Abschluss als Tor in den Westen“, sagt Marek Příhoda,
Dozent für Russistik an der Karls-Universität. Innerhalb der vergangenen
zehn Jahre hat sich die Zahl Studierender aus Russland in Tschechien
verdreifacht: Insgesamt 7.526 Personen haben sich für das Studienjahr
2021/22 an tschechischen Universitäten immatrikuliert.
Russlands Krieg in der Ukraine macht es ihnen dort nun schwerer. Auch wenn
viele sich privat wie öffentlich von Krieg und Putin-Regime distanzieren.
Die Sanktionen haben nicht nur die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für
russische Bürger verschärft. Für das kommende Studienjahr dürften Anwärtern
aus Russland und Belarus kaum noch Studentenvisa ausgestellt werden.
Da die Sanktionen ein Verbot „direkter oder indirekter technischer Hilfe“
für Russland und Belarus beinhalten, wirken sie sich auch auf die
Fächerwahl aus. Man könne ja nicht IT-Experten ausbilden, um Putin dann
seine zukünftigen Hacker zurückzuschicken. Oder Kernphysiker könnten auch
ein Problem werden – so lautet die einhellige Meinung. Strategische Fächer
wie Informatik, Nanotechnologie, manche Ingenieursstudiengänge, Robotik
oder Luftfahrt bleiben Russen und Belarussen bis auf Weiteres verwehrt.
Die größte und bekannteste Technische Universität des Landes in Prag, kurz
ČVUT, hat sich einen besonderen Ansatz für Studierende aus beiden Ländern
ausgedacht. Sie fordert von ihnen jetzt ein Motivationsschreiben. „Das
kann, muss aber nicht etwaige Aktivitäten in der Ukrainehilfe enthalten,
eine Haltung gegen den Krieg klarmachen oder darlegen, warum eine Rückkehr
in die Heimat als Gefährdung gelten könnte“, heißt es in einer Anweisung
des Rektorats der Hochschule. Die Leitung entscheidet dann auf Grundlage
eines solchen Motivationsschreibens, ob ein weiteres Studium an der Uni
möglich ist.
7 Sep 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[2] /Desinformation-als-politische-Waffe/!5848706
## AUTOREN
Alexandra Mostyn
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Tschechien
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Russland
Andrej Babis
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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