| # taz.de -- Studie zu Social Media-Abhängigkeit: Hat es gerade vibriert? | |
| > Eine neue Studie aus den USA zeigt, dass viele Erwachsenen unter | |
| > ständigem Nachrichtenkonsum leiden. Unsere Autorin befürchtet: Sie gehört | |
| > dazu. | |
| Bild: Breaking News: Heute ersetzt das Vibrieren des Smartphones den Ruf des Ze… | |
| Vermutlich kennen wir sie alle. Die Freund*innen, die während des | |
| gemeinsamen Spieleabends ständig auf ihr Handy schauen. Und vermutlich | |
| kommen wir fast alle zu dem Schluss: Das nervt. So sehr, dass es bereits | |
| Spiele gibt, die voraussetzen, das eigene Smartphone in die Mitte des | |
| Tisches zu legen, damit nicht ständig gescrollt wird. | |
| Ich muss zugeben: Ich gehöre zu ihnen. Also reiße ich mich zusammen. | |
| Versuche, bewusst nicht auf den Bildschirm zu schauen. Doch schnell merke | |
| ich, dass sich meine Gedanken trotzdem ständig um die zuletzt gelesenen | |
| Push-Meldungen drehen. Um den letzten Twitter-Thread oder um die neuesten | |
| Zahlen, die das Ausmaß der Inflation aufzeigen. Das ist nicht nur | |
| gefährlich für die Stimmung beim Spieleabend, sondern vor allem für die | |
| psychische und körperliche Gesundheit. | |
| Genau das zeigt eine Studie eines Forschungstrios auf, die in dem | |
| Fachmagazin Health Communication veröffentlicht wurde. Sie heißt | |
| [1][„Gefangen in einer gefährlichen Welt“], 1.100 Erwachsene in den USA | |
| nahmen daran teil. Die Studie thematisiert die Auswirkungen eines | |
| problematischen Nachrichtenkonsums. | |
| Problematisch. Ein Wort, das ich nicht gerne mit mir in Verbindung bringe. | |
| Doch bevor der „Ich doch nicht“-Reflex beim Lesen der Studie dazu führt, | |
| dass ich guten Gewissens rüber zu Twitter wische und mich weiter von | |
| aktuellen Nachrichten berieseln lasse, lese ich weiter. Und merke schnell: | |
| Ich könnte auch unter die 16,6 Prozent fallen. | |
| Unter die 16,6 Prozent, die laut der Online-Umfrage einen „sehr | |
| problematischen Nachrichtenkonsum“ aufweisen. Problematisch meint hier etwa | |
| das unkontrollierte Überprüfen von Nachrichten. Und sich dann von dem | |
| Gelesenen nicht mehr lösen zu können, ständig darüber nachdenken zu müssen. | |
| Gefangen in der gefährlichen Welt der Push-Meldungen bedeutet in diesem | |
| Fall auch: abgekapselt zu sein von der realen Welt. Etwas, das ich täglich | |
| erlebe. | |
| Erst letztens beim gemeinsame Mittagessen gab es da diese Situation. Es | |
| fing ganz unproblematisch an. Zwei Freund*innen essen gemeinsam. Reden, | |
| hören einander zu, lachen. Bis eine der beiden sagt „Weißt du, was ich | |
| gestern auf Twitter gelesen habe?“ | |
| ## Man muss ja up to date bleiben | |
| Was der Einstieg in ein schönes Gespräch hätte sein können, war keiner. | |
| Denn statt von dem Tweet zu erzählen, greift sie zum Handy. Woraufhin meins | |
| vibriert. Oh, eine Benachrichtigung! Von Twitter. | |
| Wie praktisch, dass man auf Twitter Inhalte gleich mit der Funktion | |
| „Lesezeichen“ abspeichern kann. Noch praktischer ist es, dass mit nur zwei | |
| Klicks der Kommentar gleich auf meinem Handy erscheint. Also lese ich. Und | |
| klicke mich beiläufig, während meine Freundin erzählt und ich versuche, | |
| interessiert zu nicken, durch die anderen Kommentare. Das Lachen ist uns | |
| vergangen. Das gute Gespräch auch. Ich habe es nicht getan, aber bin mir | |
| sicher: Hätte ich nach links und rechts geschaut, an die anderen Tische, | |
| hatte ich ähnliche Szenarien gesehen. | |
| Zurück zur Studie. Ja. Dass sich unser Gedankenkarussell ständig dreht, | |
| während wir am Handy sitzen und durch die Nachrichtenseiten und sozialen | |
| Netzwerke scrollen, war mir klar. Dass es jedoch dauerhaft weiterläuft, | |
| auch wenn wir eben nicht am Handy sind, hatte ich verdrängt. Dabei sind die | |
| Auswirkungen alles andere als gering und reichen von dauerhafter innerer | |
| Unruhe bis hin zu Schlafstörungen. | |
| Das ist eine zentrale Erkenntnis der Studie und vermutlich einer der | |
| Faktoren, die unterbewusst am meisten Stress bei mir auslöst. Gleich noch | |
| Instagram checken. Und habe ich die neueste Podcast-Folge angehört? | |
| Eigentlich liegt das alles ja nahe. Warum ich das alles verdränge? Na ja, | |
| vermutlich, weil es mich unsicher macht. Unsicher, wie ich aus dem | |
| Karussell aussteigen kann. Unsicher, ob ich dann etwas Weltbewegendes | |
| verpasse. Krieg, Corona, Mondraketen. Da muss man ja immer up to date | |
| bleiben. Und scheinbar scheint der Satz „Nun pack doch mal das Handy weg“, | |
| den ich schon in Teeniezeiten von meiner Mutter oft gehört habe, nicht mehr | |
| zu helfen. Ebenso wenig wie Spiele, bei denen wir unser Handy in die | |
| Tischmitte legen müssen. Ach ja. Hat es gerade vibriert, oder habe ich mir | |
| das nur eingebildet? | |
| 31 Aug 2022 | |
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| [1] https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/10410236.2022.2106086?needAcces… | |
| ## AUTOREN | |
| Larena Klöckner | |
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