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# taz.de -- Great Resignation überall: Wenn die Unruhe surrt
> Viele in der Generation Y suchen gerade: Nach Sinn, nach einem guten
> Verhältnis von Arbeit und Freizeit. Und was macht die Gesellschaft als
> Ganzes?
Bild: Wozu über sich hinauswachsen?
Zum hartgekochten Ei wird eine Kuchengabel gereicht. Sie liegt neben dem
Eierbecher, auf so einem blau verzierten Teller, wie meine Oma sie früher
im Eichenholzbuffet hatte, und ich fühle mich, als schaute ich in den
Spiegel. Alles wie immer, aber etwas Wesentliches stimmt nicht. Ich bin der
Teller mit dem Ei und der Kuchengabel, denke ich. Sorry, ich bin so müde,
sagt die Kellnerin.
Fast alle, die ich kenne, suchen gerade nach Sinn. Alles steht infrage,
mehr als sonst. Bei der einen ist es eine lauernde Unzufriedenheit, „so als
würde der ganze Körper jucken, aber man könnte sich nicht kratzen“, sagt
sie.
Andere fragen sich, wann und ob sie sich Kinder leisten können, ob der
Beruf noch passt, und ob Vollzeit sein muss. Sie wollen nicht mehr Geld,
sondern mehr Freizeit. Wozu über sich hinauswachsen, während der Rest der
Welt in sich zusammenfällt? Die Unruhe surrt im Hintergrund wie ein alter
Kühlschrank.
Den meisten Sinnsuchenden geht es an sich gut. Das liegt auch daran, dass
man den Sinn in der Regel erst dann in Ruhe suchen kann, wenn das
Grundlegendste gesichert ist. Man könnte ihnen also sagen: So ist das in
den Dreißigern, und in der Generation Y. Man könnte auch vorwerfen:
Luxusprobleme fauler Mittelschichtsnüsse. Aber vieles spricht dafür, dass
diese berufliche Sinnsuche und der kollektive Antriebsverlust gerade nicht
nur mit individuellen Lebensphasen zu tun haben.
## [1][Great Resignation]
[2][Aus den USA hört man von der „Great Resignation“], der großen
Kündigungswelle (und eben Resignation), und vom „Quiet Quitting“, was
bedeutet, nicht mehr für den Job zu tun als minimal nötig. In China ist
seit Anfang 2021 von „tǎng píng“ die Rede, „lying flat“, eine Art pas…
Widerstand gegen die Kultur der völligen Überarbeitung und das
Hamsterradgefühl, das sich bei Millionen Menschen eingestellt hat, die
extrem viel arbeiten und trotzdem nicht mit Lebensqualität belohnt werden.
Und denen es an glaubwürdigen Entwürfen einer besseren Zukunft fehlt.
Mittlerweile wurde „tǎng píng“ sogar von „bǎi làn“ abgelöst, wört…
it rot“ – man soll sich keine Mühe mehr machen, wenn man ohnehin nichts
erreichen kann. Und hier arbeitet in Teilzeit, wer es sich leisten kann,
steigt der Fachkräftemangel auf ein Rekordhoch, hält kaum noch jemand die
grässlichen Arbeitsbedingungen in Pflege- und Dienstleistungsberufen aus.
Vielleicht sind wir unzufrieden, weil man sich am Ende doch nicht ganz
selbst finden kann, wenn die Gesellschaft drumherum sich verliert. Aber
Ideen für Besserung gibt es genug. Die 30-Stunden-Woche. Oder [3][ein
sozialer Pflichtdienst] für wirklich alle, mit [4][Grundeinkommen], bei dem
jede*r eine Zeit lang etwas für das Gemeinwohl täte. Vormittags Bäume
gießen, nachmittags Lesepatin sein, als bezahlte Gemeinwohlweiterbildung?
Aber wahrscheinlich muss man sagen: Das wird nichts, vor allem nicht mit
der FDP. Und dann isst man das Ei mit der Kuchengabel.
31 Aug 2022
## LINKS
[1] /Massenhafte-Kuendigungen-in-den-USA/!5874630
[2] /Massenhafte-Kuendigungen-in-den-USA/!5874630
[3] /Soziale-Pflichtzeit/!5857986
[4] /Bedingungsloses-Grundeinkommen/!5852815
## AUTOREN
Lin Hierse
## TAGS
Kolumne Poetical Correctness
Klassengesellschaft
Sinnkrise
Generation Y
Spielfilm
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