| # taz.de -- European Championships in München: Mit aller Gewalt heiter | |
| > In München strahlt Olympia auch nach 50 Jahren. Zu den EMs schwärmt man | |
| > von den demokratischen Spielen 1972. Das ist Schönfärberei. | |
| Bild: Nun wieder überall präsent: Waldi, das Maskottchen von 1972 | |
| München taz | Es ist immer viel von Erbe die Rede, wenn es um die | |
| Olympischen Spiele geht. Das Internationale Olympische Komitee legt Wert | |
| auf eine stolze Hinterlassenschaft. Das zumindest muss annehmen, wer den | |
| offiziellen Verlautbarungen dieser Weltorganisation des Sports glaubt. In | |
| Peking [1][bei den finsteren Winterspielen zu Beginn dieses Jahres] | |
| präsentierte man stolz die Zahl 300 Millionen. So viele Menschen sollen in | |
| China via Olympia an den Wintersport herangeführt worden sein. Ob’s stimmt? | |
| Egal, der olympische Tross ist längst weitergezogen. | |
| 2024 schlägt er in Paris seine Zelte auf. Dort ist bestimmt alles | |
| nachhaltig, so wie es [2][die Pandemiesommerspiele 2021 in Tokio] waren, wo | |
| sich das IOC dafür feiern ließ, nicht nur ein klimaneutrales Olympia | |
| veranstaltet zu haben, sondern mehr Emissionen kompensiert zu haben, als | |
| durch die Spiele verursacht worden sind. Nach Athen oder Rio de Janeiro zu | |
| schauen, wo teure olympische Sportstätten vor sich hin gammeln, sollte | |
| tunlichst unterlassen, wer an das Gute an Olympia glaubt. Denn es gibt ja | |
| die andere Geschichte: die der Olympiastadt München. | |
| Da strahlt Olympia auch nach 50 Jahren noch. Das von dem gefeierten | |
| Architekten Günter Behnisch entworfene Zeltdach über den Sportanlagen im | |
| Olympiapark ist neben den Türmen der Frauenkirche in der Innenstadt zum | |
| Wahrzeichen der Stadt geworden. Menschen aus der Stadt und der ganzen Welt | |
| flanieren durch die wellige Anlage, in die das Olympiastadion eingelassen | |
| ist, die Olympiahalle und das Schwimmstadion, das allen Freizeitsportlern | |
| offensteht. | |
| Die [3][Nachnutzung, auch so ein Begriff aus dem Olympiawortschatz], ist | |
| gewährleistet. Gerade finden die European Championships in München statt, | |
| mit der EM in der Leichtathletik im Olympiastadion und der Turn-EM in der | |
| Olympiahalle. Alles gut also? Ja, findet nicht nur Bayerns Innen- und | |
| Sportminister Joachim Herrmann, der vor der Eröffnung der neun | |
| Europameisterschaften, die gerade in München stattfinden, von seinen | |
| Jugenderinnerungen an die Münchner Spiele schwärmt und davon, dass alle | |
| Olympiaanlagen von 1972 noch in Betrieb seien. | |
| ## Natürlich wird nicht mehr alles genutzt | |
| So ist das wohl in einer Stadt, in der es Menschen geben soll, die es für | |
| eine bayerische Erfindung halten, wenn ein paar weiße Wolken auf einem | |
| ansonsten strahlend blauen Himmel zu sehen sind. Schönfärberei kann man | |
| nennen, was derzeit rund um das 50-Jahr-Jubiläum der Spiele in München | |
| stattfindet. Nein, natürlich werden nicht mehr alle Sportstätten genutzt, | |
| die damals für die Spiele errichtet worden sind. Und auch wenn der | |
| Olympiapark sich großer Beliebtheit erfreut bei den Erholungssuchenden der | |
| Stadt, wenn er immer als wegweisend, demokratisch und sowieso fantastisch | |
| bezeichnet wird, so hat man ihn doch nicht vor den Verheerungen der Zeit | |
| schützen wollen. | |
| Das Radstadion mit seiner Holzbahn ist längst abgerissen. Eine tragfähige | |
| Nachnutzung hat es nie gegeben. Dafür darf jetzt die Red Bull GmbH eine | |
| dieser handelsüblich gewordenen Großarenen in den Olympiapark pflanzen, | |
| damit bald schon die Basketballer des FC Bayern München und der hauseigene | |
| Eishockeyklub des Koffeinlimonadenherstellers dort spielen können. Auf der | |
| anderen Seite des Parks hat der in München omnipräsente Automobilkonzern | |
| BMW mit seinem wuchtig-möchtegernfuturistischen Auslieferungszentrum eine | |
| Hässlichkeit an die Anlagen gebaut, die man getrost als Frevel an den | |
| olympischen Bauten, ja, am olympischen Erbe der Stadt, bezeichnen kann. | |
| ## Gedenken beinahe pflichtschuldig | |
| Für derlei Kritik ist wenig Platz im Jubiläumsjahr der Spiele, in dem die | |
| olympischen Ringe im Stadtbild beinahe so präsent sind, wie sie es 1972 | |
| gewesen sein müssen. Fast überall in der Stadt wird sich an die Spiele | |
| erinnert. Im Stadtmuseum ist ein Erzählcafé eingerichtet worden. Viele | |
| Müncherinnen und Münchner, die damals dabei waren, können ihre Erinnerungen | |
| auffrischen. Einer war Balljunge beim deutschen Hockeygold im Finale gegen | |
| das favorisierte Pakistan. Eine andere erzählt, dass sie sich ihr | |
| hellblaues Hostessendirndl, das ohnehin nicht allzu lang war, kürzen hat | |
| lassen, um besser darin auszusehen. Wieder eine andere hat ihren | |
| Schlüsselanhänger mit dem Olympia-Dackel noch. Waldi, das in den | |
| Olympafarben gestreifte Hundchen, war das erste Maskottchen in der | |
| Geschichte der Spiele. „Echtes Olympiafeeling konnte ich erst 1974 spüren. | |
| 1972 wurden kurzzeitig die Grenzen wegen des Attentats geschlossen. | |
| Schade“, steht auf einem der Erinnerungszettel aus einer Ausstellungswand. | |
| Er erinnert an jenen 5. September, [4][als ein palästinensisches | |
| Terrorkommando Betreuer und Athleten der Olympiamannschaft Israels als | |
| Geiseln genommen hat]. Das Gedenken an jenes Verbrechen, in dessen Verlauf | |
| neben elf Israelis auch ein deutscher Polizeibeamter ums Leben gekommen | |
| ist, wird beinahe schon pflichtschuldig bei all den Olympiaprojekten in der | |
| Stadt mitgeliefert. An der großen Erzählung von der Liebe der Münchner zu | |
| ihren Spielen, von den heiteren Spielen, die da inszeniert wurden, soll das | |
| möglichst nicht kratzen. | |
| ## Das Attentat gehört zum Erbe der Spiele | |
| Am augenfälligsten ist das in der Ausstellung „Olympia 72 in Bildern“ in | |
| der Bayerischen Staatsbibliothek. Faszinierende Bilder sind da | |
| zusammengestellt worden. Wer einer Art Laufbahn folgt, kann die Geschichte | |
| von der Bewerbung über den Bau der Sportstätten bis zu den Wettbewerben | |
| erleben. Nur wer die Bahn verlässt, in den Flur vor den Toiletten tritt, | |
| der wird mit der Geschichte des Attentats konfrontiert. | |
| Eindrucksvoll gewiss, aber eben so, als sei die Geiselnahme und ihre so | |
| stümperhafte wie folgenreiche Polizeiaktion zur Befreiung der Israelis nur | |
| ein Nebenaspekt der Spiele. Dabei gehört das Attentat zum Erbe dieser | |
| Spiele. Dass Sportgroßereignisse bis heute an Orten stattfinden, die | |
| abgeschirmt sind wie Hochsicherheitstrakte von Justizvollzugsanstalten, hat | |
| mit dem Attentat zu tun, bei dem die Terroristen nur einen nicht allzu | |
| hohen Zaun überwinden mussten, um ins Olympische Dorf zu gelangen. | |
| ## Streit über einen Gedenkort | |
| Der [5][Streit über einen Gedenkort im Olympiapark] illustriert, wie schwer | |
| man sich in München mit der Erinnerung an jenen 5. September tut. Bewohner | |
| der Siedlung, die 1972 als Olympiadorf errichtet worden ist, haben sich | |
| lange gewehrt gegen ein Mahnmal vor ihrer Haustür. Sie wollten den | |
| Rodelberg ihrer Kinder nicht dafür opfern. Erst vor fünf Jahren konnte es | |
| schließlich eröffnet werden. Es ist ein beeindruckendes | |
| Multimedia-Memorial, das da in einen kleinen Hügel geschnitten worden ist. | |
| Die Ereignisse bis zur katastrophal gescheiterten Geiselbefreiung am | |
| Flughafen Fürstenfeldbruck sind beinahe in Echtzeit mitzuverfolgen. Viel | |
| ist meistens nicht los an diesem Lern- und Erinnerungsort. Wer von der | |
| U-Bahn-Station Olympiazentrum in den Park oder zu einer Veranstaltung | |
| möchte, kommt nicht daran vorbei. | |
| Um die heiteren Spiele geht es auch an diesem beeindruckenden Mahnmal, um | |
| den Versuch, Deutschland als funktionierende Demokratie darzustellen, um | |
| die Gestaltung der Spiele als Gegenentwurf zu Nazi-Olympia 1936. Was da in | |
| München versucht worden ist, sucht seinesgleichen in der olympischen | |
| Geschichte. Nationalistischen Pathos aus der Eröffnungsfeier zu nehmen, | |
| tanzend statt marschierend einzulaufen und all das begleitet von einem | |
| Kulturprogramm, an dem Komponisten wie John Cage oder [6][Karlheinz | |
| Stockhausen] mitgewirkt haben, bei der es Kunst und Artisterie für alle | |
| umsonst im Olympiapark gab und in das auch der damals viel gespielte | |
| Dramatiker Franz Xaver Kroetz integriert worden ist. | |
| ## Die Stadt verändert | |
| Ausgerechnet dessen olympiakritisches Drama „Globales Interesse“ wurde als | |
| Teil des Kulturprogramms auf der Experimentierbühne des Residenztheaters | |
| uraufgeführt. „Gegen eine Olympiade is ja überhaupt nix zum sagen. Aber von | |
| der Olympiade solln wir Münchner doch was habn. Und ned die Wohnung | |
| verliern“, sagt darin in der typisch kroetzschen Diktion der Rentner | |
| Katterloher in seiner Sorge vor einer Vertreibung aus der Stadt. | |
| Auch das gehört zum Erbe dieser Spiele, die die Stadt verändert hätten, wie | |
| es allüberall heißt. Dass die Spiele mit dazu beigetragen haben, München | |
| zur teuersten Stadt der Republik zu machen, daran wird nur ungern erinnert. | |
| An anderes schon eher. München habe früh ein dichtes U-Bahn-Netz gehabt, | |
| früher, als dies ohne die Spiele vielleicht der Fall gewesen wäre. | |
| Autofreundlicher ist die Stadt auch geworden. Ringstraßen wurden, von | |
| Olympia beschleunigt, durch die City gesprengt. | |
| ## Trachten- und Folklorewahnsinn | |
| Ob die Stadt durch die Spiele besonders modern geworden ist? In all den | |
| Ausstellungen in der Stadt, etwa im Architektur- oder im Designmuseum in | |
| der Pinakothek der Moderne kann man sich der Schwärmerei für die Gestaltung | |
| der Spiele kaum entziehen. Das Design der Plakate, Schilder, die Farbgebung | |
| mit dem typischen Hellblau als dominierendem Ton, für die Otl Aicher | |
| verantwortlich war, ist bis heute stilbildend. | |
| Die European Championships haben versucht, daran anzuknüpfen, und sich dann | |
| doch nicht getraut, dem in der Stadt um sich greifenden Trachten- und | |
| Folklorewahnsinn zu widerstehen, den Aicher so gehasst haben soll. | |
| Heimat-Roof heißt ein Veranstaltungsort des Events, der an eine | |
| brutalrustikale Touristenfalle am Tegernsee erinnert. Modern ist diese | |
| Großstadtalm sicher nicht. Und heiter? Die Volksmusikkombo aus Rottach, die | |
| da oben auf dem Olympiaberg spielt, ist es jedenfalls. | |
| 14 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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