Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung im Sacrower Schloss: Die Kunst geht nackt
> Kunst ist ein zerbrechliches Konstrukt. Das wird deutlich in der
> Ausstellung „Grenzüberschreitungen“ im Schloss Sacrow bei Potsdam.
Bild: Blick in die Ausstellung auf eine Arbeit von Philipp Donald Göbel im Tre…
Berlin taz |Der Wert der Kunst? Er ist eine wacklige Angelegenheit, das
weiß niemand besser als die Künstler:innen. Gemälde, für die es zu einem
bestimmten Zeitpunkt einen Markt gab, gelten eine Epoche später oft nicht
mehr viel. Andere Künstler:innen, die zu Lebzeiten kaum erfolgreich
verkaufen konnten, sind nach ihrem Tod plötzlich berühmt geworden und
wurden heiß gehandelt.
Viele Maler:innen haben volle Lager und irgendwann stellt sich die nicht
kleine Frage, in welchem Verhältnis der Preis für den Lagerraum zu den
künstlerischen Einnahmen steht. Experimentieren, den Weg in der Kunst
suchen, probieren und ändern, setzt den Einsatz von Material voraus – muss
das immer neu und unberührt sein, oder ist auch das Recyceln älterer
Arbeiten eine Möglichkeit?
Das alles klingt nach konkreten Erfahrungen im Leben von Künstler:innen
und nach sehr praktischen Fragen. Dass aus ihrer Bearbeitung aber auch ein
ästhetisches Programm entstehen kann, zeigt eine Ausstellung in Schloss
Sacrow. [1][„Grenzüberschreitungen“ ist der Titel] und ihr Konzept
entwickelt und die neun Teilnehmenden zusammengebracht hat die Malerin
Daniela Meyer. Teils fragte sie befreundete Maler:innen, teils entdeckte
sie auf Instagram interessante Positionen.
## Stillgestellte Zeit
Nicht zuletzt spielte für die Zusammensetzung eine Rolle, dass die
Eingeladenen bereit waren, auf das Stillstehen der Zeit in den Räumen
[2][des meist leerstehenden Schloss Sacrow] einzugehen. Mit alten Tapeten,
bröselnder Wandfarbe, Rissen im Putz und fleckigen Decken ist es ein von
der Geschichte mitgenommenes kleines Schloss. Das aber durch die
Raumschnitte, die Fenster in den Park, Spiegel an den Wänden und einem
Kamin durchaus noch vom repräsentativen Willen der Feudalzeit zeugt.
Die holländische Künstlerin [3][Marjolein Knottenbelt] sieht Kunstwerke als
Teil eines angeheizten Kreislaufs von der Herstellung, des Konsums und der
Zerstörung von Waren, der sich immer mehr beschleunigt. Das ist eine
traurige Geschichte, die bewusst zu machen und zu verzögern ihre Arbeiten
beitragen. Sie sammelt alte Bilder, die keiner mehr haben will; so ist ein
Seestück und ein Porträt in Sacrow zu sehen, deren Oberfläche sie
bearbeitet hat, Teile der Malschicht weggenommen. Was bleibt, ist ein
leidvoller Rest, eine unter die Räder gekommene Kunst, ein Erinnern an das
Schwanken ästhetischer Maßstäbe.
In einem Glas unter einem Seestück, auf dem nur noch das bewegte Meer und
die Spitze eines Mastes zu erkennen sind, steht ein Glas mit den
abgekratzten Pigmenten. Beides hat Platz gefunden in einem kleinen Raum,
dessen geblümte Tapete vielleicht noch aus der Zeit stammt, als in den
Nachrkriegsjahren das Schloss Sacrow als Erholungsheim für Verfolgte des
Naziregimes diente.
## Momente des Übergangs
Zu den repräsentativen Räumen gehört das Kaminzimmer, in das Lawrence
Grawe, eine Künstlerin aus Frankreich, die in Berlin lebt, drei große
Leinwände an die Wände gelehnt hat. Sie markieren den Moment eines
Übergangs, eines Auszugs oder Einzugs, denn wir schauen auf die Rückseiten,
die Konstruktion der Keilrahmen. Von hinten sind die Leinwände mit Streifen
zart bemalt, das wirkt offen und unfertig, nichts wird hier mit Sicherheit
behauptet. Und doch passt gerade dieses Flüchtige gut in den Raum, die
Latten der Keilrahmen korrespondieren mit den Fensterkreuzen und die
asketische Geste mit der Leere des Raums.
Im Erdgeschoss bespielt auch [4][Daniela Meyer] selbst einen Raum. Sie
arbeitet mit Fundstücken wie alten Tüten, Tischdecken, Planen, Leinwänden;
Gegenständen aus der Kunst und aus dem Alltag, die zu Streifen zerschnitten
und neu zusammengesetzt werden. Das handwerkliche Malern und die
künstlerische Malerei nähern sich in ihren Arbeiten an, die Kunst will sich
eben nicht vom Alltag abgrenzen.
Daniela Meyer ist erst vor wenigen Jahren von Bielefeld nach Sacrow
gezogen, hat die wechselvolle Geschichte des Ortes, der unter der Grenze
zwischen Ost- und Westdeutschland litt, – der Park diente zeitweise der
Ausbildung einer Hundestaffel an der Grenze –, als Neu-Potsdamerin erst
kennengelernt. Sie wollte aber nicht, wie vorherige Ausstellungen an diesem
Ort, wieder auf dessen Geschichte Bezug nehmen, sondern jene Grenzen
thematisieren, die Künstler:innen in ihrer Arbeit überschreiten.
Für [5][Philipp Donald Göbel] war das der Entschluss, frühere Werke zu
zerstören und aus den Trümmern, zerbrochenen Rahmen, angekohlten und
zusammengefalteten Leinwänden, neue Assemblagen zu schaffen. Sie erzählen
von der vielen Zeit, die in die Kunst investiert wurde, von den
Selbstzweifeln, die den Künstler plagen, von der Einsamkeit, wenn sich kein
Dialog mit Betrachtern einstellt, und vom Mut des Neuanfangs.
Zugleich ist diese zusammengefaltete und komprimierte Kunst, wie sie im
Treppenhaus des Schlosses hängt, aber auch eine Bekundung des malerischen
Potenzials und der Prozesshaftigkeit der Kunst, in der Lernen und Werden
mehr bedeutet, als eine endgültige Form zu finden.
22 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.spsg.de/aktuelles/ausstellung/grenzueberschreitungen/
[2] /Sacrow-und-die-Heilandskirche/!5736062
[3] https://www.marjoleinknottenbelt.com/
[4] http://danielameyer.de
[5] http://www.philippdonaldgoebel.de
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Ausstellung
Potsdam
Stiftung Schlösser und Gärten Berlin Brandenburg
Zeitgenössische Malerei
Ausstellung
Ausstellung
Bildende Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausstellung in Dresden: Die Cartier-Uhren der Vergangenheit
Unvorstellbare Summen zahlten die Fürstenhöfe der Renaissance für
schmückende Automaten. Ihre Ausstellung im Dresdner Lipsiusbau stimmt
nachdenklich.
Dialog zwischen Kunst und Natur: Bohnenranke in die Unendlichkeit
Wie verwoben sind Kunst und Natur? Dem geht Reto Pulfer mit raumgreifenden
Skulpturen nach, die im Kunsthaus Potsdam zu sehen sind.
Kunstausflug nach Frankfurt Oder: Selbst ein Blauer Engel ist dabei
Mehr als 20 Jahre stand ein Kino in Frankfurt (Oder) leer. Jetzt erzählt
dort die Künstlerinnen-Gruppe Endmoräne Geschichten von Licht und Schatten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.