# taz.de -- Frauenrechte in Afghanistan: Frauen statt Taliban | |
> Die internationale Gemeinschaft verhandelt mit den Taliban. Das ist | |
> falsch: Sie sollte sich an die Afghaninnen wenden – im Exil und vor Ort. | |
Bild: Exil-AfghanInnen demonstrieren in Deuschland gegen das Taliban-Regime, | |
Der Fall von Kabul liegt ein Jahr zurück, und selbst [1][David Petraeus], | |
Ex-CIA-Chef und Kommandant der US-Nato-Truppen, spricht rückblickend von | |
einem „Mangel an strategischer Geduld“. Er erkennt ganz klar, dass mit dem | |
[2][Abzug der Truppen] auch die Hoffnung in Afghanistan dahin war und in | |
einen „psychologischen Kollaps“ mündete. Zudem herrscht weiter Krieg, Krieg | |
gegen die Frauen. | |
Seit Jahrzehnten werden die Afghaninnen missbraucht, um | |
Herrschaftsansprüche zu legitimieren. Als die Alliierten vor zwanzig Jahren | |
das erste Taliban-Regime stürzten, war dies der Startschuss für den „War on | |
Terror“ nach den Al-Qaida-Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA – | |
aber das offizielle Narrativ lautete anders. Die internationalen Truppen | |
inszenierten sich als [3][Befreier der unterdrückten Afghaninnen]. So wurde | |
der Krieg zu einer human touch story. Doch obwohl die Afghaninnen vor allem | |
der westlichen PR dienten, haben sie das Momentum für sich genutzt und das | |
Fenster in die neue Welt entschlossen geöffnet. Sie haben sich den Weg in | |
die Schulen und Universitäten gebahnt, sie haben Mitbestimmung in den | |
politischen Versammlungen gefordert, sie haben den Weg in die | |
Öffentlichkeit erkämpft. | |
Afghanistan ist eine Stammesgesellschaft, die in ihrer sozialen Ordnung | |
hierarchisch und oft repressiv organisiert ist und wenig Spielraum für den | |
Einzelnen vorsieht. Die Alten herrschen über die Jungen mit der Macht der | |
Tradition, schüchtern sie oft ein mit quasireligiösen Vorschriften und | |
untermauern dies mit ritualisierter Gewalt. Vor allem die Frauen haben sich | |
zu fügen: Gewalt in der Ehe, Misogynie und Frauenhass mit seinen horrenden | |
Ausdrucksformen wie Tötung von Mädchen und Verkauf der Töchter als Bräute | |
sind weiterhin gängig. | |
Die Frauen waren daher immer das Gesicht des Widerstands, sie haben in den | |
Jahren des ersten Taliban-Regimes das soziale Leben in den Untergrund | |
verlagert und vor allem mit einem Netzwerk von Geheimschulen dafür gesorgt, | |
dass die Töchter nicht zurückgelassen wurden. Durch den Einmarsch der | |
US-Nato-Truppen war es dann erstmals möglich, dass mit [4][Massouda Jalal] | |
eine Frau für das Präsidentenamt kandidierte. Einer ganzen Generation von | |
heranwachsenden Frauen war das Ermutigung. Jalal lebt heute mit ihrer | |
Tochter Husna in Den Haag, die dem Vorbild ihrer Mutter folgend nun | |
versucht, ein digitales Netzwerk aufzubauen, um den Tausenden Afghaninnen | |
im Exil eine gemeinsame Plattform und Stimme zu geben. In Stunden der | |
Verzweiflung fragt sie: „Warum sind die internationalen Player nicht unsere | |
Verbündeten? Es geht doch um den Frieden für alle.“ | |
## Rebellinnen werden verschleppt und gefoltert | |
Mit Courage und Todesmut sind junge Frauen von Kabul über Herat und | |
Kandahar auf die Straße gegangen und haben Brot, Bildung und Freiheit | |
gefordert. Sie sind von den Gewehrkolben der Taliban gestoppt worden. Als | |
ihre Proteste weitergingen, begannen die Verfolgungen. Die Häuser der | |
Frauen wurden durchsucht, Nachbarn nach ihrem Aufenthalt befragt und viele, | |
die nicht rechtzeitig untertauchen konnten, wurden verschleppt und | |
gefoltert. [5][Hoda Khamosh] wurde ein Symbol dieser mutigen Bewegung. Sie | |
ist von der norwegischen Regierung zu einem Dialog mit den Taliban nach | |
Oslo geflogen worden, trat dort dem Außenminister Muttaqi mit großen | |
Schildern gegenüber, auf denen die Gesichter und Namen der verschwundenen | |
Frauen der Straßenproteste standen, mit der Forderung, sofort zum Telefon | |
zu greifen und ihre Freilassung zu fordern. Und was war das Ergebnis? Ihr | |
Haus in Kabul wurde durchsucht, ihr Ehemann musste nach Pakistan flüchten, | |
und Hodas Rückkehr in die Heimat ist zu riskant. | |
Das neue Afghanistan kommt im alten Outfit daher. Genderapartheid ist der | |
Pfeiler des politischen Gefüges. Die Flut der neuen Verordnungen trifft | |
auch die Männer. Sie müssen nicht nur hoffen, dass ihre Bärte schnell und | |
ausreichend lang wachsen, sondern auch ihre weiblichen Familienangehörigen | |
bewachen und, wenn ihnen das nicht gelingt, mit Strafe rechnen. | |
Je länger die Mädchen der Ausbildungsbann trifft, desto mehr Zeit gewinnen | |
die Machthaber, ihre Herrschaft zu zementieren. Der Ausschluss der Frauen | |
ist das Fundament des Emirats. Die Frauen sind die unsichtbaren, nicht | |
registrierten politischen Gefangenen des Taliban-Systems. Die Dauer ihrer | |
Isolationshaft ist nicht festgesetzt, ihre Freiheit in unabsehbare Ferne | |
gerückt. | |
Die Afghaninnen haben jedoch bereits zu viel erkämpft, riskiert und | |
durchgemacht, um noch einmal alles aufzugeben. Viele Frauen führen nun ein | |
Geheimleben. Sie halten untereinander Kontakt und unterrichten klandestin | |
die Mädchen. Von der internationalen Gemeinschaft werden diese Frauen | |
jedoch ignoriert; stattdessen berät man sich mit den Taliban und lässt sich | |
von ihnen in Dialogen im Doha-Stil täuschen. | |
## Keine Verhandlungen mit den Taliban | |
Diese Verhandlungen sollten abgebrochen werden. Die Kunst von Dialog und | |
Kompromiss ist nicht das Instrumentarium, das die Taliban-Führung | |
beherrscht oder respektiert. Das ursprüngliche Mantra, nicht mit | |
Terroristen zu verhandeln, ist richtig und das Gebot der Stunde. Statt | |
weiter auf die Taliban zu setzen, sollte die internationale Gemeinschaft | |
den Widerstand der Frauen stärken, im Exil und in Afghanistan. Sie sind | |
viele, sie sind gebildet, mutig, erfahren. | |
Von außen mag die Herrschaft der Taliban absolut und monolithisch | |
erscheinen. Doch zeigen sich Risse. Die Islamisten sind zerstritten und in | |
Grüppchen zerbröselt, auch weil die schwere Wirtschaftskrise längst die | |
eigenen Anhänger erfasst hat. In dieses Vakuum könnten die Frauen vorstoßen | |
– wenn sie internationale Unterstützung hätten. Geheime Kanäle aus dem | |
Ausland über Pakistan nach Afghanistan gibt es längst. Es fehlt nur noch | |
die weltweite Anerkennung, indem die Frauen an den internationalen | |
Verhandlungstischen sitzen – und sichtbar würden. | |
15 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Ermittlungen-zur-Petraeus-Affaere/!5079619 | |
[2] /Untersuchungsausschuss-zu-Afghanistan/!5859706 | |
[3] /Aktivistin-ueber-das-Leben-in-Afghanistan/!5112377 | |
[4] https://en.wikipedia.org/wiki/Massouda_Jalal | |
[5] https://www.derstandard.de/story/2000133296787/hoda-khamosh-die-afghaninnen… | |
## AUTOREN | |
Edit Schlaffer | |
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