# taz.de -- Jordan Peeles Film „Nope“: Pferde in Bewegung | |
> Regisseur Jordan Peele verrührt in „Nope“ Science-Fiction, Western und | |
> Rassismus. Heraus kommt aufgeklärtes, bilderstarkes Popcornkino. | |
Bild: Ein Cowboy vor dem Showdown: OJ (Daniel Kaluuya) und Emerald (Keke Palmer… | |
Am Anfang steht ein Bibelzitat. Ein Vers aus dem Buch des Propheten Nahum | |
über den Untergang der mesopotamischen Stadt Ninive: „Ich werfe Unrat auf | |
dich, schände dich und mache ein Schauspiel aus dir.“ So weit, so | |
rätselhaft. Gehört hat man zuvor während der Titelsequenz des Spielfilms | |
„Nope“ ein paar Dialoge aus dem Off mit Gelächter im Hintergrund. Später … | |
Film folgen noch die Bilder dazu, es handelt sich um eine fiktive | |
Fernsehshow, „Gordy’s Home“, in der ein Schimpanse der Star ist. | |
Aus der Show selbst sieht man in den ersten Minuten von „Nope“ ebenfalls | |
Bilder, ohne Dialog. Dafür gibt es den verstörenden Anblick des Affen, wie | |
er mit blutverschmierten Händen gegen die Füße einer leblosen Gestalt | |
stößt, deren obere Körperhälfte von einem Sofa verdeckt ist. Ein Junge, | |
unter einem Tisch versteckt, beobachtet das Geschehen mit kaum | |
kontrolliertem Atem. | |
Klingt verwirrend? Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Absicht | |
des [1][US-amerikanischen Regisseurs Jordan Peele], der mit „Nope“ seinen | |
dritten Spielfilm vorlegt. Darin setzt er dem Publikum erst einmal | |
scheinbar unsortiert Dinge vor, die nicht auf Anhieb verständlich sind und | |
erst im weiteren Verlauf erklärt werden. Zum Teil jedenfalls. Die genannte | |
Sendung wird durchaus noch eine Rolle spielen, die eigentliche Handlung hat | |
allerdings mehr mit Pferden zu tun. | |
Vor allem mit denen von Otis Jr. „OJ“ Haywood (kann skeptisch gucken wie | |
sonst keiner: Daniel Kaluuya). Er betreibt zusammen mit seiner Schwester | |
Emerald (quirlig-selbstbewusst: Keke Palmer) die einzige Ranch in den USA, | |
auf der Pferde von Afroamerikanern für Hollywood trainiert werden. Wie sein | |
vor Kurzem unter mysteriösen Umständen gestorbener Vater, Otis Sr. (Keith | |
David), ist er bei Filmdrehs der horse wrangler, der Pferdetrainer, der | |
dafür Sorge trägt, dass die Tiere ruhig bleiben und tun, was sie vor der | |
Kamera tun sollen. | |
Beim verschlossenen OJ klappt es mit dem Beruhigen und auch insgesamt mit | |
der Arbeit nicht so gut. Auf einem Dreh muss er sich zunächst das | |
herablassende Verhalten des Teams gefallen lassen, die lieber seinen Vater | |
am Set gehabt hätten. Dann dreht sein Pferd plötzlich durch, weil jemand | |
diesem einen Spiegel direkt vor die Augen gehalten hat, was OJ nicht | |
rechtzeitig verhindern konnte. Der Job ist damit für ihn und seine | |
Schwester gelaufen. Da OJ ohnehin Schulden hat, überlegt er, die Ranch zu | |
verkaufen. | |
## Zeugen seltsamer Ereignisse | |
Lucky, das Pferd mit dem Ausraster, bietet er kurz darauf dem Betreiber | |
eines Wildwest-Themenparks in der Nähe an. Dieser Ricky „Jupe“ Park (Steven | |
Yeun), war früher Kinderstar in einer Fernsehshow. Name: „Gordy’s Home“.… | |
war der verschreckte Junge unter dem Tisch. Der Affe Gordy, sieht man in | |
einer Fortsetzung der Schreckensszene, hatte ihn damals irgendwann unter | |
dem Tisch entdeckt, ihn aber verschont und sich ihm stattdessen in | |
friedlicher Form genähert, wobei er die Faust zur Begrüßung reckte. | |
OJ und Jupe verbindet daher über den Pferdedeal hinaus noch mehr. Sie sind | |
Zeugen seltsamer Ereignisse. So war OJ zugegen, als sein Vater tödlich | |
verletzt wurde. Ein 5-Cent-Stück hatte diesem das Auge zerschnitten, als es | |
vom Himmel in Richtung Erdboden schoss. Auch das Pferd, auf dem Otis Sr. in | |
dem Augenblick gesessen hatte, bekam etwas ab, ein Sicherheitsschlüssel | |
steckte in seiner Flanke, wie OJ irritiert bemerkte. | |
Jordan Peele inszeniert die Szene des Todes von OJs Vater nüchtern knapp, | |
mit der genau richtigen Dosierung von beunruhigenden Signalen. Eine Wolke | |
naht sich, aus der eine Art Drachenschnur herauszuhängen scheint, man hört | |
ein Gellen wie von schreienden Stimmen, dann zischt es trocken, als | |
Gegenstände des täglichen Gebrauchs auf die Erde herabschnellen. Für ein | |
Flugzeugunglück, wie die offizielle Erklärung lauten wird, deutlich zu | |
schnell. | |
OJ vermutet denn auch eine andere Ursache. Jupe ist diesem Anderen schon | |
einen Schritt näher: Er meint, Aliens beobachtet zu haben. Es dauert nicht | |
lange, da sieht auch OJ nachts etwas am Himmel, eine längliche flache Form, | |
bloß angedeutet, doch gegenwärtig genug, um das Pferd an seiner Seite | |
scheuen und Reißaus nehmen zu lassen. | |
## Rassismus thematisieren | |
Dass von dem Ding am Himmel eine Gefahr ausgeht, ist OJ bald klar. Auch | |
seine Schwester Emerald, in ihrer extrovertierten Art der Gegenpart zu OJ, | |
ist verängstigt wegen der sonderbaren Erscheinungen. Sie will jedoch | |
unbedingt versuchen, Filmaufnahmen zu machen, um zu beweisen, dass es Ufos | |
gibt, und nebenbei reich und berühmt werden. Ihre Ranch rüsten sie darauf | |
mit Hightechkameras aus. | |
Jordan Peele hat in seinen ersten beiden Filmen, der [2][Horrorkomödie „Get | |
Out“ (2017)] und dem [3][Horrorthriller „Wir“ (2019)] ziemlich direkt | |
Rassismus thematisiert. In „Nope“ folgt die Handlung in Teilen einem | |
klassischeren Schema, kombiniert Ufo-Verschwörungsthemen und den Kampf | |
unerschrockener US-Amerikaner gegen eine unbekannte Bedrohung mit | |
Western-Motiven. | |
Bloß dass Peele seine Figuren gegen die vorherrschenden Gepflogenheiten des | |
Genres besetzt: OJ, Emerald und Otis Sr. sind afroamerikanische Cowboys, | |
und der im Cowboy-Kostüm vor seinen Besuchern auftretende Jupe ist | |
asiatisch-amerikanisch. | |
Peele mischt noch weitere Motive in sein Drehbuch, etwa den Vorzug der | |
Erfahrung im Umgang mit Tieren. OJ wird seine Arbeit mit Pferden am Ende | |
das Leben retten, während Jupe durch seine Begegnung mit dem Schimpansen, | |
die für ihn glücklich ausging, den mutmaßlichen Aliens so furcht- wie | |
ahnungslos gegenübertritt. | |
## Gerechtigkeit für afroamerikanische Cowboys | |
Ein wuchtiger Klops Filmgeschichte ist in „Nope“ obendrein mit verarbeitet. | |
Unmittelbar vor der Szene, in der OJ sein Missgeschick mit dem Pferd vor | |
der Kamera hat, gibt es eine kurze Sequenz des englischen Filmpioniers | |
Eadweard Muybridge zu sehen, in der dieser die Serienfotografie eines | |
Pferdes mit Reiter in Bewegung mithilfe seines „Zoopraxiskop“ genannten | |
Vorführgeräts zu einem zweisekündigen Kürzestfilm machte. „The Horse in | |
Motion“ von 1878, in den USA entstanden, gilt als der Durchbruch bewegter | |
Bilder auf dem Weg zum Film. | |
Die Sequenz, die Peele unter dem berühmten Namen verwendet, ist anscheinend | |
aus einer späteren Serie von Muybridge namens „Animal Locomotion“, wie in | |
US-amerikanischen Medien angemerkt wurde. An diesen Bildern interessiert | |
Peele vor allem der Reiter, der „erste Filmstar“, bei dem es sich um einen | |
Afroamerikaner handelt. Diesem will Peele Gerechtigkeit widerfahren lassen, | |
stellvertretend zugleich für die vielen [4][afroamerikanischen Cowboys, die | |
in der Geschichte der USA einerseits und in Western-Filmen andererseits | |
eine untergeordnete Rolle] spielen. | |
Der Jockey wird bei ihm zu einem Vorfahren der Haywoods, der ihre | |
Familientradition begründete. Emerald erzählt die Geschichte bei dem | |
Hollywood-Dreh, kurz bevor dieser für OJ und sie mit dem Rausschmiss endet. | |
Ein bisschen ungelenk didaktisch fügt sich das ins Ganze, überfrachtet es | |
fast. Doch Peele gleicht dies umso stärker mit spektakulären Bildern aus, | |
die schon seine ersten zwei Spielfilme so bemerkenswert machten. In „Nope“ | |
lässt er unbelebte Dinge, einen Rasensprenger zum Beispiel, wie Lebewesen | |
auftreten, verkehrt die vertraute Welt des Alltags in etwas Fremdes. Und | |
die ganz großen Bilder findet er am Ende, wenn er eine Pferdeweide mit | |
„Skydancern“ vollstellt, diesen Stofffiguren, die durch Luft in ständige | |
Bewegung versetzt werden. Bei ihm dienen sie zum Aufspüren von Aliens. | |
Nicht alles mag Sinn ergeben, nicht jeder Einfall mag der Geschichte | |
nützen, doch der Rhythmus seiner Bilder, zusammen mit der Filmmusik, die | |
von brummelndem Geräusch bis zum kolossalen Orchester-und-Chor-Showdown | |
unterschiedlichste Register wählt, trägt die gut zwei Stunden über alle | |
offen bleibenden Fragen hinaus. Und auch für das Bibelzitat vom Anfang | |
findet er ein imposant drastisches Bild: Mit Unrat wird geworfen. Heftig. | |
11 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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