| # taz.de -- Gesundheitsgefahr durch Verpackung: Fett durch Plastik | |
| > Eine Studie zeigt: Plastik enthält mehr Dickmacher als bisher angenommen. | |
| > Auch Ersatzstoffe erweisen sich als bedenklich. | |
| Bild: Plastikbecher sind nicht nur ökologisch ein Problem – sie können auch… | |
| Dass Latte macchiato und Schoko-Vanille-Pudding dick machen können, lässt | |
| sich erahnen. Denn mit ihrem hohen Fett- und Zuckeranteil liefern sie viele | |
| Kalorien. Doch aktuelle Studien zeigen nun, dass sie – sofern sie in | |
| Plastikbechern verkauft werden – auch über ihre Verpackung zum Übergewicht | |
| beitragen können. | |
| [1][Ein Forscherteam der norwegischen Universität für Wissenschaft und | |
| Technologie] untersuchte 34 alltägliche Kunststoffprodukte auf ihren | |
| Chemikaliengehalt. Unter ihnen waren Küchenschwämme und Shampooflaschen, | |
| aber auch viele Lebensmittelverpackungen, wie etwa Getränkeflaschen sowie | |
| Joghurt- und Kaffeebecher. Man fand in ihnen sage und schreibe 55.000 | |
| verschiedene chemische Bestandteile, von denen sich gerade mal 629 | |
| identifizieren ließen. | |
| Anschließend brachte man im Labor die einzelnen Kunststoffe in Kontakt mit | |
| Mäusezellkulturen, um zu testen, wie sie sich auf das Gewebe auswirkten. | |
| Das Ergebnis: Bei etwa jedem dritten Plastikextrakt zeigte sich eine | |
| deutliche Zunahme der Fettzellen. | |
| Ihre Vorläuferzellen waren offenbar so umprogrammiert worden, dass sie sich | |
| öfter als sonst zu potenten Fettspeichern verwandelten. Vier von den | |
| Dickmacher-Kunststoffen waren in dieser Hinsicht sogar effektiver als das | |
| Diabetesmedikament Rosiglitazon, das in der Medizin einen etwas | |
| zweifelhaften Ruf hat. Denn es mobilisiert die Produktion von Fettzellen, | |
| damit sie den überschüssigen Zucker aus dem Blut ziehen. | |
| „Unsere Experimente zeigen, dass handelsübliche Plastikprodukte eine | |
| Mischung von Substanzen enthalten, die ein relevanter und unterschätzter | |
| Faktor für Übergewicht und Fettleibigkeit sein können“, resümiert Martin | |
| Wagner, einer der Studienautoren. Er stammt aus Deutschland, forscht aber | |
| mittlerweile in Trondheim zur Umwelttoxikologie. | |
| ## Unbekannte Dickmacher | |
| Was er mit seinen Kollegen außerdem ermittelte: dass sich der genaue | |
| Hauptschuldige für das Fettwachstum nicht ermitteln ließ. Denn das sprang | |
| nicht nur bei Plastikextrakten an, von denen man es erwartet hätte, weil | |
| sie [2][Bisphenol A oder andere anerkannte Fettbooster-Substanzen] | |
| enthielten. Sondern auch bei jenen Extrakten, denen man das aufgrund ihrer | |
| unverdächtigen Bestandteile nicht zugetraut hätte. Plastik birgt also | |
| offenbar noch weitere Substanzen mit Dickmacher-Potenzial. | |
| Heiße Kandidaten dafür sind ausgerechnet die Bisphenole S und F, die von | |
| der Plastikindustrie zunehmend als Alternative zu Bisphenol A eingesetzt | |
| werden, weil sie [3][weniger hormonaktiv] sein und dadurch weniger auf den | |
| Stoffwechsel wirken sollen. Doch der Dickmacher-Effekt lässt sich dadurch | |
| wohl nicht ausschalten, wie [4][US-Forscher um Melanie Jacobson von der NYU | |
| School of Medicine in New York herausgefunden haben.] Demnach steigert | |
| Bisphenol S das Übergewichtsrisiko bei Kindern und Jugendlichen um mehr als | |
| 10 Prozent, und bei der F-Variante sogar um fast 30 Prozent. Scheint also, | |
| als würde hier der Teufel mit dem Beelzebub vertrieben. | |
| [5][Japanische Forscher] haben außerdem in einer Auswertung des weltweit | |
| verfügbaren Studienmaterials herausgefunden, dass neben den Bisphenolen | |
| auch Perfluoroctansäure (PFOA) „eine konsistente Rolle als künstlicher | |
| Dickmacher“ spielt. Bei der Herstellung von Verpackungen wird sie gerne als | |
| „Distanzhalter“ eingesetzt, um etwa Kochgeschirr oder | |
| Lebensmittelverpackungen wasser- und ölabweisend zu machen. Doch im Körper | |
| hält sie weniger Distanz, mischt sich gerne in die Arbeiten der Schilddrüse | |
| ein. Menschen mit sehr hohen PFOA-Werten leiden etwa doppelt so oft unter | |
| einer Schilddrüsenunterfunktion, so dass weniger Stoffwechsel aktivierende | |
| Hormone gebildet werden – und das mündet bekanntlich schnell in | |
| Übergewicht. | |
| Plastik enthält also viele unterschiedliche Substanzen mit | |
| Dickmacher-Potential, und mittlerweile steht auch fest, dass es diese nicht | |
| für sich behält, sondern bei Lebensmittelverpackungen fleißig an das | |
| abgibt, was der Mensch schließlich isst oder trinkt. „Seine Chemikalien | |
| sind nicht fest im Material gebunden und können auslaugen, also in die | |
| verpackten Lebensmittel übergehen“, erklärt Wagner. „Dieses Phänomen nen… | |
| man Migration.“ | |
| Verstärkt wird sie durch die Konsistenz des Nahrungsmittels, etwa durch | |
| ihren Säure- oder Fettgehalt. Und auch die Temperatur spielt eine große | |
| Rolle. „Jeder, der einmal eine Plastikflasche im heißen Auto hat liegen | |
| lassen, kann das schmecken“, so Wagner. In Gestalt eines | |
| chemisch-fruchtigen Geschmacks, der durch das verstärkte Auslaugen von | |
| Acetaldehyd entsteht. Das allerdings, so der Umwelttoxikologe weiter, sei | |
| zwar ein „süßliches Fehlaroma“, doch gesundheitsschädlich sei es nicht. | |
| Problematischer sind da schon die beliebten Coffee-to-go-Becher. Sie sind | |
| innen mit einer wasserabweisenden Beschichtung aus poly- oder | |
| perfluoridierten Chemikalien versehen, die – ähnlich wie Bisphenol A – zu | |
| den hormonaktiven Substanzen gehören. Mittlerweile gibt es zwar schon | |
| Becher aus sogenanntem Bio- oder [6][Bambusplastik]. Doch Wagner warnt, | |
| dass wir bislang „über deren tatsächliche Sicherheit und Nachhaltigkeit nur | |
| unzureichende wissenschaftliche Erkenntnisse haben“. Der gute alte Keramik- | |
| oder Edelstahlbecher sei da die weitaus bessere Alternative. | |
| Weitere Möglichkeiten, um seinen Kontakt zu den künstlichen Dickmachern zu | |
| verringern: statt Plastiktellern und Trinkhalmen nur noch Mehrweggeschirr | |
| nutzen, Obst und Gemüse nur noch lose einkaufen, das Speiseeis in der | |
| Waffel bestellen, statt im Plastikbecher. Und wenn die | |
| Lebensmittelverpackung schon unvermeidlich ist, sollte man wenigstens | |
| darauf achten, dass auf ihr – im sogenannten Recycling-Dreieck auf dem | |
| Boden – nicht die Nummern 3 (PVC), 6 (Polystyren) und 7 (andere | |
| Kunststoffe) aufgedruckt sind. Denn die könnten, warnt Wagner, „bedenkliche | |
| Chemikalien freisetzen“. | |
| 29 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.1c06316 | |
| [2] /Hochgefaehrliche-Chemikalie-Bisphenol-A/!5604656 | |
| [3] /Hochgefaehrliche-Chemikalie-Bisphenol-A/!5604656 | |
| [4] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6735733/ | |
| [5] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8632231/ | |
| [6] /Warnung-von-Stiftung-Warentest/!5608044 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Zittlau | |
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