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# taz.de -- Wirtschaftskrise im Iran: Sanktionen statt Atomabkommen
> Im Iran ist die Inflation hoch, Bürger protestieren, die
> Atomverhandlungen stocken. Indes ergreifen die USA weitere
> Strafmaßnahmen.
Bild: Inflation von 50 Prozent: Basar in Teheran
Berlin taz | Die USA erlegen der Islamischen Republik neue Sanktionen auf.
Betroffen sein sollen Öl- und Petrochemie-Produkte, sowie
Transportunternehmen und Scheinfirmen, schrieb US-Außenminister Antony
Blinken auf Twitter. „In Abwesenheit eines Bekenntnisses Irans, zum
Atomabkommen zurückzukehren“, werde man nun so vorgehen, so Blinken.
Kurz vor dem Ende seiner ersten Amtszeit, die sich am 3. August jährt,
steht Präsident Ebrahim Raisi vor einer brisanten Bilanz: Das Atomprogramm
ist so weit fortgeschritten wie noch nie, der Atomdeal lahmt, und im Land
scheint es an allen Ecken zu brennen.
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen
auf die Straßen gehen, um gegen die desolater werdende Wirtschaftssituation
zu protestieren – die Inflation liegt nun bei 50 Prozent, real noch höher.
Allein 2021 gab es ganze 4.000 Demonstrationen im Land. Eine neue
Protestwelle erfolgte im Zuge der Entscheidung der Regierung Anfang Mai,
Subventionen für Nahrungsmittel, etwa importierten Weizen, zu streichen.
Auch der Sonder-Dollarwechselkurs für essentielle Güter fällt weg, was
Importe um das bis zu Achtfache verteuern könnte. Im Gegenzug wurden
Hilfsbedürftigen circa €10 im Monat in Aussicht gestellt – angesichts der
Preisentwicklungen wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Die Subventionsstreichungen wurde sogar von einigen Stellen innerhalb des
Regimes als sozial und politisch explosiv eingestuft, darunter einige
Abgeordnete aus dem von den Hardlinern dominierten Parlament sowie die
Studenten-Organisation der Basij – also jene paramilitärischen Einheiten,
die den Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) unterstehen. Dennoch
entschieden sich die Führer der Islamischen Republik, das Budgetloch mit
einem Griff in die ohnehin nahezu leeren Taschen ihrer Bürger zu
verkleinern.
## Proteste gegen das gesamte Regime
Bei den Demonstrationen wiederholt sich ein Muster, das man bereits bei den
Protesten zur Jahreswende 2017/18 und im November 2019 beobachten konnte:
[1][Sozioökonomisch getriggerte Proteste] werden schlagartig zu
politischen, die sich gegen das gesamte Regime wenden.
Den Iran erschütterte Ende Mai ein weiterer Paukenschlag: In Abadan, in der
ölreichen südwestlichen Provinz Khuzestan, stürzte ein zehnstöckiges
Geschäftsgebäude ein und begrub etliche Menschen. Daraufhin entsandte
Teheran nicht etwa Hilfstruppen, um Menschen unter den Trümmern zu bergen,
sondern Sicherheitskräfte, um gegen befürchtete Proteste vor Ort vorzugehen
und zugleich ihre Ausbreitung zu verhindern.
Diese vielsagende Prioritätensetzung des Regimes streute zusätzlich Salz in
die Wunde – und entfachte die Wut der Menschen noch weiter. Denn es war
eine Katastrophe mit Ansage: Der Bauherr war Teil der korrupten
Regime-Elite und konnte den Bau trotz zahlreicher Sicherheitswarnungen
vorantreiben. Diese Regime-Connection war auch der Grund, weswegen die
Proteste sich nicht nur gegen die lokalen Verantwortlichen richteten,
sondern gegen die gesamte Herrschaftsklasse in der Islamischen Republik.
Obgleich die jüngsten Proteste in ihrer geografischen Ausbreitung und
Mobilisierung nicht an die der letzten Jahre anknüpfen konnten, haben sie
diesmal eine besondere Sprengkraft. Damals sollte Ex-Präsident Hassan
Rohani, der als Rivale der Hardliner galt und in Europa als Reformer oder
Gemäßigter verklärt wurde, als Hauptschuldigen festgemacht werden.
## Ablenkungsmanöver diesmal nicht möglich
Doch diesmal ist solch ein Ablenkungsmanöver nicht machbar, denn die
Hardliner kontrollieren sämtliche Schalthebel der Macht: das politische
System, die Wirtschaft – sowohl die offizielle als auch die
Schattenwirtschaft –, den Repressionsapparat, die Staatsmedien. Mit anderen
Worten: Die grassierende Legitimationskrise des Regimes wird mit einem
Scheitern noch weiter voranschreiten.
Blickt man auf diese immer tiefer werdende Wirtschaftsmisere im Land, so
müsste man eigentlich davon ausgehen, dass Teheran so schnell wie möglich
den [2][Atomdeal wiederbeleben] und die dazugehörigen Sanktionen aufgehoben
sehen will. Von solch einer wirtschaftlichen Dringlichkeit ist allerdings
wenig zu merken. Die ergebnislose Wiederaufnahme der Atomgespräche Ende
Juni in Doha nach einer langen dreimonatigen Unterbrechung haben dies
zuletzt bezeugt.
Die Raisi-Regierung verfolgt politische Ziele bei den Wiener Verhandlungen
zum Atomabkommen: Die iranische Forderung, die Revolutionsgarden von der
Terrorliste des US-Außenministeriums zu streichen, schien das letzte
Hindernis zu einem bereits mit Händen zu greifenden Durchbruch. Washington
lehnte allerdings ab, zumal Teherans Forderung den gesteckten Rahmen des
Atomdeals übersteigt. Irans Regierung schielt darauf, am Ende der Wiener
Verhandlungen einen politischen Sieg zu verkünden und ihr Versprechen,
einen besseren Deal als Rohani herauszuschlagen, einzulösen.
Zuletzt hatte sich Teheran bezüglich der Listung der IRGC als Terrorgruppe
kompromissbereit gezeigt. Stattdessen forderte es die Aufhebung der
US-Sanktionen gegen [3][Khatam al-Anbiya], das Bauimperium ebenjener
Revolutionsgarden. Dies könnte auch eine Folge neuen ökonomischen Drucks
sein, den die iranischen Machthaber verspüren: Denn ihr chinesischer
Ölabnehmer könnte sich nun für russisches Öl entscheiden, das Moskau mit
einem sogar größeren Rabatt als Teheran anbietet. Auf eben diese oftmals
undurchsichtige Ölexporte Irans zielen auch die neuen US-Sanktionen.
Mitarbeit: Lisa Schneider
8 Jul 2022
## LINKS
[1] /Unzufriedene-Bevoelkerung/!5853733
[2] /Abkommen-auf-der-Kippe/!5860232
[3] https://home.treasury.gov/news/press-releases/tg539
## AUTOREN
Ali Fathollah-Nejad
## TAGS
Schwerpunkt Iran
Sanktionen
Atomabkommen mit Iran
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Schwerpunkt Konflikt zwischen USA und Iran
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