# taz.de -- Bürgermeister über Hochwasserhilfen: „Das Geld kommt bei zu wen… | |
> Der Wiederaufbau nach der Ahrflut 2021 stockt. Der Bürgermeister von | |
> Stolberg macht dafür vor allem die komplexe Bürokratie verantwortlich. | |
Bild: Stolberg vor einem Jahr: Helfer:innen räumen nassen Schutt beiseite | |
taz: Herr Haas, wie oft denken Sie an den 14. Juli 2021, also an [1][die | |
Nacht, in der Ihre Stadt Stolberg unterging]? | |
Patrick Haas: An diese Nacht denke ich ständig – ganz einfach, weil wir | |
hier noch immer jeden Tag mit den Folgen der Hochwasserkatastrophe kämpfen, | |
weil wir jeden Tag daran arbeiten, die Schäden zu beseitigen. | |
Wie hart hat die Flut Stolberg getroffen? | |
Gott sei Dank hat hier niemand das Leben verloren, ist niemand ertrunken. | |
Der finanzielle Schaden aber summiert sich allein in Stolberg auf rund eine | |
Milliarde Euro. Unsere Stadt liegt direkt am Fuß der Eifel, wo es vor der | |
Flut tagelang geregnet hat. Dadurch haben sich unser kleiner Vichtbach, die | |
Inde und weitere Zuflüsse mitten in der Stadt in einen reißenden Strom | |
verwandelt. | |
Mit welchen Folgen? | |
Bäume sind wie Spielzeug weggespült worden. In unseren Straßen klafften 3 | |
bis 4 Meter tiefe Löcher. Zwar sind die Häuser in unserer Innenstadt sehr | |
alt und stabil – doch in den Schaufenstern der Geschäfte steckten | |
mitgerissene Autos. Ohne Kernsanierung geht deshalb nichts: Überall stand | |
stinkender Schlamm, teilweise meterhoch. | |
Wie läuft der Wiederaufbau? | |
Einige Gebäude sind bereits komplett renoviert, sehen schöner aus als vor | |
der Katastrophe. Es gibt aber auch Häuser, in denen bis heute nicht ein | |
einziger Handschlag gemacht wurde. | |
Woran liegt das? | |
Für viele ist es nicht einfach, an die Wiederaufbau-Hilfen zu kommen oder | |
mit den Versicherungen um Zahlungen zu ringen. [2][Nicht wenige leiden noch | |
immer unter den psychischen Folgen der Katastrophe]. Andere sind älter und | |
haben nicht mehr die Kraft, wieder aufzubauen. Ein Verkauf aber hilft ihnen | |
nicht weiter: Die staatlichen Hilfen kann nur beantragen, wer am Tag der | |
Flut Eigentümer:in war. | |
Mit welchen Folgen? | |
Der Wiederaufbau stockt – und das ist ein Riesen-Fiasko für unsere Stadt. | |
Wir haben das mit der zuständigen nordrhein-westfälischen Bauministerin Ina | |
Scharrenbach oft besprochen. Ergebnis waren zumindest kleine | |
Verbesserungen: Jetzt können auch Erben die Hilfen beantragen oder wir als | |
Stadt, wenn wir kaufen. Damit ist Stolberg aber überfordert. Wir müssen | |
doch schon Straßen, Schulen, Kitas wiederherstellen. Selbst das Rathaus ist | |
zerstört, muss durch einen Neubau ersetzt werden. Wir sind einfach auf die | |
Initiative von Privatleuten angewiesen. | |
Und die bremst die Bürokratie aus? | |
Natürlich muss der Staat darauf achten, dass seine Hilfe nur an wirklich | |
Bedürftige geht. Trotzdem sind die Hürden zu hoch: Gerade in unserer tief | |
gelegenen und deshalb besonders heftig von der Flut getroffenen Innenstadt | |
leben viele Menschen mit wenig Geld. Viele haben einen | |
Migrationshintergrund und tun sich schwer, die komplizierten Anträge der | |
Wiederaufbau-Hilfen zu verstehen. Das betrifft längst nicht nur | |
Hauseigentümer:innen. Viele halten sich einfach nur über Wasser. Auf den | |
Listen der Tafel und von Hilfsorganisationen hier in Stolberg stehen noch | |
immer mehr als 1.500 Menschen, die Lebensmittelhilfen bekommen. | |
Wie helfen Sie den Leuten? | |
Wir gehen in jedes Haus und fragen, wer welche Hilfe braucht. Gerade | |
kämpfen wir darum, dass die Hochwasser-Hilfen wieder hier direkt in | |
Stolberg beantragt werden können – und nicht wie derzeit nur in der | |
Kreishauptstadt Aachen. Für wirklich engmaschige Unterstützung von der | |
Antragstellung über die Auszahlung bis zur Sanierung von Wohnungen und | |
Häusern aber fehlt uns das Personal. | |
Warum? | |
Nötig wären dazu nicht nur Architekt:innen, sondern auch Psycholog:innen, | |
Sozialarbeiter:innen und Übersetzer:innen – also Dutzende | |
zusätzliche Mitarbeiter:innen, die den Menschen helfen, auch wirklich an | |
das Geld zu kommen. Und dann fehlen die nötigen Handwerker:innen. Das ist | |
das nächste Problem. | |
Inwiefern? | |
Um an die Wiederaufbau-Hilfen zu kommen, brauchen | |
Hauseigentümer:innen ein Gutachten. Wenn das vorliegt, werden aber | |
trotzdem erst einmal nur 20 Prozent der Schadenshöhe erstattet. Mehr gibt | |
es nur gegen den Nachweis, dass das bereits gezahlte Geld auch verbaut | |
wurde, also nur bei Vorlage entsprechender Rechnungen. Wer nicht in | |
Vorleistung gehen kann, muss die Sanierung deshalb immer wieder | |
unterbrechen – und das machen viele Handwerksbetriebe, deren Auftragsbücher | |
auch so prall gefüllt sind, einfach nicht mit. | |
Schnell wiederaufbauen kann also nur, wer selbst genug Geld hat – oder eine | |
gute Bank? | |
Genau. | |
CDU-Bauministerin Scharrenbach sagt dagegen, bisher seien von landesweit | |
18.800 Anträgen 94 Prozent geprüft oder schon bewilligt. Für Private seien | |
das fast 500, für die Städte und Gemeinden mehr als 740 Millionen Euro. | |
Allein in unserer mittelgroßen Stadt Stolberg liegt der Gesamt-Schaden aber | |
bei etwa einer Milliarde, also 1.000 Millionen Euro. Das Problem ist: Es | |
wird nur über die Hilfen geredet, die auch beantragt wurden. Vom | |
Schreibtisch aus wird das Ausmaß der Zerstörung oft nicht klar. | |
Wie meinen Sie das? | |
Als Mitarbeiter:innen der zuständigen Bezirksregierung Köln ein | |
Dreivierteljahr nach der Katastrophe zum ersten Mal bei uns in der | |
Innenstadt vor Ort waren, haben die sich gewundert: ‚Hier ist ja jedes Haus | |
beschädigt‘, haben die gesagt. Aufgrund der bisher gestellten Anträge waren | |
sie davon ausgegangen, dass es viel weniger sind. | |
Wie viele Stolberger:innen haben denn bisher Hilfen erhalten? | |
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Diese Zahl hätte ich auch gern, bekomme sie | |
aber nicht. | |
Und wie groß sind die Hilfen, die Stolberg bisher erhalten hat? | |
Allein für die städtische Infrastruktur haben wir einen Wiederaufbau-Plan | |
in Höhe von 225 Millionen Euro vorgelegt. Diesen haben wir mit der | |
Bezirksregierung vorabgestimmt und warten aktuell auf die Genehmigung. Noch | |
bezahlen wir einen Großteil über Kassenkredite. | |
Ist das nicht Staatsversagen, für das auch Ihre Partei, die SPD, | |
mitverantwortlich ist? Als Bundesfinanzminister hat Kanzler Olaf Scholz | |
nach der Flut versprochen, niemand solle materiell schlechter dastehen als | |
vor der Katastrophe. | |
Da muss ich Olaf Scholz verteidigen – nicht nur, weil er wie ich | |
Sozialdemokrat ist: Als Hochwasser-Hilfe hat der Bund ein Sondervermögen | |
von 30 Milliarden Euro aufgelegt. Davon gehen 12,3 Milliarden hier zu uns | |
nach Nordrhein-Westfalen. Das Geld ist also da – doch es kommt noch bei zu | |
wenigen Menschen an. | |
14 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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