# taz.de -- Regierungssturz in Sri Lanka: Der Palast bleibt vorerst besetzt | |
> Die Lage ist für die Bevölkerung nicht mehr erträglich. Viele befürchten, | |
> dass der Präsident trotz allem seine Macht erhalten will. | |
Bild: Sri Lankas Regierung geht baden – die Demonstrant:innen auch. Aufnahme … | |
MUMBAI/COLOMBO taz | Teilweise mit Schwimmreifen und in T-Shirts plantschen | |
Menschen im Luxuspool. Aber es ist nicht irgendeine Villa in einem der | |
besten Viertel von Sri Lankas Hauptstadt Colombo, die sie sich ausgesucht | |
haben und die als Videokulisse im Netz viral geht. Hunderte Menschen haben | |
über das Wochenende den Präsidentenpalast, also den offiziellen Wohnsitz | |
des sri-lankischen Staatsoberhaupts Gotabaya Rajapaksa eingenommen. | |
Während auf den TV-Bildschirmen in den Wohnräumen des Palasts die | |
[1][Nachrichten über die Besetzung] laufen, bereiten die | |
Demonstrant:innen im Freien eine „Küche für alle“ vor, andere testen | |
die Fitnessgeräte. Selten war die Stimmung auf diesem Anwesen in den | |
vergangenen Wochen wohl so ausgelassen – als wäre die tiefe Krise, in der | |
sich der Inselstaat Sri Lanka befindet, vergessen. Ein Regierungssprecher | |
kündigte noch am Wochenende inmitten dieser Unruhen an, Rajapaksa wolle am | |
kommenden Mittwoch zurücktreten, um „einen friedlichen Machtwechsel zu | |
gewährleisten“. | |
Den Unmut über die Regierung unter der Führung der Familie Rajapaksa hatten | |
weite Teile der Bevölkerung seit Wochen öffentlich geäußert und ein | |
Protestcamp in der Hauptstadt errichtet, das Menschen über Religionen | |
hinweg vereinte. Die Rücktrittsforderung an Gotabaya Rajapaksa – „Hau ab, | |
Gota!“ – war immer wieder zu hören. Eine zunächst angesetzte Ausgangssper… | |
konnte die Demonstrant:innen am Samstag nicht zurückhalten. Sie haben | |
angekündigt, den Präsidentenpalast erst zu verlassen, wenn Rajapaksa | |
wirklich geht. | |
In der Bevölkerung wuchs in letzter Zeit der Unmut über „korrupte und | |
manipulative“ Führer immer weiter. Sri Lanka hat außerdem über 50 | |
Milliarden US-Dollar (49 Milliarden Euro) Schulden angesammelt. | |
## Kein Treibstoff, keine Medikamente | |
Der [2][breit gefächerte Bürgerprotest erreichte im Mai 2022] bereits einen | |
Höhepunkt, woraufhin Premierminister Mahinda Rajapaksa (SLPP) sein Amt | |
aufgab. Nachfolger und neu ernannter vormaliger Premierminister, Ranil | |
Wickremesinghe, zeigte sich da zuversichtlich, dass er die Wirtschaft | |
wieder in Schwung bringen könnte. Nun hat er in Aussicht gestellt, | |
zurückzutreten, um den Weg für eine parteiübergreifende Regierung | |
freizumachen. Am Wochenende wurde im Zuge von Randalen sein privater | |
Wohnsitz in Brand gesteckt. Es wird ermittelt, um die Täter:innen zu | |
finden. | |
Polizeibeamte wirkten in Schilderungen teils unschlüssig, auf wessen Seite | |
sie stehen sollen: der Demonstrant:innen oder des alten Regimes. | |
Dennoch setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein. Bei den jüngsten | |
Protesten am Wochenende wurden auch Journalist:innen von | |
Sicherheitskräften angegriffen und über 90 Personen, darunter | |
Polizeibeamt:innen, sollen verletzt worden sein. Andere beklagten das | |
brutale Vorgehen von Sicherheitskräften gegen unbewaffnete Zivilisten, | |
darunter der maledivische Anwalt Shumba Gong. | |
Die Familie Rajapaksa hatte sich bei Wahlen 2019 mit ihrer singhalesischen | |
Volksfront SLPP durchgesetzt. Seitdem hatte sich eine Devisenkrise | |
verschärft, aus dem Ausland kam wieder weniger Geld auf die Insel. Die | |
Coronapandemie verschärfte dies: Nun fehlten zunehmend auch Devisen, die | |
Staatsbürger, die im Ausland arbeiteten, nach Hause schickten. Mit einem | |
Einfuhrverbot von Kunstdünger im April vergangenen Jahres, um Devisen | |
einzusparen, geriet nun auch die Landwirtschaft ins Wanken, die nicht | |
darauf vorbereitet war. | |
Doch dabei blieb es nicht, Sri Lanka fehlte es außerdem an Treibstoff und | |
Medikamenten. Mehrere Menschen sollen bereits wartend an der Tankstelle | |
umgekommen sein. Besonders die medizinische Versorgung von Kindern, älteren | |
Menschen und chronischen Patient:innen war zuletzt katastrophal. Im | |
April erklärte die Regierung sich als unfähig, Auslandsschulden | |
abzubezahlen. Sri Lankas größter bilateraler Gläubiger ist dabei China. | |
## Zweifel am Rücktritt | |
Vor der Protestwelle teilten sich die Brüder Gotabaya und Mahinda Rajapaksa | |
das Amt des Präsidenten und des Premiers. Mit einer Verfassungsänderung | |
schwächten sie das Parlament, zudem befanden sich weitere Verwandte in | |
hohen Regierungspositionen. Diese traten im Zuge der „Gota Go | |
Home“-Proteste zurück. | |
Nach der Erstürmung des Präsidentenpalastes durch Demonstrant:innen | |
berief der sri-lankische Parlamentspräsident eine Sitzung mit den Führern | |
der politischen Parteien ein. Premierminister Ranil Wickremesinghe (UNP), | |
der virtuell an der Sitzung teilnahm, erklärte, er werde von seinem Amt | |
zurücktreten, nannte aber kein konkretes Datum. Später am Abend teilte der | |
Parlamentspräsident mit, Rajapaksa werde am Mittwoch, den 9. Juli, sein Amt | |
niederlegen. Seitdem haben laut Medienberichten mehrere Minister der | |
Übergangsregierung ihre Ämter niedergelegt. | |
Unter Demonstrant:innen bleiben allerdings Zweifel am Rücktritt von | |
Präsident Rajapaksa und Premierminister Wickremesinghe. „Wir können dem | |
Präsidenten nicht trauen, der unermessliches Leid über sein eigenes Volk | |
gebracht hat und nicht von der Macht lassen wollte“, sagt Shanaka | |
Jayewardene, ein Lehrer aus der Hauptstadt Colombo. „Warum braucht er so | |
lange, um zurückzutreten?“ Das ist die Frage, die Sri Lanka umtreibt. Unter | |
den Geistlichen, die sich unermüdlich an den Protesten beteiligt haben, | |
wächst die Sorge, dass der Präsident und der Premierminister eine Strategie | |
planen, um an der Macht zu bleiben. | |
„Die Menschen sind skeptisch. Wir erinnern uns noch an die kurzsichtige | |
Entscheidung des Präsidenten, chemische Düngemittel zu verbieten, was zu | |
einer Verknappung von Reis und anderen Gemüsesorten führte und die | |
Ernährungssicherheit des Landes gefährdete, und wie er die gesamte | |
Wirtschaft in eine beispiellose Krise stürzte“, so Jayewardene. | |
## Der IWF äußert sich | |
Mit der Entmachtung der Rajapaksas könnte eine Vereinbarung mit dem | |
Internationalen Währungsfonds (IWF) näher rücken. In einer heutigen | |
Erklärung gab der IWF bekannt, dass er auf eine Lösung der politischen | |
Unruhen in Sri Lanka hofft, die eine Wiederaufnahme der Gespräche über ein | |
Rettungspaket ermöglichen wird. Obwohl sich die Bevölkerung wirtschaftliche | |
Stabilität wünscht und auf finanzielle Hilfe durch den IWF und andere | |
Geldgeber hofft, haben sich Ängste und Zweifel verstärkt. | |
In der Bevölkerung sei aber auch Hoffnung zu spüren, sagt Thyagi | |
Ruwanpathirana von Amnesty International Sri Lanka gegenüber der taz. Doch | |
„es ist noch zu früh, um von einem Sieg der Demokratie zu sprechen. Wir | |
werden in den nächsten Tagen sehen, ob die versprochenen Rücktritte | |
tatsächlich erfolgen“. | |
Inzwischen haben die Oppositionsparteien Gespräche über die Bildung einer | |
Allparteien-Übergangsregierung aufgenommen. | |
10 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-Sri-Lanka/!5866492 | |
[2] /Gewalt-und-Proteste-in-Sri-Lanka/!5850836 | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
Nishantha Hewage | |
## TAGS | |
Sri Lanka | |
Wirtschaftskrise | |
soziale Unruhen | |
GNS | |
Protest | |
Sri Lanka | |
Protest | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Massenproteste in Sri Lanka: Wo ist der Präsident? | |
Sri Lankas Staatschef Rajapaksa soll planen, sich nach Dubai abzusetzen. | |
Seine Flucht würde einen politischen Neustart ermöglichen. | |
Unruhen in Sri Lanka: Kopflos und bankrott | |
Mit dem Rücktritt von Präsident Rajapaksa wird der Einfluss Chinas auf Sri | |
Lanka weniger werden. Was das Land am nötigsten braucht, ist Stabilität. | |
Proteste in Sri Lanka: Amtssitz des Präsidenten gestürmt | |
Sri Lanka erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. | |
Demonstrant*innen fordern seit Wochen, dass Gotabaya Rajapaksa | |
zurücktritt. |