# taz.de -- Martin Schirdewan über Neuausrichtung der Linken: „Es wird kein … | |
> Mit Janine Wissler soll Martin Schirdewan die Linke aus der Krise führen. | |
> Der Parteitag habe eine Richtungsentscheidung getroffen, sagt er. | |
Bild: Hat ein gutes Gefühl – Neuer Co-Vorsitzende der Linken Martin Schirdew… | |
taz: Herr Schirdewan, Sie sind [1][neuer Parteichef der Linkspartei]. Wird | |
jetzt alles wieder gut? | |
Martin Schirdewan: Die Weichen sind gestellt. Der Parteitag hat mit großer | |
Mehrheit dafür votiert, dass wir jetzt die Selbstbeschäftigung beenden und | |
die Brot-und-Butter-Themen einer modernen sozialistischen | |
Gerechtigkeitspartei ins Zentrum unserer politischen Arbeit stellen. | |
Warum geht es der Linkspartei denn so mies? | |
Ein Gutteil der Krise ist tatsächlich hausgemacht. Das stimmt mich aber | |
optimistisch, dass wir aus der Krise wieder rauskommen. Wenn wir die | |
Selbstbeschäftigung beenden, werden wir es schaffen, mit einer Stimme | |
unsere politischen Themen wie Mietendeckel, Energiepreise, Übergewinnsteuer | |
und das Ende der Nahrungsmittelspekulation ins Zentrum zu stellen und dafür | |
sorgen, dass unsere Mitglieder wieder stolz am Infostand für Die Linke | |
werben. | |
Und das ändert sich jetzt mit der neuen Parteispitze? War die alte so | |
unfähig? | |
Der Parteitag hat klar signalisiert: Es wird kein Weiter so geben. Was | |
früher falsch gelaufen ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich noch nicht | |
in der Parteispitze war. Aber klar ist: Wir müssen ein politisches Zentrum | |
in der Partei etablieren, dass unsere politischen Schwerpunkte definiert. | |
Wir erwarten eine Kaufkraftkrise, die gerade Leute mit niedrigem Einkommen | |
treffen wird. Einkommensschwache Familien können ihre Rechnungen nicht mehr | |
zahlen. Wir müssen endlich wieder die Stimme jener sein, die am stärksten | |
von den sozialen Ungerechtigkeiten betroffen sind. | |
Gehören zu diesem Zentrum auch Sevim Dağdelen und Sahra Wagenknecht?Wir | |
haben eine gewisse Bandbreite in der Partei. Parteitage sind dazu, da | |
Richtungsentscheidungen zu treffen und das haben wir sehr deutlich getan. | |
Jetzt geht’s darum, dass die Führungskräfte in Partei, Fraktion und | |
Landesverbänden in eine Richtung laufen. | |
Bei der Wahl des Bundesgeschäftsführers haben Sie und ihre | |
[2][Co-Vorsitzende Janine Wissler] nicht ihren Kandidaten durchgesetzt, | |
sondern einen, der Fraktionschef Dietmar Bartsch nahesteht. Wie stellen Sie | |
sich die Zusammenarbeit vor? | |
Der Parteitag hat eine souveräne Entscheidung gefällt. Ich kann mir mit | |
Tobias Bank eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vorstellen. Er ist Mitglied | |
des Parteivorstandes und ein anerkannter Kommunalpolitiker. Nach dem | |
Parteitag geht es jetzt darum, gemeinsam in die Partei zu wirken. Ich habe | |
ein gutes Gefühl. | |
Sie sind Vorsitzender der Linken-Fraktion im Europaparlament. Bleiben Sie | |
das? | |
Mein Mandat in Brüssel werde ich behalten. Meine künftige Rolle dort werde | |
ich mit den Kolleginnen und Kollegen dort besprechen. Ich werde mit 100 | |
Prozent Leidenschaft und Einsatz Parteivorsitzender der Linken sein. | |
Die Linkspartei war sich bislang bei zentralen Themen wie Migration, Corona | |
oder Klimapolitik uneins. Bei Europa auch. Soll die Linkspartei | |
EU-freundlich sein – oder die EU als Agentur des Neoliberalismus bekämpfen? | |
Wir brauchen eine europapolitische Debatte und Klarheit. Das hat uns vor | |
der letzten Europawahl gefehlt. Wir werden bis zur nächsten Wahl 2024 ein | |
einheitliches Profil haben. | |
Aber manche wollen die EU abschaffen, andere die Vereinigten Staaten von | |
Europa. Wie soll das zusammen gehen? | |
Wir kritisieren den Stabilitäts- und Wachstumspakt, der die Investitionen | |
verhindert, die wir für den sozialökologischen und sozialdigitalen Wandel | |
brauchen. Wir kritisieren die europäische Agrarpolitik, weil die die großen | |
Agrobusiness-Betriebe bevorzugt. Wir fordern eine Demokratisierung der | |
europäischen Entscheidungsprozesse, ein Initiativrecht für das Europäische | |
Parlament. Wir werden sowohl unsere positiven Vorschläge als auch unsere | |
Kritik konkretisieren müssen. | |
Also ein proeuropäischer Reformkurs? | |
Ein an den Realitäten orientierter Kurs. Die EU ist Realität. Der Brexit | |
hat bei vielen europäischen Linksparteien, die sehr EU-kritisch waren oder | |
auch einen EU-Austritt gefordert haben, zu radikalem Umdenken geführt. Eine | |
Rückkehr zum Nationalstaat ist sowohl für die Wirtschaft als auch für die | |
einfachen Leute sehr, sehr teuer. Wer das nicht sieht, hat die Zeichen der | |
Zeit nicht erkannt. | |
Auf dem Parteitag gab es scharfe Abgrenzung von den Grünen, denen auch Sie | |
vorgeworfen haben, nur an Waffenlieferungen zu denken. Sind die Grünen der | |
neue Hauptfeind der Linkspartei? | |
Nein, die Linke kritisiert als sozialistische Oppositionspartei die | |
Regierungspolitik. Die Grünen sind Teil dieser Regierung. Sie tragen auch | |
den Tankrabatt mit, den die FDP durchgesetzt hat, oder das | |
Entlastungspaket, dass die Hälfte der Bevölkerung vergisst. Wenn die Ampel | |
ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht wird, dann treten wir ihnen auf | |
die Füße. Damit sie anfangen, Politik für die Mehrheit der Bevölkerung zu | |
machen. | |
26 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Stefan Reinecke | |
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