# taz.de -- Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes: Bedingt Erfolg versprechend | |
> Bei der Aufarbeitung des Einsatzes in Afghanistan sind Auftraggeber und | |
> Untersuchungsobjekt identisch. Es sind die Ampelparteien und die Union. | |
Bild: Kabul im September 2021: Die Bundeswehr ist weg, und die Taliban patrouil… | |
Eine Untersuchung der deutschen Beteiligung am Afghanistan-Einsatz könne | |
„das gemeinsame Credo“ bekräftigen, dass „[1][dieser Einsatz nicht | |
vergebens]“ gewesen sei. Das sagte Annalena Baerbock am 28. Juni bei einer | |
Konferenz der afghanischen Diaspora in Berlin. Der FDP-Abgeordnete | |
Alexander Müller erklärte bei der ersten Debatte zur Einsetzung eines | |
parlamentarischen Untersuchungsausschusses (UA) und einer Enquetekommission | |
zum Thema Afghanistan im Bundestag am 23. Juni: | |
„Wir haben einer ganzen Generation von Afghaninnen und Afghanen ermöglicht, | |
Bildung, Demokratie und Freiheit zu erleben.“ Was beide verschweigen: | |
Deutsche Politik trug auch dazu bei, dass es am 15. August 2022, [2][als | |
die Taliban wieder die Macht in Afghanistan übernahmen], mit diesen | |
Freiheiten wieder vorbei war. | |
Problematisch an beiden Äußerungen ist, dass sie bereits ein Ergebnis | |
präjudizieren. Eine unvoreingenommene Aufarbeitung des Einsatzes ist damit | |
von vornherein eingeschränkt. Baerbock und Müller spiegeln die Hoffnung | |
einer sehr breiten Mehrheit im Bundestag: Die Parteien der Ampelkoalition | |
und der nun oppositionellen CDU/CSU haben diesen Einsatz in | |
unterschiedlicher Regierungszusammensetzung über den Zeitraum von 2001 bis | |
2021 getragen und immer wieder schöngeredet. | |
Zu Beginn des Einsatzes regierte Rot-Grün, gefolgt von der Großen | |
Koalition, unterbrochen von Schwarz-Gelb, und aktuell die Ampel. Nun leiten | |
sie gemeinsam die parlamentarische Aufarbeitung ein. Dabei wurden die | |
Arbeitsaufträge für beide Gremien geschickt beschnitten. Laut SPDler Ralf | |
Stegner soll der von ihm zu leitende Untersuchungsausschuss herausfinden, | |
„warum diese Mission am Ende so gescheitert“ und insbesondere die | |
Evakuierung der gefährdeten afghanischen Ortskräfte „[3][in die Hose | |
gegangen ist]“. | |
Er behandelt also nur die letzte, zwar dramatische Phase des Einsatzes, als | |
das Kind schon lange im Brunnen lag. Immerhin soll er unter anderem klären, | |
inwieweit die Bundesregierung auf ein Friedensabkommen vor dem Abzug | |
gedrungen hat – dessen Nichtzustandekommen letztlich zur ungehinderten | |
Machtübernahme der Taliban führte. Deutschland steuerte mit dem sogenannten | |
innerafghanischen Dialog in Katar nur das Beiprogramm zu den | |
US-Verhandlungen mit den Taliban bei, ohne eigene Akzente zu setzen. | |
## Enquetekommission politisch bedeutender | |
Trotzdem und trotz der brisanten und offenen Frage der Evakuierung der | |
afghanischen Ortskräfte ist der Ausschuss unterm Strich politisch weniger | |
bedeutsam als die Enquetekommission. Die nämlich soll den Gesamteinsatz | |
unter die Lupe nehmen, also auch die Weichenstellungen deutscher | |
Regierungen gerade in den Anfangsjahren, die zum endgültigen Scheitern des | |
Einsatzes beitrugen. | |
Immerhin konnten Bemühungen abgeschmettert werden, wohl aus dem Auswärtigen | |
Amt, den Untersuchungszeitraum auf die Jahre ab 2013 zu begrenzen, als die | |
Nato bereits den Truppenabzug beschlossen und damit die Mission de facto | |
aufgegeben hatte. Allerdings darf die Kommission im Gegensatz zum | |
Untersuchungsausschuss keine Zeugen vorladen und nicht die Herausgabe von | |
Regierungsdokumenten verlangen. | |
Hier gilt es, genau darauf zu achten, wo sie ihre inhaltlichen Schwerpunkte | |
setzen wird und wie die Bundesministerien kooperieren. Die Liste der | |
offenen Fragen ist zu lang für diesen Kommentar, deshalb hier nur eine | |
Auswahl: Inwieweit trug die finanzielle und personelle Bevorzugung der | |
Bundeswehr zum Scheitern des zivilen Wiederaufbaus und damit zum | |
Zusammenbruch der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen im | |
August 2021 bei? | |
Warum setzte man sich nicht deutlich und im EU-Rahmen von der | |
Militär-first-Strategie der USA ab? Warum blieb die Parteien- und | |
Parlamentsförderung so begrenzt? Warum entschied sich die Bundesregierung | |
bei der Nato-Truppenstationierung über Kabul hinaus Ende 2003 für Kundus | |
und nicht den Südosten, traditionell Schwerpunkt westdeutscher | |
Entwicklungsarbeit? | |
## Unendlich viele Fragen | |
Trug die teils ostentative, teils einfach unkritische Kooperation mit | |
Warlords in Kundus, Faisabad und Masar-i-Scharif sowie mit Milizen einer | |
islamistischen Partei in Baghlan, die im Verdacht steht, Kriegsverbrechen | |
begangen zu haben, zur Taliban-Expansion nach Nord-Afghanistan bei? Welche | |
Rolle spielte Zuarbeit von BND und Bundeswehr zur Nato-Zielauswahl, der | |
sogenannten Joint Prioritized Effects List? Gab es in der Folge dort mehr | |
zivile Opfer? | |
Haben sich später ermittelte rechtsextreme Gesinnungen beim Kommando | |
Spezialkräfte in Afghanistan gegenüber der Zivilbevölkerung ausgewirkt? | |
Warum wurden Ende 2016 [4][Abschiebungen nach Afghanistan] wieder | |
aufgenommen, obwohl sich nach Ende der Nato-Kampfmission Isaf 2014 die | |
Sicherheitslage erheblich verschlechterte? Und schließlich: Trugen | |
geschönte Lageeinschätzungen zum Desaster im August 2021 bei? | |
Zwar betrachten viele afghanische oder aus Afghanistan stammende | |
Aktivist:innen und Analyst:innen wie die schon länger in Deutschland | |
lebende, aus Afghanistan stammende Hochschullehrerin Jasamin Ulfat die | |
weitere „Existenz einer afghanischen Zivilgesellschaft, so rudimentär sie | |
(nach der Taliban-Machtübernahme) auch sein mag“, als positives Ergebnis | |
des Afghanistan-Einsatzes. Das allerdings klingt wie Pfeifen im nächtlichen | |
Wald. | |
Die Taliban lassen zivilgesellschaftlichem, zumal öffentlichem Handeln | |
keinen Spielraum, vor allem nicht, wenn es politisch zu werden droht. Nicht | |
zuletzt die Niederschlagung der Frauenproteste und letzte Woche ihre Große | |
Versammlung in Kabul, bei der sie ihren absoluten Herrschaftsanspruch | |
untermauerten, machen das deutlich. Derweil hat sich der Westen – inklusive | |
der Bundesregierung – mit seinem Scheitern in Afghanistan der Mittel | |
beraubt, daran auf absehbare Zeit wirklich etwas ändern zu können. | |
7 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rnd.de/politik/baerbock-will-tausende-schutzbeduerftige-aus-afg… | |
[2] /Schwerpunkt-Afghanistan/!t5008056 | |
[3] https://www.zeit.de/news/2022-06/02/stegner-afghanistan-untersuchungsaussch… | |
[4] /Abschiebung-nach-Afghanistan/!5773063 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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