| # taz.de -- Misstrauensvotum in Großbritannien: Lauter gefühlte Sieger | |
| > Boris Johnson hat die Vertrauensabstimmung in seiner Partei überstanden. | |
| > Er und seine Gegner erhalten aber nur eine kurze Verschnaufpause. | |
| Bild: Boris Johnson am Hinterausgang in der Londoner Downing Street | |
| Nach dem [1][gescheiterten Misstrauensvotum] der konservativen | |
| Parlamentsfraktion in Großbritannien gibt es eigentlich nur Verlierer. | |
| Verloren haben zunächst einmal die Initiatoren des Votums selbst: mit 211 | |
| zu 148 Stimmen haben die Abgeordneten Boris Johnson das Vertrauen | |
| ausgesprochen, er bleibt also im Amt – Forderungen, er müsse jetzt | |
| zurücktreten, weil er gewonnen hat, sind absurd. | |
| Eine Niederlage ist es aber auch für den Premierminister selbst, wenn gut | |
| 40 Prozent des eigenen Ladens für seinen Sturz stimmen – er ist nun | |
| deutlich geschwächt, seine Autorität geschwunden. Doch den öffentlichen | |
| Verlautbarungen zufolge hinterlässt dieses Votum nur Gewinner. Die | |
| Tory-Rebellen brüsten sich mit der Stärke ihres Lagers und sehen Johnson | |
| jetzt tödlich angeschlagen, waidwund, endgültig als Regierungschef auf | |
| Abruf, so wie vor ihm [2][Theresa May] in ihrem letzten traurigen Jahr im | |
| Amt. | |
| Johnson und seine Anhänger verweisen demgegenüber auf seinen deutlichen | |
| Sieg selbst in Zeiten eines dramatischen Vertrauenstiefs und betrachten das | |
| Votum als Schlussstrich unter sechs Monate der Peinlichkeiten. Wenn es nach | |
| einer Wahl zwei gefühlte Sieger gibt, kann das nur böse enden. Johnson will | |
| jetzt immer klarer durchregieren. Seine Gegner werden ihm immer öfter die | |
| Gefolgschaft verweigern. | |
| Wieder einmal muss ein Premierminister sich gegen Teile der eigenen Partei | |
| durchsetzen, um zu bestehen. Das ist nicht gut für Großbritannien, und das | |
| kann nicht lange gutgehen – sicher nicht bis zum nächsten regulären | |
| Wahltermin Ende 2024. Doch eine Lösung der Krise ist schwierig. | |
| ## Kein politisches Gegenprogramm | |
| Zum einen bleibt die Dominanz der Konservativen in der britischen Politik | |
| überragend und der Weg zu einem Machtwechsel an der Urne immens steil: | |
| Selbst nachdem über 40 Prozent der Tory-Parlamentsfraktion dem | |
| Premierminister die Gefolgschaft verweigert haben, ist der Johnson-treue | |
| Rest noch immer größer als die komplette Labour-Opposition. | |
| Zum anderen lässt sich der innere Streit um Boris Johnson nicht auf einen | |
| politischen Richtungsstreit reduzieren, den irgendwer politisch lösen | |
| könnte. Seine Kritiker rekrutieren sich aus allen politischen Flügeln der | |
| Konservativen, geeint durch einen diffusen, aber sehr tiefgreifenden Unmut | |
| über desaströse Führung. | |
| Johnsons Gegner hatten bei diesem Misstrauensvotum nicht die geringste | |
| Idee, was sie im Falle eines Sieges eigentlich machen sollten. Das macht | |
| sie umso gefährlicher für den Premier: Er kann ihnen politisch nichts | |
| anbieten, er muss sich selbst unter Beweis stellen. Es ist kein politisches | |
| Gegenprogramm zu dem des Regierungschefs in Sicht, und zugleich ist seine | |
| schiere Existenz das stärkste, wenn nicht sogar das einzige einigende | |
| Element seiner Gegner. Jetzt dreht sich alles um ihn. Auch das ist für | |
| beide Seiten ein gefühlter Sieg. | |
| Den Regeln zufolge hat Boris Johnson jetzt eine Verschnaufpause von einem | |
| Jahr, bevor das nächste parteiinterne Misstrauensvotum stattfinden kann. Er | |
| muss nun diese Zeit nutzen, um zu zeigen, dass er vernünftig regieren kann. | |
| Sein entschlossenes Agieren beim Corona-Impfprogramm und im | |
| [3][Ukrainekrieg] haben gezeigt, dass er dazu eigentlich in der Lage ist. | |
| Schafft er das auch in den Dauerthemen der Politik, ist in zwölf Monaten | |
| alles gut. Schafft er es nicht, ist es vorbei. | |
| 7 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Misstrauensvotum-gegen-Boris-Johnson/!5859101 | |
| [2] /Misstrauensvotum-nach-Brexit-Niederlage/!5566252 | |
| [3] https://www.gov.uk/government/news/prime-minister-travelling-to-kyiv-in-dem… | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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