# taz.de -- Spitzentennis in Berlin: Elite, aber nicht elitär | |
> Der altehrwürdige Tennisverein LTTC erlebt ein Comeback. Im Grunewald | |
> trifft sich jetzt die internationale Tenniselite. | |
Bild: Eine echte US-Open-Siegerin in Berlin: die Kanadierin Bianca Andreescu im… | |
BERLIN taz | Fährt man die Königsallee entlang, immer tiefer hinein [1][in | |
den Berliner Stadtteil Grunewald], werden die Villen zunehmend größer und | |
sehen irgendwann aus wie kleine Schlösser. Nirgends Graffiti oder Müll auf | |
der Straße. Berlin, die Schmuddelstadt, scheint weit weg. Hier leben die | |
Immobilienmakler und Rechtsanwälte und danach sieht es auch aus. | |
Ein kleiner Weg, der Gottfried-von-Cramm-Weg, führt zum [2][LTTC Rot-Weiß], | |
dem ältesten und traditionsreichsten Tennisverein Berlins. Steffi Graf war | |
hier Mitglied, in der goldenen Zeit des deutschen Tennis. Und Gottfried von | |
Cramm, der in den 1930er Jahren einer der besten Tennisspieler der Welt | |
war, eine Art Vorgänger von Boris Becker. | |
Der LTTC feiert in diesem Jahr ein Jubiläum, seinen 125. Geburtstag. Dazu | |
wurde extra ein dickes Klubmagazin herausgegeben, das die lange Historie | |
des Klubs noch einmal beleuchtet. Viele Berliner Bürgermeister, die hier | |
schon zum Hände schütteln waren, sieht man auf den Fotos. Abgedruckt ist | |
auch eine Chronologie der sogenannten Pfingstturniere, die ab Ende des 18. | |
Jahrhunderts beim LTTC stattfanden und bei denen beinahe 25 Jahre lang eine | |
gewisse Clara Gräfin von der Schulenberg die Dauersiegerin war. | |
Tennis war damals eben noch der Sport des Adels und noch nicht der | |
Massensport, der er heute ist. Und man spielte in Weiß, was inzwischen | |
etwas aus der Mode gekommen ist. Außer in Wimbledon. Und im Grunewald. Beim | |
LTTC, genauso wie beim benachbarten Tennisclub Blau-Weiss, muss man immer | |
noch in weißen Klamotten auflaufen, wenn man sich auf den Court begibt. | |
„Eine wichtige Tradition“ sei das, sagt Lutz Müller, der beim LTTC als | |
Klubkoordinator tätig ist. | |
Als elitär will er seinen Verein trotz dieses aus der Zeit gefallenen | |
Dresscodes dennoch nicht verstanden wissen. „Exklusiv“ treffe es besser. | |
Die 1.150 Euro Jahresbeitrag, die man zahlen muss, wenn man hier Mitglied | |
sein möchte, könne sich nicht jeder leisten, das sei ihm auch klar. Aber | |
man habe sich in den letzten Jahren mehr für Familien geöffnet, sagt er. | |
Und Angestellte, die dafür bezahlt werden, dass sie den Mitgliedern nach | |
einer Runde Tennis die Sandplätze abziehen, gebe es auch nicht mehr. Anders | |
als bei Blau-Weiß, die sich diesen Luxus noch leisten. | |
Müller selbst, der früher mal als Tennistrainer gearbeitet hat und jetzt in | |
leitender Funktion beim Klub tätig ist, wirkt auch alles andere als | |
abgehoben. Auf die Frage, ob er Zeit habe, sich mit einem Journalisten zu | |
treffen, auch wenn der von einer Zeitung kommt, die in Grunewald | |
wahrscheinlich weniger gelesen wird als die FAZ oder die Financial Times | |
sagt er sofort: „Für die taz immer.“ | |
Der eigentliche Anlass für einen Besuch ist aber eigentlich weniger das | |
Jubiläum des Klubs denn ein Blick zurück: Hier soll gerade wieder etwas | |
Großes aufgebaut werden. Nicht nur für Berlin, sondern für ganz | |
Tennis-Deutschland. | |
30 Jahre lang, bis 2008, war der LTTC Ausrichter der prestigeträchtigen | |
German Open, einem der weltweit wichtigsten Tennisturniere für Frauen. | |
Steffi Graf gewann es x-mal, das riesige Stadion auf der Anlage, das bis zu | |
7.000 Zuschauer fasst, wurde nach ihr benannt. Dann kam es zu Querelen mit | |
dem Deutschen Tennis Bund und dem Land Katar, dessen Tennisverband | |
irgendwann die German Open ausrichtete. Am Ende stand der LTTC ohne sein | |
Turnier, dafür mit hohen Schulden da. Und das Steffi-Graf-Stadion, für das | |
man keine richtige Verwendung mehr hatte, setzte langsam Moos an und | |
rostete vor sich hin. | |
Doch jetzt gibt es einen Neustart. Seit dem letzten Jahr hat Berlin wieder | |
ein großes Tennisturnier der Damen, das größte in Deutschland, so Lutz | |
Müller. „Bett 1 Open“ nennt es sich, benannt nach dem Hauptsponsor, einem | |
Berliner Hersteller von Billigmatratzen. Es müssen eben nicht immer nur | |
Luxusmarken wie Rolex oder Porsche sein, die sich für Tennis interessieren. | |
Ausrichter des Turniers ist die österreichische Emotion Group, die vor ein | |
paar Jahren einen passenden Klub für eine Zusammenarbeit suchte. Allerdings | |
gab es eine Bedingung: es müsste auf Rasen ausgetragen werden. Und kurz vor | |
Wimbledon stattfinden. Das sei bei dem bereits vollen Turnierplan im | |
internationalen Damentennis die einzige Möglichkeit, ein solches Event zu | |
etablieren. | |
Für den LTTC bedeutete das, drei der insgesamt 16 Sandplätze zu begrünen, | |
vorneweg den Court im Steffi-Graf-Stadion. Und es bedeutete, den | |
Mitgliedern zuzumuten, dass sie während der Zeit des Turniers selbst nicht | |
frei spielen können. Also wurde in einer außerordentlichen Vereinssitzung | |
über das Vorhaben abgestimmt, sagt Lutz Müller. Er selbst sei damals | |
dagegen gewesen, sei aber inzwischen froh, dass zwei Drittel der Mitglieder | |
das Turnier wollten. Jetzt sagt er, dass auf Gras den Schläger zu | |
schwingen, was in Deutschland sonst fast nirgendwo möglich ist, „einfach | |
geil“ sei. So, „als würde man Tennis im eigenen Garten spielen“. | |
Und so gehen die Bett 1 Open jetzt ins zweite Jahr. Und finden erstmalig | |
ohne weitere Corona-Auflagen statt. 800.000 Dollar Preisgeld werden | |
vergeben und es gibt ordentlich Weltranglistenpunkte zu holen. Gelockt | |
werden die internationalen Tennisstars aber vor allem damit, so Müller, | |
dass sie sich hier auf Wimbledon vorbereiten können. Der Greenkeeper, der | |
sich um das empfindliche Gras kümmert, sei zudem derselbe, der auch die | |
Beschaffenheit des Grüns in London kontrolliere. | |
## Zwischendurch Currywurst | |
Leider haben Publikumsmagneten wie Naomi Osaka und die aktuelle | |
Weltranglistenerste Iga Swiatek kurzfristig ihre Teilnahme in Berlin wieder | |
abgesagt. Aber wenn man in der ersten Runde das enge Match zwischen | |
Katerina Siniaková und Bianca Andreescu, immerhin einer US-Open-Siegerin, | |
im Steffi-Graf-Stadion sieht, ist auch das schon eine große Show. Man hat | |
von der Bühne aus einen tollen Blick auf das Geschehen auf dem Platz und | |
kann zwischendurch auf den Hundekehlesee blicken und Schwäne beobachten. | |
Und man kann Currywurst mit Pommes essen, als befände man sich im Stadion | |
von Union Berlin. | |
Nach der Partie schießt die Siegerin Andreescu drei Bälle ins Publikum. Die | |
Dame, die den Ball mit dem aufgemalten Herz fängt, darf demnächst in einem | |
der Hotels eines Sponsoren nächtigen. | |
Ende der Woche, am Finaltag, werden mehr als 20.000 Zuschauer beim LTTC | |
gewesen sein, glaubt Müller. Ganz ordentlich und fast wie früher. | |
Spitzentennis hat in Berlin wieder ein Zuhause gefunden. | |
15 Jun 2022 | |
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[1] /Proteste-am-1-Mai-in-Berlin/!5847505 | |
[2] https://www.rot-weiss-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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