| # taz.de -- Liga der Gewöhnlichen Gentlemen im Pudel: Ode an die Gardinenkneipe | |
| > Soulpunk mit Texten über Außenseiter, Einzelhandel und Trash: Die Liga | |
| > der gewöhnlichen Gentlemen probt im Hamburger Golden Pudel Club. | |
| Bild: Die „Liga der gewöhnlichen Gentleman“ im Golden Pudel Club | |
| Die Kopfstandmethode ist eine beliebte Kreativtechnik. Man fragt dabei nach | |
| dem Gegenteil des eigentlichen Interesses, etwa: „Wie langweile ich mein | |
| Publikum scheckig?“ Die Antwort könnte lauten: „Ich singe Lieder über | |
| Bücherhallen und Matrazenhändler.“ | |
| Dann im zweiten Teil stellt man die Lösung der umgekehrten Aufgabe auf den | |
| Kopf und nähert sich so der eigentlich gesuchten Antwort, nämlich, wie man | |
| sein Publikum gut unterhält. Carsten Friedrichs stoppt gewöhnlich nach Teil | |
| eins der Methode, schreibt Lieder wie „In der Bibliothek“ oder „Der kleine | |
| Matratzenmarkt“ und unterhält mit diesem halben Kopfstand sein Publikum | |
| seit Jahren prächtig. | |
| Wie tief der Drang zum Enttäuschen gängiger Erwartungen bei Friedrichs | |
| sitzt, zeigte sich schon bei der Taufe seiner Band. Die Liga der | |
| gewöhnlichen Gentlemen ist so ziemlich die naheliegendste Antwort auf die | |
| Frage, wie man eine Rock-’n’-Soul-Band nicht nennen sollte. | |
| ## 40 Quadratmeter Subkultur | |
| Samstag nun absolvierte die Liga, oder die Gentlemen oder DLDGG – keine der | |
| katastrophalen Abkürzungen hat sich bislang durchgesetzt – so etwas wie | |
| eine öffentliche Generalprobe. Bevor sie demnächst wieder auf Tour gehen, | |
| treten die fünf im [1][Hamburger Pudel Club] auf, dem | |
| 40-Quadratmeter-Wohnzimmer der hanseatischen Subkultur-Bohème. | |
| Und schon mit dem dritten Stück ist die Band zurück bei dem Thema: „Song | |
| für Eis-Gerd“, die Ode an eine inzwischen geschlossene Gardinenkneipe in | |
| Hamburg-Altona, deren Chef Gerd sein Stammpublikum mit Pils, Buletten und | |
| Speiseeis versorgte. | |
| „Genial“ findet Friedrichs den schnörkellosen Namen der Kneipe wie ihr | |
| Konzept und offenbart ein weiteres Grundthema: die schräge Kombination. Im | |
| Herzen ist der Sänger und Liedschreiber eigentlich Soulboy. Kaum legt er | |
| die Gitarre aus der Hand, drängt es ihn zu ein paar Northern Moves, auf und | |
| vor der bierglashohen Bühne. Viele der Stücke bedienen sich im rhythmischen | |
| Repertoire der Mowtown-Ära. | |
| ## Schmusiger Soul | |
| Doch an der Stelle samtiger Harmonien scheppert Friedrichs tiefe Stimme mit | |
| hanseatischem Schlag. Statt warmer Streicher gibt es grelle Keyboardsounds, | |
| und verglichen mit schmusigem Soul sind hier ein paar Megawatt mehr Energie | |
| im Spiel. Der Schlagzeuger etwa sitzt auch deshalb im 90-Grad-Winkel zum | |
| Bühnenrand, um vor lauter Verve nicht geradeaus ins Publikum zu springen. | |
| Einmal aber wird die Liebe zum Soul nicht gebrochen, ist die Ironie absent | |
| und der Groove perfekt: „Der fünfte Four Top“, das vielleicht schönste | |
| Liga-Lied ist Blue-Eyed-Soul in Reinkultur. Spins und Back-Flips sollten | |
| nun den kleinen Raum füllen, Talkum gehört verstreut, die gesprungene | |
| Beinschere wäre angebracht. | |
| Doch das heute ungewohnt zurückhaltende Pudel-Publikum begnügt sich mit | |
| leichtem Wiegeschritt. Erinnert sich denn niemand, dass Friedrichs genau | |
| hier früher mit dem Spackofant Soulstammtisch [2][Barret-Strong-Singles] | |
| auflegte und mit Korn-Brause den Mittwochabend zum Wochenende machte? | |
| ## Auf Suche nach Größe im Kleinen | |
| Es ist nicht die einzige Schnittstelle zwischen Band und Club. Beide suchen | |
| nach Größe im Kleinen. Der Pudel mit einem anspruchsvollen Programm, das | |
| sich inzwischen auf zwei Etagen in diesem winzigen Haus mit Hafenblick | |
| abspielt. Die Liga mit Texten über Außenseiter, Einzelhandel und Trash, die | |
| weit hinausragen aus der gewöhnlichen Hormonanalyse, ohne damit in zehn | |
| Jahren Bandgeschichte sonderlich weit gekommen zu sein. Abgesehen von einer | |
| Auszeichnung der ersten Single als „Bester Fußballsong des Jahres“. | |
| Vielleicht hat der Pudel sie deshalb als Teil seines mehrtägigen „Corona | |
| Non Grata“-Festivals gebucht. Weniger weil die Pandemie natürlich auch die | |
| Liga getroffen hat, sondern weil sie in ihrer musikalischen Uneinordbarkeit | |
| zwischen Ska, Soul und Punk und mit textlichen Miniaturen über Kiloläden, | |
| Fußball und Trabrennbahnen ein Stachel im Fleisch einer | |
| pophochschulgenormten Musiklandschaft sind. Das geteilte Selbstverständnis | |
| kittet den stilistischen Bruch zwischen dem schrammeligen Gitarrensound der | |
| Liga und dem sonst überwiegend elektronischem Festivalprogramm. | |
| Eine stattliche Auswahl von Friedrichs Songtexten erscheint in ein paar | |
| Wochen unter dem Titel „Später kommen, früher gehen“ als Buch beim Mainzer | |
| Ventil Verlag. Lakonisch kommentiert und durchsetzt mit einigen längeren | |
| Prosatexten zeigt es Carsten Friedrichs als deutschen Bruder von | |
| Songwritern wie Ray Davies, Jonathan Richman oder Vic Godard. Er schrumpft | |
| die großen Themen – Einsamkeit, Liebe, der HSV, … – ins Hyperkonkrete und | |
| webt ein ganzes Knäuel popkultureller Inspirationen und Querverweise ein. | |
| ## Dankbarer Kontext | |
| Eigentlich darf man diese Texte nicht lesen, ohne die Musik dazu zu hören. | |
| „Keiner kann so singen wie ich“ heiß es schließlich treffend in „Carsten | |
| ist mein Name“. Die Anmerkungen aber liefern dankbaren Kontext und | |
| Erläuterungen zu Friedrichs oft bestechend geradliniger Denke. | |
| „Samstagabend, leicht einen kleben, mildes Lüftchen am Hafen, sternenklarer | |
| Himmel, am nächsten Tag frei.“ Sollte man da nicht einfach mal an die Nasa | |
| funken: „Houston, wir haben kein Problem“? | |
| Zumal die Zufriedenheit im Stimmungsrepertoire der Liga-Songs eher die | |
| emotionale Ausnahme ist. Textlich zumindest. Samstag etwa wird live | |
| kredenzt: das Verblassen von Gefühlen („Liebe wohnt hier nicht mehr“), der | |
| Verlust von Vertrautem („Der Matratzenmarkt“) und Einsamkeit im großen | |
| Kreis („Alleine auf Parties“). Mit einer verlangsamten Version von | |
| Letzterem samt feinem A-cappella-Part des Publikums schließt gegen elf die | |
| Zugabe. Friedrichs schnappt seine Jacke und geht von der Bühne, vielleicht | |
| zu einer Party, wahrscheinlicher aber zum Rauchen. | |
| Als auch das Publikum vor den Pudel tritt, ist die Luft mild, die Lichter | |
| im Hafen sind hell und manche haben leicht einen sitzen. Die Jungs in | |
| Houston werden ein paar Nachrichten empfangen haben. | |
| 13 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Golden-Pudel-Club-eroeffnet-Obergeschoss/!5607004 | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=4WqrVt2IspU | |
| ## AUTOREN | |
| Gregor Kessler | |
| ## TAGS | |
| Pudelclub | |
| Mods | |
| Konzert | |
| Club | |
| Pop | |
| Golden Pudel Club | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gespräch mit Betreibern des Pudel Clubs: „Insolvenz oder Rave“ | |
| Der Hamburger Golden Pudel Club ist eine musikalische Institution. Seinem | |
| Label wird die Corona-Rechnung serviert: Es droht die Zahlungsunfähigkeit. | |
| Biografie über Britband TV Personalities: Der Wäschebote mit heimlichen Hits | |
| „Dreamworld“ von Benjamin Berton ist eine ergreifende Biografie der | |
| britischen Band Television Personalities und ihres tragischen Helden Dan | |
| Treacy. | |
| Konzert von Jimi Tenor in Hamburg: Erleuchtung hinterm Bauzaun | |
| Der finnische Multiinstrumentalist Jimi Tenor spielte am Freitag live vor | |
| dem Hamburger Pudelclub. Dessen erste Veranstaltung seit Pandemiebeginn. | |
| Superpunk verabschiedet sich: Der Konsument hat eben versagt | |
| Sag zum Abschied leise servus: Superpunk lösen sich auf – aber nicht ohne | |
| eine letzte Tour und ein Abschiedsalbum namens „A Young Persons Guide to | |
| Superpunk“. |