# taz.de -- Von Bergsteigern und hohen Bergen: Kein Bergsteigen in der Hauptsta… | |
> Anderswo mag Klettern ein Volkssport sein. In Berlin aber fehlt es | |
> einfach an Höhe, auch wenn Reinhold Messner gern in der Stadt | |
> vorbeischaut. | |
Bild: Reinhold Messner in seinem natürlichen Habitat | |
Kürzlich fand das 1. Berliner Bergfilm-Festival statt – mit [1][Reinhold | |
Messner]. Das Bergsteigen war ab den siebziger Jahren Bestandteil von | |
Manager-Fortbildungskursen: Am Seil in einer Steilwand hängend sollten sie | |
das Aufeinanderangewiesensein sinnlich nachvollziehen. Die norwegische | |
Reiseschriftstellerin Erika Fatland meint in ihrem Buch über den Himalaja, | |
„Hoch oben“ (2021), dass dieser fromme Wunsch in Rekorde umgemünzt wird. | |
Die Autorin brachte es selbst am Mount Everest bis zum Basislager 5.364 | |
Meter über N. N., dann blieb ihr die Luft weg. | |
1975 schaffte es die erste Frau auf den Gipfel (8.848 Meter), 2013 die | |
erste amputierte Frau, 2005 die erste Eheschließung, 2013 die ersten | |
Zwillinge und der älteste Mann (80), 2014 das jüngste Mädchen (15), 2017 | |
der erste Krebskranke, 2006 der erste Diabetiker (Typ 1), 2010 der erste | |
mit künstlichem Darmausgang, 2001 der erste Blinde. Und 2006 der erste mit | |
einer Doppelamputation. Er musste jedoch die Erlaubnis, den Berg zu | |
bezwingen, erst vor dem Obersten Gerichtshof Nepals erstreiten. Dieser kam | |
zu dem Schluss: Keinem dürfe der Zugang zum Mount Everest verwehrt werden. | |
Das war vor allen Dingen ein Recht der Sherpas gewesen – sich | |
unverantwortlichen Führungen zu verweigern. Nicht wenige waren in der | |
Vergangenheit „im Berg“ geblieben. | |
In der Sowjetunion war das Bergsteigen, aber auch das Hochklettern an | |
Bäumen, Straßenlampen und Hausfassaden fast ein Volkssport. Ab 1939 wurde | |
der noch populärer durch eine Reihe [2][von deutschen Filmen von und mit | |
dem Bergsteiger Harry Piel]. Die Partei versuchte gegenzusteuern, eine | |
Schlagzeile der Prawda lautete: „Wider den Harrypielismus“. Zu viele hatten | |
ihre Kletterfähigkeit überschätzt. | |
In Berlin gibt es nur zum Klettern ungeeignete [3][Trümmerberge wie den | |
Mont Klamott], den großen Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain, dafür | |
jedoch rund ein Dutzend Kletterparks und Kletterhallen. | |
Es geht beim Bergsteigen unter anderem darum, an die Grenze der | |
Fähigkeiten, an das „Limit“, zu gelangen. Alle horizontalen und vertikalen | |
Wüsten durchwandern: Dem Südtiroler Bergsteiger Reinhold Messner geriet das | |
zum Lebensinhalt. Er bestieg nacheinander alle 14 Achttausender, | |
durchquerte Grönland und die Antarktis zu Fuß sowie mit 60 die Wüste Gobi – | |
allerdings halb per Anhalter. Sein Buch darüber, „Gobi. Die Wüste in mir“ | |
(2018), ist eine Art Tiroler Existenzialismus. Es geht ihm, ein Schlossherr | |
inzwischen, „immer wieder um extreme Herausforderungen“, um eine | |
umweltschonende „Revolutionierung des Abenteuerbegriffs“. Man könnte ihn | |
als einen Ernst Jünger für Ökos bezeichnen. | |
Er hat 96 Bücher geschrieben, ein Bergmuseum gegründet und viele Filme | |
produziert. In seinem Gobi-Bericht schreibt er in gewohnt dramatischem Ton: | |
„Ich darf jetzt keine Zeit verlieren, wenn ich mein Leben nicht verspielen | |
will. Die Wüste ist ungeheuer groß und doch Schritt für Schritt zu | |
durchqueren, wenn ich mir die Hoffnung nicht nehmen lasse und meinem | |
innersten Wesen bis zuletzt treu bleibe.“ Unterwegs hört er Stimmen. „Im | |
Gehen spüre ich, sogar in der Wüste, die Mitte in mir.“ Solch Gespür | |
verhindert leider, die Außenwelt gründlich wahrzunehmen. Es ist ein | |
Egoextrem-Trip. | |
Anders die Biologin Carmen Rohrbach, die ebenfalls eine Liebhaberin von | |
„Extremdestinationen“ ist und dazu eine Menge Bücher veröffentlichte: Sie | |
hat die Wüste Gobi „erkundet“. In ihrem Buch „Mongolei“ (2008) schreibt | |
sie: „Man war schnell daheim in der Wüste, weil alle schwierigen Dinge | |
fehlten.“ Dazu verhalfen ihr auch freundliche Viehzüchter. Mittendrin fragt | |
sich die 60jährige „beliebteste Reiseschriftstellerin Deutschlands“: Was | |
kommt nach der Mongolei – dem „Zufluchtsort“ für ihre „Seele“ zu | |
DDR-Zeiten? „Wüsste ich den Tag meines Todes, könnte ich meine Kräfte | |
bündeln … Gefährliches wagen, auf das ich aus vernünftigen Gründen | |
verzichtet habe.“ | |
Der vielgereiste Fernsehproduzent Roger Willemsen berichtet in seinem | |
posthum erschienenen Buch „Unterwegs“ (2020) von einem Gespräch mit einer | |
Stewardess: „Sie gesteht mir in 11.000 Meter Höhe verschwörerisch, auf | |
Langstreckenflügen höre sie Stimmen in den Wolken. ‚Es sind die Toten, die | |
da reden‘, sagt sie, ‚sie tun es nur über Meeren, Bergen und Wüsten‘. I… | |
lächele. ‚Das Universum lacht nicht‘, raunt sie.“ | |
24 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.reinhold-messner.de/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Piel | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Bunkerberg | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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