# taz.de -- US-Produzent Juan MacLean über Sucht: „Ich will das System niede… | |
> Houseproduzent Juan MacLean war drogenabhängig. Nun hat er in New York | |
> eine therapeutische Einrichtung zur Suchtbehandlung mitgegründet. | |
Bild: Guter House-Produzent und DJ: Wie ist er als Therapeut? Juan MacLean | |
taz: Juan MacLean, die meisten Menschen kennen Sie als Dancefloor-Produzent | |
und DJ. Wie kam es zu Ihrer Tätigkeit als Therapeut? | |
Juan MacLean: Ich habe mich schon in jungen Jahren mit psychedelischen | |
Substanzen beschäftigt. Ich war zudem heroinabhängig, als ich noch sehr | |
jung war. Mir ist es dann zwar gelungen, durch Yoga und Meditation von | |
harten Drogen wegzukommen. Obwohl ich jahrelang clean war, blieb ich sehr | |
deprimiert. Ich war durch meine Depressionen akut suizidgefährdet. Aus | |
Verzweiflung bin ich in den Dschungel nach Peru gereist, weil ich gehört | |
hatte, dass [1][Ayahuasca] gegen Depressionen helfen soll. Ich hatte alles | |
andere versucht, nichts hat funktioniert. Danach wusste ich, dass ich ein | |
Teil der zeremoniellen Psychedelika-Welt sein wollte. | |
Was passiert dabei? | |
Bei der [2][Ayahuasca-Zeremonie] spielt Klang eine große Rolle, die | |
Zeremonie besteht neben der Einnahme vor allem aus Gesang. Das ist gar | |
nicht so weit weg von meinen Erfahrungen als DJ, wo ich auch in einem Raum | |
mit vielen Leuten auf Drogen bin. Sie vertrauen mir als DJ, dass ich sie | |
mit Sound durch die Nacht führe – das ist es auch, was jede psychedelische | |
Zeremonie ausmacht. Ich habe mich einfach hineingestürzt, mit Lehrer:Innen, | |
die mich dabei angeleitet haben. | |
Hatten Sie aufgrund Ihrer früheren Drogenprobleme keine Angst, dass Sie | |
abermals in die Suchtspirale geraten könnten? | |
Diesen Gedanken gab es, aber ich war so verzweifelt, dass ich bereit war, | |
ein Risiko einzugehen. Mein Leben war schon zu lange beschissen, so wollte | |
ich nicht weiterleben. Bevor ich meine erste Tasse Ayahuasca trank, war mir | |
bewusst, dass diese Entscheidung fatale Auswirkungen auf mein Leben haben | |
könnte. | |
Dem war nicht so? | |
Nein. Sie hat mein Leben nachhaltig verändert. Ich möchte nicht behaupten, | |
dass für alle die erste Erfahrung [3][so extrem] sein wird, es ist eher ein | |
Weg. | |
Was führte dazu, dass Sie diese Therapieform nicht nur für sich selbst | |
anwenden, sondern sie kombiniert mit Ihrer Tätigkeit als Musiker auch | |
anderen Menschen anbieten? | |
Ich habe Psychologie studiert, mit dem Ziel, Therapeut zu werden; angeregt | |
durch einen längeren Aufenthalt in Indien, wo ich mich intensiv mit Yoga | |
beschäftigt habe. Erfahrungen habe ich auch als Berater in Drogenambulanzen | |
gesammelt. All das gab mir das Gefühl, dass ich eine gute Ausbildung darin | |
habe, wie man mit Menschen umgeht, die sich in einer psychischen Krise | |
befinden. | |
Sie legen während der Sitzungen Musik auf, sind also Teil des Therapieteams | |
– und doch klingt es so, als ob diese Sitzungen auch für Sie selbst noch | |
Therapie sind. | |
Natürlich bin ich primär für die Person (oder Personen, wir bieten auch | |
Gruppentherapien an) da, die sich uns anvertraut, aber ja, es ist auch eine | |
Zeremonie für mich. | |
Erklären Sie den Teilnehmer:Innen im Vorfeld Ihre Rolle? | |
Wir nehmen uns Zeit, die Zeremonien in einem Vorgespräch genau | |
durchzusprechen. Bei dieser Erfahrung geht es um Energie. Im Unterschied | |
zur westlichen Medizin sind wir keine Ärzte und wollen Patienten nicht | |
heilen, sondern werden Teil einer gemeinsamen interaktiven Erfahrung – ich | |
nehme immer Magic Mushrooms mit, damit wir gemeinsam in diesem Raum sein | |
können. Es geht darum zu lernen, wie man sich darin bewegt. | |
Solche Reisen verlaufen nicht reibungslos. Oft kommen traurige Erinnerungen | |
und verdrängte Ereignisse hoch, so werden Probleme verarbeitet. Verstehe | |
ich richtig, Sie sind lediglich für die Musik zuständig, Therapiegespräche | |
führen Ihre KollegInnen? | |
Wir machen alle das Gleiche. Generell wird nicht geredet während der | |
Sitzung. Es sei denn, jemand will reden, zum Beispiel, wenn die Person eine | |
schwere Zeit hat. Aber es ist eine Sache, die über die Sprache hinausgeht. | |
Viele Leute kommen zu uns, weil sie von der Gesprächstherapie frustriert | |
sind, sie sind gegen eine Wand gelaufen, wo das Reden nicht wirklich etwas | |
bewirkt. Zum Beispiel bei Depressionen und Angstzuständen. | |
Würden Sie sagen, dass es hart ist, jemand ohne Gespräche dabei zu | |
begleiten – die Leute reagieren durchaus heftig und bekommen Heulattacken? | |
Wenn man sieht, dass es jemandem schlecht geht, ist der erste Impuls, da | |
reinzugehen und die Dinge zu ändern, damit es demjenigen nicht mehr | |
schlecht geht. Aber das ist nicht förderlich. Wir unterdrücken unsere | |
Gefühle oft, aber das führt nirgendwohin. Wenn man sich das Weinen | |
abgewöhnt hat, sammelt es sich im Körper an, lebt dort und führt zu Stress. | |
In indigenen Kulturen weinen die Menschen, wenn ihnen danach ist – und | |
andere unterstützen sie dabei, indem sie mit ihnen weinen. In den | |
Industrieländern ist das nicht so: Wenn jemand weint, schämen sich die | |
Leute meistens und gehen sogar auf Distanz. Es ist mit Scham behaftet. Wenn | |
ich während der Zeremonien jemand weinen sehe, spüre ich den Impuls, die | |
Person zu trösten, damit sie nicht mehr weint. Stattdessen gilt es das | |
Weinen zu fördern, denn danach fühlt man sich normalerweise besser. | |
Sie haben erwähnt, es gibt Vorgespräche, die Sitzungen dauern oft einen | |
Tag, und es gibt Nachbesprechungen. Ich nehme also an, dass die Therapie | |
nicht gerade günstig ist. | |
Sie ist teuer. Wir bieten auch kostenlose Therapien an, beispielsweise für | |
Obdachlose. Wir weisen niemanden ab, weil er nicht zahlen kann. Die, die | |
die volle Gebühr bezahlen können, zahlen auch für jene mit, die es sich | |
nicht leisten können. Meist spornt das die Leute an. | |
Nicht alle Therapien sind in den USA legal, deswegen bieten Sie Retreats | |
auf Jamaika an. Betreiben Sie politische Lobbyarbeit, um solche | |
Behandlungen in den USA zu legalisieren? | |
Ich bin zwiegespalten, was die Legalisierung angeht. Es gibt bereits eine | |
Menge Risikokapital, das sich davon eine neue Form von Antidepressiva | |
erhofft – Pilze als das neue Prozac. Das behagt mir nicht. Menschen, die zu | |
uns kommen, leiden oft an Depressionen und Angstzuständen. Die Idee, diese | |
Mittel als Antidepressivum zu verwenden, um Leute wieder aufzupäppeln, | |
damit sie wieder arbeiten und sich ins System einfügen, ist verrückt. Ich | |
möchte das System niederreißen. | |
Wer etwas nachhaltig heilen will, braucht Zeit. Man muss vieles verändern – | |
nicht nur individuell, sondern in der Gesellschaft als Ganzes. Was nicht | |
leicht ist, denn die Menschen stehen unter massivem Druck, gerade in New | |
York mit seinen astronomischen Miet- und Lebenshaltungskosten. | |
Wir arbeiten gegenwärtig mehr als je zuvor in der Geschichte der | |
Menschheit. Selbst in den Jäger- und Sammlergesellschaften war es nicht so, | |
dass man aufgewacht ist und den Tag damit verbracht hat, Wege zum Überleben | |
zu finden. Die Menschen arbeiteten einige Stunden, um das zu tun, was sie | |
tun mussten, egal wo. Ich verstehe nicht, warum die Leute zwölf Stunden | |
arbeiten! Das ist schlichtweg deprimierend. | |
Wir vergessen oft, wie wichtig freundschaftliche Begegnungen mit anderen | |
sind. Etwa, indem wir gemeinsam Tanzen. Nun könnte man daraus ableiten, | |
dass Sie als DJ eigentlich hätten happy sein müssen? | |
Ich habe zu viele Engagements angenommen. Das lag an meiner Angst: Da war | |
immer dieses Gefühl, wenn ich Gigs ablehne, lande ich unter der Brücke. Ich | |
bin arm aufgewachsen – Armut hat mich ziemlich geprägt. Also nahm ich | |
grundsätzlich alle Auftritte an – das war falsch. Irgendwann habe ich | |
beschlossen: Ich will nicht mehr vor Massen spielen. Ich stand damals bei | |
einer großen Booking-Agentur unter Vertrag. Ihre Idee war es, mich auf das | |
Niveau von Star-DJ Peggy Gou zu bringen. Es fühlt sich so an, als ob ich | |
die Verbindung zu dem, was passierte, verliere – als ob ich ein seltsames | |
DJ-Spiel spiele. Ich genieße es nach wie vor, vor 200 Leuten aufzulegen. | |
Als DJ können Sie unsympathische Personen auf der Tanzfläche ausblenden. | |
Wie gehen Sie damit bei Therapiesitzungen um? | |
Es geht nicht um mich. Tatsache ist, wenn ich vor Menschen sitze, von denen | |
ich denke, dass sie schrecklich sind, mag ich sie normalerweise trotzdem. | |
Sie stehen zwar auf Dinge, die ich beschissen finde, aber sie haben auch | |
eine andere Seite. Und ich glaube, das ist bei den meisten Leuten so. | |
28 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Venker | |
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