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# taz.de -- Neue Platte von The Juan MacLean: Tanzen im Weltall von gestern
> "The Future Will Come" zeigt The Juan MacLean als Band, die mit
> Achtziger-Sounds Dancefloormusik macht.
Bild: "Tanzmusik wird mit dem Adjektiv futuristisch belegt, dabei sind die Bedi…
Eines Tages wird Pop sich selbst aufessen. Das ist keine Frage des Wie,
sondern nur des Wann, weil der Heißhunger auf längst verdaute Sounds seit
Ende der Neunzigerjahre ungebrochen ist. Aber wirft das Wiederkäuen auch
künstlerisch nachhaltige Nährwerte ab? Und wie viel Revival lässt sich
überhaupt noch vertragen?
Zu den Nebenwirkungen fragen Sie besser ihren Arzt oder Apotheker. Oder
gleich The Juan MacLean. Denn das neue Album der New Yorker Band, "The
Future Will Come", ist Revival und gleichzeitig die intelligenteste
Auseinandersetzung mit dem Komplex, die seit langem unternommen wurde. "The
Future Will Come", der Albumtitel verheißt einen alten Menschheitstraum. Da
läuft den Pop-Kannibalen doch das Wasser im Munde zusammen.
Der Titel ist nämlich ironischer Verweis auf einen Popbegriff von
Futurismus, der seit den Fünfzigern herumgeistert. Seit Beginn des
Zeitalters der Raumfahrt ist auch populäre Musik nonstop unterwegs nach
Übermorgen. Combos benennen sich nach Satelliten und schreiben Songs über
Tanzen auf dem Mond. Oder so ähnlich. Was früher sperrig wie Zukunftsromane
war, ist längst Inflation. "Rockbands benutzen seit den Fünfzigern im
Wesentlichen die gleichen Instrumente und Verstärker", erklärt John
MacLean, das Superhirn von The Juan MacLean. "Jede Saison wird jemand Neues
als Zukunft der Rockmusik ausgelobt. Ähnlich wird elektronische Tanzmusik
mit dem Adjektiv futuristisch belegt, dabei sind die Bedienungsanleitungen
aller Geräte und ihre Klangpaletten längst entschlüsselt", so John MacLean.
"Man weiß sogar, wie man die Geräte gegen die Bedienungsanleitung benutzt."
"The Future will Come / I have a Vision / Your Popularity is a
Deprivation", heißt es im Titelsong.
Dazu spielt elektronische Tanzmusik, die ganz bewusst bei einer
Klangästhetik der frühen Achtzigerjahre wildert. Genauer gesagt, bei
Synthpop, wie er damals im nordenglischen Sheffield von Gruppen wie the
Human League oder Heaven 17 produziert wurde. In Thatcher-England war die
Ära nach Postpunk angebrochen, die letzten Wohlfahrtsstaatsträume waren
ausgeträumt. Andere Klangmodelle als die kollektiven Postpunk-Lärmattacken
mussten nun für die Erzählung vom sozialen Kahlschlag gefunden werden. "We
dont need that fascist Groove thang", sangen Heaven 17 und ließen sich auf
dem Cover ihres Debütalbums mit monströsen Mobiltelefonen und smarten
Anzügen als Popgeschäftsleute vor einem Penthouse abbilden, während Human
League einen Stock tiefer über den rudernden Soul ihres Sequenzers
wenigstens die Liebe vor dem neoliberalen Zugriff retteten, und zwar aus
männlicher und weiblicher Sängersicht. Ihr großer Hit "Dont you want me"
firmierte damals nicht unter Tanzmusik, heute würde man wohl House dazu
sagen.
In den Achtzigern gebrach es dem endlosen Beat auch noch an technischer
Raffinesse. "Die Leute sagten damals, Synthpop wäre die Zukunft des Pop. Es
würde nie mehr Musik mit Gitarren und Drums geben. Pop würde nur noch mit
Maschinen erzeugt." John MacLean. "Ich war da skeptischer. Mich fasziniert
die menschliche Seite der Maschinen. Seit ich als Jugendlicher zum ersten
Mal Kraftwerk gehört habe, wollte ich wissen, wer ihre Maschinen bedient."
Anstatt die gute alte Computerzeit mittels Powerpoint-Präsentation
nachzuahmen, wie Kraftwerk heute, stellt "The Future Will Come"
Maschinensounds und falsche Weissagungen in den Zusammenhang einer nicht
eben geradlinig verlaufenen US-Indierock-Musikerbiografie, wie es jene von
John MacLean ist.
In den Neunzigerjahren spielte er als Gitarrist bei der Rockband Six Finger
Satellite. Sie stand bei Sub Pop Records unter Vertrag, dem Label, das auch
Nirvana zu Ruhm verholfen hatte. Six Finger Satellite blieb der große
Erfolg verwehrt. Die Musiker rieben sich bei exzessiven Tourneen auf. Ein
Bandmitglied starb an Drogen. Auch John MacLean ist wegen Drogengeschichten
vorbestraft. Er stieg aus dem Musikgeschäft aus, holte seinen
College-Abschluss nach und unterrichtete, weil er wegen seiner
Vergangenheit nicht an Universitäten als Lehrer arbeiten durfte,
straffällig gewordene Jugendliche in Englisch und Musik. "Diese Erfahrungen
sind auch in das neue Album eingeflossen", sagt MacLean. "Mein Leben
verlief unglücklich, bis ich es selbst in die Hand genommen habe. DFA war
in dieser Hinsicht meine Rettung."
Mikro-Hitfabrik DFA
Ausgerechnet James Murphy, der Chef von DFA Records, arbeitete einst auch
als Mischer für Six Finger Satellite. DFA ist heute eine Mikro-Hitfabrik,
die für die Abkehr von Indierock und den Beginn einer Ästhetik steht, die
irgendwo zwischen Indierock-Ökonomie und Dancefloor-Philosophie liegt und
leicht irreführend Dance-Punk genannt wird. Einflüsse aus Disco, House,
Techno und verschiedener neuer Wellen prägen alle DFA-Bands, ob Murphys
eigenes Projekt LCD-Soundsystem, Hercules & Love Affair oder eben jetzt The
Juan MacLean. Benannt haben sie sich zu Ehren des Detroiter
Techno-Produzenten Juan Atkins, gearbeitet wird aber im Bandprinzip, wie
John MacLean betont. "DFA funktioniert wie eine Familie. Jeder spielt auf
den Platten der anderen mit. Irgendjemand ist immer im Studio, um unsere
Live-Vision von Dancefloormusik weiterzuentwickeln."
Sinn ergibt das tatsächlich auch, wenn man The Juan MacLean im Konzert
sieht. Denn von ihnen geht auf der Bühne eine andere Wucht aus als von den
lähmenden Live-P.A.-Perfomances des Elektronikzeitalters. Mit guter Anlage
und Lichtmischung, wie in Berlin, führen The Juan MacLean auch das DJ-Set
um einige Nuancen weiter. Denn Juan-MacLean-Drummer Jerry Fuchs
transportiert den hypnotischen House-Groove mit beeindruckender Physis,
aber auch mit einem Schuss Dreck auf eine ganz neue Umlaufbahn. Er könnte
mit dem Schlagzeug wahrscheinlich auch Windenergie erzeugen. John MacLean
und die anderen Musiker haben die schwierige Dynamik zwischen
elektronischen Sounds und simpler Kuhglocken-Percussion aber auch im Griff.
MacLean selbst ist, wenn er nicht auf der Bühne steht, als DJ versiert
genug, um Dancefloor-Kontexte von Konk bis Aaron Carl, von LFO bis House of
House zu verknüpfen.
Exakt so funktioniert auch "The Future Will Come". Das Album kombiniert
moderne Aufnahmetechniken mit alten Synthesizern und analogen Instrumenten:
Die Beats sind von Jerry Fuchs eins zu eins eingespielt. MacLeans
Lieblingsvokabeln sind "dismantle" und "sync it up". Also entkernen und
miteinander neu synchronisieren. Die Songs des Albums hatte er digital
bereits vorskizziert, dann wurden sie im Studio von seiner Band erneut
aufgenommen. Neben Jerry Fuchs ist das Nick Milheiser vom New Yorker Duo
Holy Ghost! und vor allem die LCD-Soundsystem-Sängerin und Keyboarderin
Nancy Whang. Den letzten Touch haben die Songs dann von James Murphy am
Mischpult erhalten. Durch diese Ummodellierungen ist eine besondere
Tiefenschärfe entstanden.
Der menschliche Makel
Aus den Texten von "The Future Will Come" dringt milde Melancholie. MacLean
und Whang singen zwar zu House-Sounds und 80er-Synthpop, aber sie blicken
auf ihre Textwelt durch die Brillen von Indierock. Aufgefangen wird
Melancholie von der ekstatischen Musik. Aus den Unzulänglichkeiten der
Maschinen sind menschliche Makel geworden, in den Texten geht es um
gescheiterte Beziehungen, und Enttäuschungen werden nicht ausgespart. "Left
me for the Great Unknown / Lost you to oblivion" sind die Signalverse in
der neunminütigen Eröffnungsdisco-Odyssee "The Simple Life". Das Leben ist
kompliziert, es hält immer wieder Überraschungen bereit, ist so aber auch
vielschichtiger, als es Moral- und Ästhetikroboter vorschreiben möchten.
Und am Ende siegt, wie schon bei The Human League, die Liebe. "Happy House"
war bereits letztes Jahr eine Hymne und der Song hat sich nicht abgenutzt.
Im Gegenteil, er ergänzt das Album und bestreitet deshalb zu Recht das
Finale auf "The Future Will Come". Gesungen von MacLeans kongenialer
Partnerin Nany Whang, handelt der Track von erfülltem Sex aus weiblicher
Sicht. "Youre excellent / Launch me into space". Leicht sarkastisch, aber
ohne Zeitverzögerung und nicht erst als Zukunftsmusik.
15 May 2009
## AUTOREN
Julian Weber
Julian Weber
## TAGS
Dancefloor
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