# taz.de -- Belagerung im Jemen-Krieg: Die Straße nach Taiz | |
> Eigentlich braucht der Krebspatient Mohammad Yahya nur 15 Minuten bis zum | |
> Arzt. Durch eine Straßensperre der Huthi-Rebellen sind es 8 Stunden. | |
Bild: Die Alternativroute nach Taiz | |
Sana'a taz | Mohammed Yahya sieht blass aus, müde. Seit ihm vor drei Jahren | |
ein Gehirntumor diagnostiziert wurde, fährt der Jemenite jeden Monat einmal | |
von seinem Haus im Bezirk Al-Hawban in die Großstadt Taiz, wo er im | |
Al-Amal-Krebszentrum behandelt wird. „Obwohl das Zentrum eigentlich etwa 15 | |
Minuten von meinem Haus entfernt ist, brauche ich acht Stunden hin und | |
weitere acht Stunden zurück“, sagt er erschöpft. Denn die Straße zwischen | |
Al-Hawban und der Stadt Taiz ist gesperrt. | |
Im Jahr 2015 eroberten Jemens Regierungstruppen Taiz von den Huthi-Rebellen | |
zurück. Die Huthis kontrollieren Jemens Hauptstadt Sanaa und werden vom | |
Iran unterstützt, Jemens international anerkannte Regierung residiert in | |
Aden im Süden des Landes und wird von Saudi-Arabien unterstützt; seit | |
sieben Jahren kämpfen sie gegeneinander. | |
Seit das Militär die Huthis aus Taiz vertrieb, wird die Stadt von den | |
Rebellen belagert. Alle Straßen zwischen Taiz und den umliegenden Bezirken | |
sind seither geschlossen, die [1][geschätzt 370.000 Einwohner] von der | |
Außenwelt abgeschnitten. | |
Die Reisen nach Taiz kosten Yahya monatlich etwa 30.000 jemenitische Rial – | |
umgerechnet etwa 42 Euro. Das ist die Hälfte eines durchschnittlichen | |
Monatsgehalts in Jemen. Denn für den Weg aus Al-Hawban benötigt er ein | |
Fahrzeug mit Allrad-Antrieb. | |
## Immer wieder sterben Menschen auf dem Weg | |
Dass es überhaupt einen Weg nach Taiz gibt, liegt an der jemenitischen | |
Zivilgesellschaft: Bürger haben eine alternative Straße geschaffen. Sie ist | |
eng und holprig, steil und gefährlich, windet sich durch das Gebirge um die | |
Stadt, immer wieder passieren schwere Unfälle. | |
Und immer wieder sterben Menschen auf dem Weg, weil sie es nicht | |
rechtzeitig zu medizinischer Hilfe schaffen, berichtet Mukhtar Al-Mikhlafi, | |
Generaldirektor der Cancer Control Foundation in Taiz: „Bei den meisten, | |
die zur Behandlung nach Taiz müssen, verschlechtert sich der | |
Gesundheitszustand, bis sie die Stadt erreichen. Durch die Belagerung und | |
die schwierigen Reisebedingungen, aber auch weil sie die hohen Fahrtkosten | |
nicht aufbringen können.“ | |
Am 2. April kündigte der UN-Sondergesandte für Jemen, Hans Grondberg, eine | |
zweimonatige Waffenruhe für das Land an. Sie sollte auch die Freilassung | |
aller Gefangenen auf Seiten Saudi-Arabiens und der Huthis, die | |
Wiedereröffnung des internationalen Flughafens von Sanaa – den die Huthis | |
kontrollieren – und des ebenfalls von den Huthis kontrollierten und von der | |
Anti-Huthi-Koalition blockierten Hafens Hodeidah am Roten Meer beinhalten. | |
Und die Öffnung der Landstraßen, insbesondere der Hauptstraßen, zwischen | |
der Stadt Taiz und ihrem Umland. | |
Die Ankündigung des Waffenstillstands wurde von den Jemeniten mit großem | |
Optimismus aufgenommen und von der internationalen Gemeinschaft sehr | |
begrüßt. Noch am selben Tag bat EU-Chefaußenpolitiker [2][Josep Borrell] | |
alle Parteien, die Waffenruhe zu respektieren und die Gespräche | |
fortzusetzen, um weitere dringende wirtschaftliche und humanitäre Maßnahmen | |
ergreifen zu können. | |
## Alle Versuche, Korridore einzurichten, scheitern | |
Mehr als einen Monat nach dem Beginn des Waffenstillstands ist allerdings | |
klar: Die enthaltenen Bestimmungen wurden kaum eingehalten. Saudi-Arabien | |
fliegt zwar keine Luftangriffe mehr, in Sanaa landete ein erstes | |
kommerzielles Flugzeug, und am Hafen von Hodeidah dürfen endlich wieder | |
sehnlichst erwartetet Treibstofftanker andocken. | |
Doch an den Kriegsfronten, die sich quer durch das Land ziehen, setzen sich | |
die bewaffneten Auseinandersetzungen fort. Und die Straße, auf der Mohammed | |
Yahya schneller zu seiner Behandlung käme, ist noch immer geschlossen. | |
Seit dem Beginn der Belagerung haben mehr als zwölf verschiedene soziale | |
Initiativen versucht, Korridore für Patienten und humanitäre Fälle zu | |
öffnen – oder diese ganz aufzuheben. Einige davon standen unter der | |
Aufsicht und Betreuung der Vereinten Nationen – ihr Ziel erreicht haben sie | |
letztlich nie. | |
Olfat Al-Dobai, Soziologieprofessor an der Universität von Taiz, glaubt, | |
die Gründe für dieses Scheitern zu kennen: Die Huthis betrachteten die | |
Belagerung nicht als humanitäre, sondern einfach als politische | |
Angelegenheit. Und an ebendieser Sichtweise scheitere der Verhandlungs- und | |
Friedensprozess immer wieder. | |
## Auch Waren sind viel teurer als anderswo im Land | |
Al-Dobai meint, das grundsätzlich aufgeladene politische Klima in Jemen | |
werde durch den iranisch-saudischen Regionalkonflikt genährt. „Taiz wird | |
oft als Druckmittel von beiden Parteien genutzt“, betont er. Die Huthis | |
beständen darauf, die Belagerung von Taiz nur zu beenden, wenn dafür der | |
Flughafen von Sanaa wieder regulär geöffnet werde. Gleichzeitig nutze die | |
Regierung, und damit auch Saudi-Arabien, die Verschlechterung der | |
humanitären Lage durch die Blockade aus, um die Menschenrechtsverletzungen | |
der Huthis anzuprangern anstatt eine Lösung zu finden. Alle Parteien seien | |
mitschuldig, sagt er. | |
Der Menschenrechtsaktivist Mohammed Al-Wattiri teilt diese Einschätzung: | |
Die Öffnungsinitiativen seien zwar von allen Konfliktteilnehmern während | |
verschiedener Verhandlungen begrüßt worden. Doch sobald es um die Umsetzung | |
gegangen sei, habe jede einzelne sich aus der Verantwortung gestohlen. | |
Keiner habe die aufrichtige Absicht, die Straßen zu öffnen und die | |
Belagerung aufzuheben. Aber, betont er: Auch wenn die Initiativen keinen | |
Erfolg gehabt hätten, so sei doch die Weltaufmerksamkeit auf das Problem | |
gelenkt worden. Denn nicht nur die Krankenversorgung ist ein Problem. | |
Jalal Saeed besitzt ein Transportunternehmen im Gouvernement Taiz. Durch | |
die Blockade seien Transporte hier deutlich teurer als in anderen Gebieten, | |
erklärt er. Die hohen Transportkosten wirkten sich auch auf die Warenpreise | |
aus, die fast doppelt so hoch wie in anderen Bezirken des Landes sind. | |
„Wir sind mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn wir Waren und | |
Lebensmittel in die Stadt bringen wollen“, berichtet er. Seine Fahrer | |
müssten Abgaben an die Militärposten der verschiedenen Konfliktparteien an | |
den Straßen entrichten, Transportfahrzeuge würden unter dem Vorwand der | |
Inspektion tagelang festgehalten. Hinzu komme die Abgeschiedenheit und die | |
Unwegsamkeit der schmalen Alternativstraßen, auf denen immer wieder | |
Lastwagen umkippen. | |
Der Mangel an Waren, die Einschränkung der medizinischen Versorgung – | |
Völkerrechtsexperte Yasser Al-Muliky meint: „Die über Taiz verhängte | |
Belagerung stellt nach dem Verständnis des humanitären Völkerrechts eine | |
Kollektivstrafe für die Bevölkerung dar.“ Sie verstoße daher gegen Artikel | |
33 der Vierten Genfer Konvention, [3][der besagt]: „Kollektivstrafen sind | |
ebenso verboten wie alle Maßnahmen der Einschüchterung oder des | |
Terrorismus.“ Sie ziele systematisch darauf ab, die Menschen auszuhungern, | |
und treffe am Ende alle, ob zivil oder am Konflikt beteiligt. | |
Auch Osama al-Faqih, Sprecher der zivilen Menschenrechtsorganisation | |
Mwatana, betrachtet die Blockade als kollektive Bestrafung seiner | |
Mitbürger. Mwatana habe mehrfach dokumentiert, wie das Leid der | |
Zivilbevölkerung unter der „willkürlichen Belagerung“ zugenommen habe. | |
So wie das von Mohammed Yahya, der bis zu deren Ende weiter acht Stunden | |
durch die Berge nach Taiz zuckeln wird. | |
22 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://unhabitat.org/sites/default/files/2020/11/taiz_city_profile.pdf | |
[2] https://twitter.com/JosepBorrellF | |
[3] https://ihl-databases.icrc.org/ihl/WebART/380-600038 | |
## AUTOREN | |
Najm Aldain Qasem | |
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