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# taz.de -- Huthi-Rebellen im Jemen gegen Impfungen: „Religionsideologische G…
> Ein Junge erkrankt an Polio. Geimpft war er nicht – sein Vater glaubte
> den Mythen der Huthi-Rebellen. Im Jemen steigen die Fallzahlen.
Bild: Impfaktionen wie hier in Sanaa gibt es auch im Huthi-Gebiet. Verschwörun…
Sanaa/Saada/Haddschah/Hodeida taz | Die Mittagssonne brennt auf das Gesicht
des sechsjährigen Haschim. Auf einer Weide am Fuße eines Berges im
Gouvernement Saada im Norden des Jemen hütet er im Mai 2019 – wie jeden Tag
– mit seiner zwei Jahre älteren Schwester Schafe. Auf dem Heimweg fühlt er
sich müde, sein Körper schmerzt. Die Nacht wird zum Albtraum für Haschim,
er krümmt sich vor Schmerzen. Am nächsten Morgen kann er nicht aufstehen.
Mit traurigen Augen betrachtet Haschims Mutter ihr Kind. Es sitzt nun im
Rollstuhl. Im Juli 2022 warten die beiden in einer physiotherapeutischen
Klinik in Jemens Hauptstadt Sanaa auf ihren Termin. Sie hofft, dass ihr
Sohn eines Tages wieder stehen kann.
„Zuerst dachten wir, er sei müde von der Krankheit“, erzählt sie. „Dann
sagte er uns, dass er seine unteren Gliedmaßen nicht mehr vollständig
spüre. Die Nachricht traf uns wie ein Schlag. Wir brachten ihn in ein
Krankenhaus nach Saada-Stadt.“ Dort bekommt die Familie die Diagnose:
Haschim ist mit Polio infiziert. Dagegen geimpft war der Junge nicht.
Haschim ist eines von zwölf Kindern im Bezirk Razih, seiner Heimat im
Gouvernement Saada, das an Polio erkrankt ist. Die meisten von ihnen seien
zwischen sechs und zwölf Jahre alt, erzählt Haschims Mutter. Der Vater des
Jungen, Mohammad Hussein, ist fest überzeugt: Woran sein Sohn leidet, kann
nicht Polio sein. Seine Vorfahren, die Väter und Großväter, seien auch
nicht geimpft gewesen, Impfstoffe eine „Verschwörung gegen Muslime“.
## „Biologische Kriegsführung“
Im September 2014 übernahm die Huthi-Gruppe die Kontrolle über das
Gouvernement Saada. Seitdem hat sie Impfungen behindert. Denn Impfstoffe
seien, so die Propaganda der Gruppe, „eine jüdische Industrie, die darauf
abzielt, die Gesellschaft zu zerstören“. Sie schwächten außerdem die
sexuellen Fähigkeiten von Männern und verursachten bei Frauen Sterilität.
Von den Huthi bestimmte lokale „Kulturaufseher“ wiederholen die
Verschwörungsmythen in ihren jeweiligen Bezirken.
Abdul-Malik al-Huthi – Anführer der Huthi-Rebellen – [1][sagte in einer
Fernsehansprache im März 2020] über das Covid-19-Virus: „Viren und
Epidemien sind biologische Kriegsführung, hergestellt von entwickelten
Ländern in Laboratorien.“ Und: „Es gibt Länder, etwa die Vereinigten
Staaten von Amerika, die diese Viren zu nutzen versuchen, um Menschen zu
töten sowie Ländern und Gesellschaften zu schaden.“
Unter den Bewohnern der von Huthi kontrollierten Gebiete haben sich diese
Verschwörungstheorien mittlerweile verbreitet. Das zeigt exemplarisch die
Menge negativer Kommentare auf der [2][Facebook-Seite von Unicef im Jemen].
Sowohl die Organisation als auch die von ihr geförderten Impfungen werden
angegriffen. Manche behaupten, Impfstoffe beeinträchtigten den Verstand von
Kindern.
Im September 2020 gaben der Regionaldirektor des Kinderhilfswerks Unicef
und der Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation eine gemeinsame
[3][Erklärung] ab: Die meisten Poliofälle im Jemen konzentrierten sich auf
das Gouvernement Saada. Denn die routinemäßigen Impfungen würden dort nur
in geringem Umfang durchgeführt. In der Region seien seit über zwei Jahren
keine Impfprogramme mehr durchführbar – eine Anspielung auf die
Impfgegnerschaft der iranisch unterstützten Huthi-Rebellen.
## „Die Impfteams kommen nicht mehr wie früher“
Laut dem Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer
Angelegenheiten seien [4][alleine in den ersten Wochen des August] im Jahr
2020 mehr als 15 Poliofälle in Saada festgestellt worden. Lokale
Schwierigkeiten schränkten die Möglichkeit einer Impfkampagne dort ein. Im
Dezember 2021 warnte die Organisation vor einer zunehmenden Ausbreitung.
Im Februar dieses Jahres infiziert sich die vierjährige Amani in einem Dorf
im Gouvernement Haddschah im Nordwesten des Jemen mit dem Poliovirus. Die
Gegend wird ebenfalls von den Huthi kontrolliert. Innerhalb weniger Wochen
nach der Infektion stirbt sie auf der Intensivstation des
Al-Thawra-Krankenhauses in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Das Virus
hat ihre Atemmuskulatur stillgelegt.
Abdullah, Amanis Vater, sagt, Amani habe seit ihrer Geburt keinen einzigen
Impfstoff bekommen. „Die Impfteams kommen nicht mehr wie früher“.
Nawara Ali, eine Mitarbeiterin des Gesundheitswesens im von Huthi
kontrollierten Gouvernement Hodeida, berichtet der taz, wie sie ihre Arbeit
als Teil eines mobilen Impfteams in Hodeida erlebt: „Früher haben die
Menschen ihre Kinder zur Impfung gebracht, aber nach der Propaganda und den
falschen Informationen, die in letzter Zeit verbreitet wurden, kommen sie
kaum noch. Einige Familien haben begonnen, ihre Kinder vor uns zu
verstecken – sie leugnen, dass sie Kinder haben. Manchmal werden wir
angegriffen, geschlagen und beschimpft.“
## Im Jemen kursieren mehrere Polio-Varianten
Fragen der taz will das Gesundheitsministerium der Huthi nicht beantworten.
Der Generaldirektor für epidemiologische Überwachung im Ministerium sagt
lediglich, die Berichte über die Ausbreitung des Poliovirus in den von den
Huthi kontrollierten Gebieten seien falsch. Zu weiteren Angaben sei er
nicht autorisiert.
Muhammad Mustafa, ein hoher Mitarbeiter im Gesundheitsministerium der mit
den Huthi verfeindeten jemenitischen Regierung, erklärt gegenüber der taz:
„Der Ausbruch des Virus im Gouvernement Saada ist vor allem darauf
zurückzuführen, dass die Huthi-Gruppe seit 2005 aus religionsideologischen
Gründen die Durchführung von Impfkampagnen verhindert hat.“
Im Jahr 2019 sei das Virus zunächst nur in Saada aufgetreten. Im August
2021 habe es den ersten Fall in einem von der Regierung kontrollierten
Bezirk gegeben. Das infizierte Kind sei aus den von den Huthi
kontrollierten Gebieten eingereist.
Mustafa sagt: „Derzeit gibt es in den von Huthi kontrollierten Gebieten
drei verschiedene Varianten des Poliovirus.“ In den Regierungsgebieten gebe
es dagegen nur eine Variante – „das Ergebnis der kontinuierlichen
Impfkampagnen“, betont er.
## Teil der Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung
Der Jemen hatte sich 1988 der globalen Initiative zur Ausrottung der
Kinderlähmung, die von dem Poliovirus verursacht wird, angeschlossen.
Unicef und WHO sind wichtige Partner der Initiative. Nach Angaben des
jemenitischen Gesundheitsministeriums erhält das Land jährlich zwei bis
vier Millionen Impfstoffdosen – gegen Polio, Masern und Röteln – von der
Global Vaccine Alliance, einer Stiftung, die den Zugang zu Impfungen in
Entwicklungsländern verbessern will.
Der Gesundheitsminister der jemenitischen Regierung, Qassem Behaiba, sagt:
„Polio kam im Jemen eigentlich seit 2009 nicht mehr vor – auch dank
internationaler Organisationen und Geber. Doch die Rückkehr des Poliovirus
hat die Bemühungen der letzten Jahrzehnte zunichtegemacht.“
Mitarbeit: Lisa Schneider
30 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=8PfTemGCr_M&t=540s
[2] https://www.facebook.com/unicefyemen/
[3] https://www.unicef.org/yemen/press-releases/polio-programme-accelerates-eff…
[4] https://reliefweb.int/report/yemen/yemen-polio-outbreak-who-unicef-global-p…
## AUTOREN
Najm Aldain Qasem
## TAGS
Polio
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