# taz.de -- Mangelwirtschaft und Inflation: Der Preis ist nicht für alle gleich | |
> Krise? Klingt so, als säßen wir alle im selben Boot. Egal ob | |
> Babymilchmangel in den USA oder teure Gurken in Deutschland – es war nie | |
> falscher als jetzt. | |
Bild: Die Preisanstiege belasten viele Menschen immer stärker | |
Neulich im Eisladen habe ich es zum ersten Mal gesagt: „Aber jeder nur eine | |
Kugel!“ Zuvor hatte ich ungläubig das Preisschild über der Kühltheke | |
angestarrt: 1,60 Euro pro Kugel, Karamellsauce 20 Cent extra. | |
Eins-sechzig? Da hört selbst bei der Lieblings-Eisdiele der Spaß auf. Die | |
Kinder nickten und beobachteten mich vorsichtig: Würde ich wieder laut | |
fluchen wie zuvor an der Gemüsetheke im Supermarkt? 2,50, in Worten | |
zwei-fünfzig für die Biogurke? | |
Und schon wieder kein Sonnenblumenöl und kein Mehl im Regal, auch nicht das | |
allerbilligste, wenn es das denn gäbe! Nein, diesmal hatte ich mich im | |
Griff. Daran, [1][dass alles teurer wird und manches nicht immer verfügbar | |
ist], hat man sich ja schon fast gewöhnt. Inflation plus | |
pandemiegeschwächte Lieferketten plus tobender Krieg plus saftig steigende | |
Energiepreise. Das gibt dann halt Mondpreis-Gurken und schlechte Laune im | |
Eisladen. | |
Aber wenigstens die eine Kugel pro Person ist bei uns noch locker drin, | |
wohingegen es Menschen gibt, für die schon der Kauf einer Wassermelone über | |
der Geldbeutelgrenze liegt, wie die vielen Twitter-Posts unter dem Hashtag | |
#IchBinArmutsbetroffen offengelegt haben. Na ja, das sei halt der Preis | |
„der vielen Krisen“ unserer Zeit, war diese Woche vielerorts zu lesen. | |
Krisen, das klingt so schicksalhaft, als säßen wir im selben Boot. Was aber | |
nie falscher war als jetzt. Denn manche zahlen schon lange den Preis dafür, | |
dass den anderen gestiegene Preise nichts ausmachen. Schon meine Situation | |
(ich fluche, greife aber doch zur ungespritzten Biogurke, weil meine Kinder | |
die gern mit Schale essen) unterscheidet sich sehr von jener der Userin | |
namens LuffyLumen, die keine Wassermelone kaufen kann. | |
## Sich stapelnde Berufspendler:innen | |
Menschen, die Geld aus den staatlichen Sicherungssystemen beziehen, werden | |
jetzt „entlastet“ durch eine Einmalzahlung von 200 Euro, auch einen | |
Kinderbonus soll es geben. Irgendwann im Juli wird ausgezahlt – wann genau, | |
hat die Regierung vergessen zu sagen. Dabei wäre es für diejenigen, die | |
jetzt schon jeden Cent umdrehen müssen, für die Ferienplanung einigermaßen | |
wichtig, das zu wissen. | |
Wohingegen ein Studienfreund, der jetzt eine gutgehende Agentur hat, | |
mehrere Ferienhäuser und Aktien, seine ganze Familie mit 9-Euro-Tickets | |
eingedeckt hat – weil Zugfahrten durch Deutschland für ihn, der sich sonst | |
per teurer Klimaschleuder durch die Republik bewegt, mal eine neue | |
Erfahrung ist: auf Tuchfühlung mit den Berufspendler:innen, die sich | |
mangels Alternative seit Jahr und Tag in den Öffentlichen stapeln. | |
Meine Prognose: Er wird es nicht lange durchhalten, aber die paar mal neun | |
Euro sofort wieder vergessen haben. Ich wage noch eine Prognose: | |
„LuffyLumen“ wird sich nicht gleich auf das im Vorverkauf freigeschaltete | |
9-Euro-Ticket gestürzt haben. Denn wozu ein Ticket kaufen, das Ausflüge | |
„ins Grüne“ verspricht, wenn fraglich ist, ob man sich den Eintritt fürs | |
Schwimmbad oder auch nur die Melone fürs Picknick am See leisten kann? | |
## Babymilch aus Ramstein | |
Dass in den modernen Krisen nicht alle den gleichen Preis zahlen, war diese | |
Woche eindrücklich in den USA zu sehen. Dass aufgrund eines wegen | |
Verunreinigung geschlossenen Werks [2][Mangel an Babymilchpulver] herrscht, | |
trifft vor allem die Mütter, die eben nicht „einfach stillen“ können, wie | |
manche Kommentator:innen besserwisserisch vorschlugen. Vor allem viele | |
Afroamerikanerinnen haben weder garantierten Mutterschutz noch ausreichende | |
Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Sie müssen schnell wieder arbeiten gehen und | |
sind jetzt auf die Babymilch-Luftbrücke aus Ramstein angewiesen. | |
In Texas, wo ein 18-Jähriger mit Sturmgewehren in eine Grundschule eindrang | |
[3][und 21 Menschen erschoss], sind es die Kinder, die den Preis für die | |
„Freiheit“ der Erwachsenen zahlen, Waffen zu tragen. „Wann in Gottes Namen | |
werden wir uns der Waffenlobby entgegensetzen?“, fragte hilflos Präsident | |
Biden. Doch fehlende Waffenregulierungen sind kein Schicksal, es gibt | |
Senator:innen, die sie aktiv verhindern. Das zweite Amendment der | |
US-Verfassung trägt ein blutiges Preisschild. | |
28 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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