# taz.de -- Hamburger Cum-Ex-Steuerraub: Der Bürgermeister und das Dilemma | |
> Der ehemalige Finanzsenator Tschentscher verweist im Falle nicht zurück | |
> geforderten Steuern aus Cum-Ex-Geschäften auf den Rat seiner Experten. | |
Bild: Harte Kritik: Die Bürgerbewegung Finanzwende porträtiert Tschentscher a… | |
HAMBURG taz | Draußen vor dem Hamburger Rathaus protestiert die | |
Bürgerbewegung Finanzwende, drinnen muss sich Bürgermeister Peter | |
Tschentscher (SPD) für sein Verhalten als Finanzsenator in den Jahren 2016 | |
und 2017 rechtfertigen. Es geht um die Frage, warum das Hamburger Finanzamt | |
90 Millionen Euro Steuerforderungen aus strafbaren | |
[1][Cum-Ex-Finanzgeschäfte]n gegenüber der Warburg-Bank verjähren ließ und | |
ob die damalige Senatsspitze – neben Tschentscher der damalige | |
Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) – auf diese Entscheidung Einfluss genommen | |
hat. | |
Tschentscher räumte vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Cum Ex | |
der Hamburgischen Bürgerschaft ein, er habe sich als Chef der Finanzbehörde | |
zwar über den Fall berichten lassen, die Entscheidung aber den Experten des | |
Finanzamtes und der Finanzbehörde überlassen. „In steuerliche | |
Entscheidungen der Finanzämter wurde ich nicht eingebunden, in besonderen | |
Fällen aber informiert“, sagte er. | |
Bürgermeister Scholz sei nicht involviert worden, schon weil das | |
Steuergeheimnis das verbiete. Die Entscheidung, die Ansprüche verjähren zu | |
lassen, sei ihm, Tschentscher, plausibel erschienen. Ob sie es tatsächlich | |
ist und es nicht womöglich darum ging, die in Hamburg stark verwurzelte | |
Bank in unziemlicher Weise zu schonen, steht zur Debatte. Inzwischen ist | |
gerichtlich entschieden, dass die Geschäfte strafbar waren. | |
Bei Cum-Ex geht es um [2][Aktiengeschäfte], die in verschleiernder Weise so | |
gestaltet waren, dass sich die Beteiligten eine einmal gezahlte Steuer | |
mehrfach erstatten lassen konnten. Aus den Steuerkassen Deutschlands und | |
anderer Länder wurden auf diese Weise Schätzungen zufolge 150 Milliarden | |
Euro an Steuergeldern gestohlen. Bereichert haben sich daran die Investoren | |
und Vermittler solcher Geschäfte – unter anderem eben die Privatbank MM | |
Warburg. | |
## Ausweg aus einem Dilemma | |
Tschentscher argumentierte vor dem Untersuchungsausschuss wie die höheren | |
Ebenen des Finanzamtes für Großunternehmen und der Finanzbehörde: 2016 und | |
2017 hätte nicht gerichtsfest nachgewiesen werden können, dass die Warburg | |
erstatteten Steuern aus illegalen Cum-Ex-Geschäften stammten. | |
Zugleich hätte bei einer Rückforderung die Gefahr im Raum gestanden, dass | |
die Bank Insolvenz anmelden müsste. Bei einer ungerechtfertigten | |
Rückforderung hätten dann Amtshaftungsansprüche gegen die Stadt erhoben | |
werden können. Demgegenüber hätten ihm seine Beamten versichert, dass auch | |
bei steuerrechtlicher Verjährung das Geld noch zurückgeholt werden könne – | |
dann nämlich, wenn sich die Strafbarkeit der Geschäfte herausstellen | |
sollte. „2016 erschien mir die Entscheidung als eine Art Ausweg aus einem | |
Dilemma“, sagte Tschentscher. | |
„Dass man das auch anders sehen kann, ist mir ein Jahr später klar | |
geworden“, sagte der Bürgermeister. Dann nämlich kam für das Jahr 2017 eine | |
Weisung aus dem Bundesfinanzministerium, Hamburg möge bitte die Forderung | |
diesmal nicht verjähren lassen. Seine Steuerverwaltung habe sich sehr | |
überrascht gezeigt, sagte Tschentscher. „Ich schlug eine sorgfältige | |
Prüfung vor, um sicherzustelllen, dass kein Missverständnis vorliegt.“ | |
Allerdings gab es auch im Hamburger Finanzamt andere Meinungen zum | |
Sachverhalt. Die Betriebsprüfer, die sich direkt mit der Bank und ihren | |
Geschäften beschäftigten, hatten dafür plädiert, das Geld zurückzufordern. | |
Die ihnen vorgesetzte Sachgebietsleiterin tat das zunächst auch und | |
begründete das nach oben ausführlich. Nach einer gemeinsamen Sitzung der | |
oberen Ebenen des Finanzamtes und der Finanzbehörde änderte sie ihre | |
Meinung allerdings komplett. | |
## Strukturelles Problem in der Behörde | |
Ob es nicht ein strukturelles Problem sei, dass die Position der | |
Betriebsprüfer offenbar nicht zur Geltung kam und nur nach juristischen | |
Gesichtspunkten entschieden wurde, fragte der Linken-Obmann im Ausschuss, | |
Norbert Hackbusch. „Am Ende müssen das diejenigen entscheiden, die das vor | |
Gericht vertreten müssen“, antwortete der Bürgermeister. | |
Dass überhaupt der Verdacht aufgekommen ist, diese Meinungsänderung könnte | |
mit einer Intervention der Senatsspitze zu tun haben, liegt an mehreren | |
Treffen des damaligen Bürgermeisters Scholz mit den Eigentümern der | |
Warburg-Bank in dessen Amtszimmer, die Scholz zunächst geleugnet hat. | |
Überdies überreichte Scholz Tschentscher ein Argumentationsschreiben der | |
Bank, das dieser in seine Behörde weiterreichte mit der Bitte, ihn auf dem | |
Laufenden zu halten. Dabei lag das Schreiben im Finanzamt bereits vor. „Die | |
Vereinbarung war, dass wenn ihn jemand anspricht, er die Leute an mich | |
verweist und ich sie weiterverweise an die Steuerverwaltung“, sagte | |
Tschentscher. „Zum steuerrechtlichen Verfahren im Einzelnen habe ich mit | |
Scholz nicht gesprochen.“ | |
## Keine Korruption, aber Vorzugsbehandlung | |
Trotz dieser angeblichen Weiterreichungsroutine, findet Gerhard Schick, | |
Vorstand der [3][Bürgerbewegung Finanzwende], Tschentscher stehe in der | |
Verantwortung. Der Senator habe sich in den Warburg-Fall eingeschaltet, was | |
für einen Minister nur in Ausnahmefällen vorgesehen sei. „Tschentscher hat | |
die Argumente der Bank weitergeleitet“, sagt Schick. „Das musste jeder in | |
der Verwaltung als Fingerzeig verstehen.“ | |
Die Forderung verjähren zu lassen, mit der Begründung, im Fall der Fälle | |
lasse sich das Geld auch noch in einem etwaigen Strafprozess zurückholen, | |
sei zum damaligen Zeitpunkt „eine klar falsche Entscheidung zu Lasten des | |
Steuerzahlers“ gewesen. Denn ein finanzgerichtliches Urteil zugunsten der | |
Stadt habe es damals schon gegeben. Wie die Sache dagegen strafrechtlich | |
ausgehen würde, stand jedoch noch nicht fest. | |
Das Argument, die Bank wäre durch eine [4][Steuerrückforderung] ihrem | |
Bestand gefährdet gewesen, lässt Schick auch nicht gelten. Schließlich | |
hätten die Eigentümer der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht | |
(Bafin) bereits versichert gehabt, sie würden mit ihrem persönlichen | |
Vermögen etwaige Bilanzlöcher stopfen. „Es ging im November 2016 nicht um | |
die Rettung der Bank, sondern um das Vermögen der Banker“, sagt Schick. | |
Korruption will Schick bei der Nachsicht der Bank dem damaligen | |
Finanzsenator nicht vorwerfen, wohl aber „eine Ungleichbehandlung, die es | |
in einem Rechtsstaat nicht geben darf“. Das sei keine Petitesse, sondern | |
„die Überschreitung einer Linie, bei der wir in Deutschland stolz sind, | |
dass sie selten übertreten wird und deshalb muss Peter Tschentscher | |
zurücktreten.“ | |
7 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Cum-Ex-Steuerraub/!5831009 | |
[2] /Hamburger-Cum-Ex-Untersuchungsausschuss/!5826936 | |
[3] https://www.finanzwende.de/ | |
[4] /SPD-Kandidat-und-Cum-Ex-Skandal/!5798402 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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