| # taz.de -- Nach Sieg gegen Land Südtirol: Neuer Protest gegen Chemieäpfel | |
| > Nach dem gewonnenem Prozess gegen die Landesregierung Südtirols will | |
| > Pestizidprotestler Karl Bär neue Daten veröffentlichen. | |
| Bild: Weiter mit Chemie malträtiert: Südtiroler Äpfel | |
| Rom taz | Ein Prozess ist gewonnen, Apfelplantagen werden in Südtirol aber | |
| weiter mit massenhaft Chemie malträtiert. Deshalb will Karl Bär nach dem | |
| gewonnenen [1][Prozess gegen die Südtiroler Landesregierung] in Bozen jetzt | |
| erst richtig loslegen – und mit den in dem Prozess gewonnenen Informationen | |
| öffentlich Front gegen den aus seiner Sicht überzogenen Einsatz von | |
| Pestiziden machen. | |
| Bär, der mittlerweile für die Grünen im Bundestag sitzt, hatte im Jahr 2017 | |
| in München eine Aktion des [2][Umweltinstituts] verantwortet, für die er | |
| vor Gericht gezerrt wurde. Auf einem Großplakat wurde dort – in Abwandlung | |
| des üblichen Werbeschriftzugs – unter dem Motto „Südtirol sucht saubere | |
| Luft“ der dortige enorme Pestizideinsatz angeklagt. Daraufhin machten der | |
| für Landwirtschaft zuständige Landesrat Arnold Schuler von der Südtiroler | |
| Volkspartei, die Apfelgenossenschaften sowie insgesamt 1.376 | |
| Landwirt*innen mit einer Klage gegen Bär mobil, den sie der üblen | |
| Nachrede und der Markenrechtsverletzung beschuldigten. | |
| Bei einer Verurteilung hätten Bär bis zu drei Jahre Haft oder eine | |
| Geldstrafe gedroht; vor allem aber auch Schadensersatzklagen der | |
| Landwirt*innen in Millionenhöhe. Nicht zuletzt wäre die weitere | |
| Diskussion über den Pestizideinsatz auf den Südtiroler Feldern unterdrückt | |
| worden. | |
| Seit Jahren hält die Region in Italien einen Spitzenplatz beim Einsatz von | |
| Chemie: Pro Hektar werden jährlich an die 45 Kilogramm gespritzt, um Pilze, | |
| Bakterien und Unkraut zu bekämpfen. Der hohe Aufwand ist vor allem den | |
| Apfel- und Weinmonokulturen geschuldet. Südtirol rühmt sich mit dem größten | |
| zusammenhängenden Apfelanbaugebiet Europas. Äpfel sind der Exportschlager | |
| Nummer eins, Wert: knapp 700 Millionen Euro pro Jahr. | |
| ## Bäume in soldatischer Ordnung | |
| Diese Äpfel jedoch werden schon lange nicht mehr auf idyllischen | |
| Streuobstwiesen geerntet. Stattdessen prägen etwa im Etschtal über | |
| Kilometer hinweg monotone Apfelplantagen das Landschaftsbild. In | |
| soldatischer Ordnung sind die Pflanzen aufgereiht, am Platz gehalten von | |
| Betonpfosten, geschützt von Hagelnetzen – und zwischen den schnurgeraden | |
| Reihen ist jeweils genug Platz, damit die Traktoren hindurchfahren können, | |
| um ihre Pestizide zu versprühen. | |
| Das hat Folgen nicht nur für die schrumpfende Artenvielfalt bei Pflanzen | |
| und Tieren, sondern auch für die Menschen in Südtirol. So wird nicht nur in | |
| den Gewässerproben immer wieder die Pestizidbelastung nachgewiesen; | |
| Messungen ergaben zudem, dass stolze 45 Prozent der Kinderspielplätze in | |
| Südtirol mit Rückständen von chemischen Pflanzenschutzmitteln belastet | |
| sind. Doch statt gegen diesen Missstand, gehen die Landesregierung und die | |
| Obstgenossenschaften lieber gegen Kritiker*innen vor. | |
| Auf Granit biss zum Beispiel auch die kleine [3][Gemeinde Mals] im | |
| Vinschgau: Sie hatte ihr Territorium für pestizidfrei erklärt und hier die | |
| Ausbringung von Chemie auf den Feldern untersagt. Dafür sei sie gar nicht | |
| zuständig, argumentierte die Landesregierung. Noch aber ist der Fall beim | |
| Staatsrat in Rom – dem höchsten Verwaltungsgericht Italiens – anhängig. | |
| Ausgerechnet durch den mit dem Freispruch für Bär beendeten Prozess wurde | |
| aber eine Voraussetzung geschaffen, um dem Thema richtig auf den Grund zu | |
| gehen. Bärs Anwalt nämlich hatte die Beschlagnahmung der sogenannten | |
| Spritzhefte – der detaillierten Belege über den Pestizideinsatz – bei etwa | |
| 1.200 der Nebenkläger*innen erwirkt. Diese Nachweise werden jetzt im | |
| Umweltinstitut München ausgewertet. Sie versprechen Aufschluss über den | |
| realen Chemieeinsatz auf den Südtiroler Apfelplantagen. Sobald Resultate | |
| vorliegen, will das Umweltinstitut sie öffentlich machen – und die | |
| Diskussion weiter antreiben. | |
| Am Ende aber werden die Normen für den Chemieeinsatz in der Landwirtschaft | |
| weder in Bozen noch in Rom gemacht, sondern in Brüssel, von der EU. Darauf | |
| reagierte Bär zusammen mit Mitstreiter*innen und schob die Europäische | |
| Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ an. Bis Ende September 2021 | |
| gelang es, knapp 1,2 Millionen Unterschriften zu sammeln. Dadurch erwirkten | |
| sie ein Recht auf Anhörung im Europäischen Parlament sowie auf Auskunft | |
| seitens der EU-Kommission, was diese zum weiteren Einsatz von Pestiziden in | |
| Europa zu tun gedenkt. | |
| 10 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Einschuechterung-von-Umweltschuetzern/!5709829 | |
| [2] https://www.umweltinstitut.org/mitmach-aktionen/pestizidrebellen-vor-gerich… | |
| [3] /Gemeinde-muss-Pestizide-zulassen/!5632670 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Pestizide | |
| Äpfel | |
| Südtirol | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Pestizide | |
| Südtirol | |
| Landwirtschaft | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Der Wert von Streuobstwiesen: Wer holt die Äpfel runter? | |
| Eigentlich würde Bruno Reuer seine Streuobstwiese gern loswerden. Er findet | |
| nur keinen Käufer. Streuobstwiesen lohnen sich nicht. | |
| Pestizide auf Obst und Gemüse aus der EU: Gift auf Äpfeln, Birnen und Kiwis | |
| Obst und Gemüse in Europa ist zunehmend mit Rückständen | |
| gesundheitsgefährdender Pestizide belastet. Dabei verspricht die EU das | |
| Gegenteil. | |
| Einschüchterung von Umweltschützern: Südtirol hält an Klage fest | |
| Bauern und ein Landrat werfen dem Münchner Umweltinstitut weiter üble | |
| Nachrede vor. Das bleibt bei der Kritik am Pestizideinsatz im Obstbau. | |
| Südtirol klagt gegen Umweltschützer: Pestizidrebellen vor Gericht | |
| Eine Region in Norditalien zieht wegen „übler Nachrede“ gegen | |
| konventionellen Apfelanbau vor Gericht. Kritiker sollen offenbar mundtot | |
| gemacht werden. |