| # taz.de -- Petition der Woche: Wenn Wählen nicht zur Wahl steht | |
| > Das Wahlrecht ist in Deutschland an den Pass geknüpft. Ein | |
| > Demokratiedefizit, sagen einige und fordern Reformen. Dabei geht es auch | |
| > um Anerkennung. | |
| Bild: Nur wer ihn hat, darf wählen: Reisepass mit Bundesadler | |
| Nächstes Wochenende wird in ganz Nordrhein-Westfalen gewählt. Von ganz NRW? | |
| Nein, denn ein Teil der Bevölkerung wird sich gegen den Gang zur Urne | |
| entscheiden. Wählen zu können, nicht zu wählen, ist das Paradoxon einer | |
| Demokratie – und ein Privileg. Denn auf Landes- und auf Bundesebene dürfen | |
| nur die wählen, die einen deutschen Pass besitzen. Bei den Kommunalwahlen | |
| können aufgrund einer EU-Richtlinie zwar EU-Bürger:innen ihre Kreuzchen auf | |
| den Zetteln machen, aber nicht Angehörige von Drittstaaten. | |
| „In ganz Deutschland werden durch diese Beschränkung circa zehn Millionen | |
| Menschen von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen. Das sind 14 Prozent | |
| – mehr als die Bevölkerung Österreichs“, sagt Sanaz Azimipour im Gespräch | |
| mit der taz. Die 29-Jährige ist Sprecherin der [1][Initiative „Demokratie | |
| für alle“] und Miturheberin [2][der Petition „Nicht ohne uns 14 Prozent“… | |
| die eine Wahlrechtsreform zugunsten von Menschen ohne deutschen Pass | |
| fordert. | |
| Der Wunsch, das [3][Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft zu entkoppeln], | |
| hat durch die Wahlen in NRW wieder Aktualität erlangt – oder seine | |
| Aktualität nie verloren. „Es geht um Anerkennung und darum, gesehen zu | |
| werden“, sagt Azimipour. „Wer keinen deutschen Pass besitzt, dem wird das | |
| Recht auf politische Partizipation und Selbstbestimmung vorenthalten. Aber | |
| die Menschen sind eben auch von den Gesetzen direkt betroffen.“ Azimipour | |
| sieht hier ein Demokratiedefizit, das es zu korrigieren gilt. „Schließlich | |
| zahlen die Menschen auch Steuern.“ Wählen können sollten alle, die seit | |
| mindestens fünf Jahren in Deutschland leben. | |
| Im Bundestag hat sich jüngst eine [4][Kommission zur Reform des deutschen | |
| Wahlrechts] gebildet. Eine Ausweitung des Wahlrechts auf Menschen ohne | |
| deutschen Pass steht nicht auf der Agenda. Auf Nachfrage der taz verweist | |
| Joachim Stamp (FDP) als stellvertretender Ministerpräsident und | |
| Integrationsminister des Landes NRW auf die Einbürgerungsreform als | |
| Alternative. „Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass | |
| Voraufenthaltszeiten für Einbürgerungen verkürzt werden und die doppelte | |
| Staatsbürgerschaft ermöglicht wird“, sagt Stamp. Die Ausweitung des | |
| Wahlrechts werde „schwer bis unmöglich“, heißt es aus der | |
| SPD-Bundestagsfraktion auf Anfrage der taz. Dazu bedürfe es einer | |
| Grundgesetzänderung. | |
| ## Eine Frage der Definition | |
| „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es in Art. 20 (II) GG. Das | |
| „Volk“ definierte das Bundesverfassungsgericht 1990 als „Staatsvolk“, n… | |
| als Bevölkerung. Nach historischem Verständnis besteht das „Staatsvolk“ a… | |
| Menschen mit deutschem Pass. Das kommunale Wahlrecht, das damals in einigen | |
| Bundesländern Nichtstaatsangehörige mit einschloss, wurde so | |
| verfassungswidrig. Die 1995 eingeführte EU-Richtlinie machte die Teilnahme | |
| für EU-Bürgerinnen an Kommunalwahlen aber wieder möglich. | |
| Kann das Wahlrecht unter bestimmten Voraussetzungen für alle Menschen | |
| geöffnet werden? Nein, sagt Kai von Lewinski, Verfassungsrechtler an der | |
| Universität Passau. Aber wer zum deutschen Staatsvolk zählt, könne durch | |
| eine Änderung des Art. 116 GG angepasst werden. Dazu benötige man eine | |
| Zweidrittelmehrheit in Bundestag und -rat. Eine solche Änderung bewertet er | |
| als unwahrscheinlich. Das eine sei „die juristische Logik, das andere die | |
| politische“. | |
| 8 May 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://innn.it/demokratiefueralle | |
| [2] https://www.change.org/p/bundesregierung-nicht-ohne-uns-14-prozent-bundesta… | |
| [3] /Volksinitiative-Demokratie-fuer-alle/!5840882 | |
| [4] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw11-de-wahlrechtsreform… | |
| ## AUTOREN | |
| Frederike Grund | |
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