# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: „Politiker gehen mir auf den… | |
> In der Pariser Vorstadt Saint-Denis sind viele gar nicht zur Wahl | |
> gegangen. Jetzt ärgern sie sich über das erneute Duell Macron gegen Le | |
> Pen. | |
Bild: Macron: Nichts zu sozialen Brennpunkten bei einer Pressekonferenz aus der… | |
Saint-Denis taz | Hier finden alle einen Platz zum Sprayen. Am Kanal aus | |
Paris in die nördliche Vorstadt Saint-Denis, dort wo das große Stade de | |
France liegt, prangt ein Graffiti neben dem anderen an bröckeligen | |
Betonwänden. Der 28-jährige Aurélien sprayt mit seiner Freundin Manon am | |
Tag nach der ersten Runde der Präsidenschaftswahl den Schriftzug „Nique Le | |
Pen!“ weg, zu Deutsch: „Fick dich, Le Pen!“ | |
Aurelién hat nicht gewählt am Sonntag, seine Freundin auch nicht. „Die | |
Politiker gehen mir durch die Bank auf den Keks. Das Gemeinwohl, unser | |
Zusammenleben, das interessiert sie nicht, sondern erst mal nur ihre Egos, | |
das ist ihr Ding.“ Die Vorstädte, die banlieues, wo Millionen von Menschen | |
oft am Existenzminimum leben, „die kamen im Wahlkampf gar nicht vor als | |
Thema“. | |
Ein tatsächlich illustres Beispiel: Als Macron am 17. März sein | |
Wahlprogramm in einer über vierstündigen Pressekonferenz vorstellte, tat er | |
dies in Aubervilliers – just in der sozial schwierigen Gegend am | |
Graffiti-Kanal nahe Saint-Denis. Doch kein Wort über Orte wie diesen, keine | |
Ideen dazu, keine Empathie. | |
Vor ein paar Jahren hatte sich der Kunststudent Aurélien („Ich hangel mich | |
von Job zu Job“) noch für die ultralinke Partei von Jean-Luc Mélenchon „La | |
France Insoumise“ (LFI) stark gemacht: „Ich war wirklich politisiert“. | |
## Viele junge Nichtwähler für Mélenchon | |
Mélenchon hat auch diesmal, wie schon vor fünf Jahren, nur ganz knapp | |
hinter Marine Le Pen die Stichwahl gegen Amtsinhaber Macron verpasst. | |
Wahlforscher gehen davon aus, dass ihm wegen des relativ hohen Anteils von | |
Nichtwählern besonders unter den jungen Leuten die entscheidenden Stimmen | |
für Platz zwei fehlten. | |
Und jetzt? Aurélien kratzt sich, die Sprühdose in der linken Hand, am Kopf. | |
Im zweiten Wahlgang wird er „notgedrungen“ wählen. „In unserem | |
Hopp-oder-topp-Wahlsystem bleibt mir nichts anderes übrig, als für den | |
neoliberalen Macron zu stimmen, c'est la merde, scheiße ist das“, | |
analysiert er schließlich. | |
Denn eine Enthaltung zähle ja leider nicht. Oder doch für Le Pen stimmen? | |
„Niemals, das ist eine rechtsextreme, gefährliche Frau, deshalb spraye ich | |
ja ihren Namen weg, wo ich nur kann.“ | |
In Saint-Denis, wo über 100.000 Menschen leben, und auf der benachbarten | |
eigenständigen Inselgemeinde L’Île-Saint-Denis mit rund 8.000 | |
Einwohner:innen haben die meisten Wähler:innen Mélenchon gewählt, | |
auf der Insel sogar 62 Prozent – weit vor Macron mit rund 14 Prozent und Le | |
Pen mit 8 Prozent. | |
## Notgedrungen Macon wählen | |
Mayla, die bei einer Versicherung arbeitet, ist eine von ihnen. Die | |
38-Jährige mit algerischen Wurzeln, „aber 100 Prozent französisch“, wie s… | |
verschmitzt sagt, steht vor dem schmucken blumengesäumten Rathaus von | |
L’Île-Saint-Denis und kann es nicht fassen, dass es wie 2017 erneut zum | |
finalen Duell Macron – Le Pen am 24. April kommen soll. | |
„Hätte die Linke sich endlich zusammengerauft und einen gemeinsamen | |
Kandidaten aufgestellt, dann müssten wir nicht wieder fünf Jahre die | |
Ochsentour machen.“ Schon die rund zwei Prozent des kommunistischen | |
Kandidaten Roussel hätten Mélenchon zumindest in die Stichwahl gebracht. | |
„Aber Zugeständnisse oder gar Kompromisse werden bei uns nicht gemacht in | |
der Politik. Es ist ein Elend.“ | |
Auch Mayla wird also „zähneknirschend“ für Macron stimmen – und bei den | |
Parlamentswahlen im kommenden Juni wieder für Mélenchons LFI. Sie hofft | |
darauf, dass wenigstens im Parlament Macrons Mehrheit schrumpft: „Machen | |
wir es ihm schwer.“ | |
Gerade mal 17 Abgeordnete hat Mélenchons Partei derzeit in der 577-köpfigen | |
Nationalversammlung. Sehr wahrscheinlich bewirbt sich der 70-jährige | |
Fraktionsvorsitzende auch nicht mehr um ein Parlamentsmandat. Was passiert | |
dann bei LFI? „Es wird spannend“, prophezeit Mayla. „Gut, wenn jetzt | |
Jüngere drankommen.“ | |
11 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Harriet Wolff | |
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