| # taz.de -- Protest für Abtreibungsrechte in den USA: Ausgehöhlt und umgangen | |
| > In den USA könnte womöglich die Abtreibungsfreiheit fallen. Mehrere | |
| > Bundesstaaten halten dafür schon drakonische Gesetze bereit. | |
| Bild: Eine Frau demonstriert für die Beibehaltung des Rechts auf Abtreibung, W… | |
| New York taz | Merle Hoffman lässt den großen Kleiderbügel nach vorne auf | |
| die Demobühne bringen. Zwei Leute halten das Gestell an diesem | |
| Samstagnachmittag auf dem Union Square in New York, damit die Menschen ihn | |
| gut sehen können, die hier mit der Bewegung „Rise Up 4 Abortion Rights“ f�… | |
| das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch demonstrieren. „Ich will, dass | |
| sich das alle genau ansehen“, sagt die 76-Jährige. „Seht genau hin – denn | |
| Ihr seht eure Zukunft.“ | |
| Und die Vergangenheit: Hoffman hat 1971 eine der ersten Abtreibungskliniken | |
| der USA gegründet, das Choices Women’s Medical Center im New Yorker | |
| Stadtteil Queens, und zwar zwei Jahre, bevor der Supreme Court Abtreibungen | |
| auf nationaler Ebene legalisierte. | |
| Schon vor Jahrzehnten demonstrierte sie mit einem großen Kleiderbügel als | |
| Mahnmal für die drohenden Gefahren, wenn ungewollt Schwangeren der Zugang | |
| auf sichere Abtreibungen genommen wird. „Der Kleiderbügel ist eines der | |
| Dinge, die Frauen seit langer Zeit benutzt haben, um eine Abtreibung selbst | |
| herbeizuführen“, erklärt Hoffman nun. „Denn wie Ihr wisst: Nichts wird | |
| Frauen davon abhalten, ihre eigene Fruchtbarkeit zu kontrollieren.“ | |
| Ihre Warnung ist dringlich: Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten | |
| könnte bald das „Roe v. Wade“ genannte Grundsatzurteil von 1973 aufweichen | |
| oder gar kippen. Im Juni soll es zu einer Entscheidung kommen. | |
| ## Andere Mehrheitsverhältnisse am Supreme Court | |
| Nach dem Grundsatzurteil sind Abtreibungen so lange erlaubt, bis der Fötus | |
| außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre – etwa nach 22 bis 24 Wochen. | |
| Nun soll der Supreme Court aber ein Gesetz aus Mississippi prüfen, dass | |
| Abbrüche nach der 15. Woche verbietet. Der Staat im Süden der USA hat das | |
| Gericht ausdrücklich darum gebeten, „Roe v. Wade“ sowie ein Urteil aus | |
| 1992, das es bestätigte, zu kippen. | |
| Schon zuvor hatten konservative Bundesstaaten immer wieder versucht, vor | |
| dem Supreme Court Gehör zu finden – doch die Richter:innen hatten es | |
| stets abgelehnt, sich solche Fälle strengerer Abtreibungsgesetze anzuhören. | |
| Das änderte sich mit den Mehrheitsverhältnissen im Obersten Gericht: Der | |
| frühere US-Präsident Donald Trump hatte bereits vor seiner Wahl erklärt, im | |
| Fall der Fälle solche Richter:innen zu nominieren, die „Roe v. Wade“ | |
| kippen würden. | |
| Er hatte in seiner Amtszeit dreimal die Möglichkeit, sodass inzwischen | |
| sechs von neun Richter:innen als konservativ gelten – und | |
| Abtreibungsgegner:innen nun ihre Chance endlich gekommen sehen. | |
| ## In 26 Bundesstaaten droht ein Abtreibungsverbot | |
| Gleich mehrere republikanische Bundesstaaten schreiten nun schon mal mit | |
| teils drakonischen Gesetzen voran, da sie das Ende der Abtreibungsfreiheit | |
| erwarten. Die US-amerikanische Organisation Guttmacher Institute rechnet | |
| damit, dass [1][26 der US-Bundesstaaten höchstwahrscheinlich oder mit | |
| Sicherheit Schwangerschaftsabbrüche verbieten], sollte „Roe v. Wade“ | |
| demnächst fallen. | |
| In Oklahoma beispielsweise harrt für diesen Fall ein Gesetz der | |
| Unterschrift des Gouverneurs, das ein fast komplettes Verbot von | |
| Schwangerschaftsabbrüchen bedeuten würde. Eine Abtreibung durchzuführen, | |
| wäre demnach strafbar und würde mit bis zu zehn Jahren Haft und/oder | |
| Geldstrafe von bis zu 100.000 US-Dollar geahndet. Die einzige: Ausnahme: | |
| Wenn die Abtreibung dazu diene, [2][„das Leben einer schwangeren Frau in | |
| einem medizinischen Notfall zu retten“]. | |
| Das ist umso bitterer, da Oklahoma einer der Orte ist, in den Schwangere | |
| aus Texas zur Abtreibung fliehen, seit dort wiederum ein Weg gefunden | |
| wurde, „Roe v. Wade“ zu umgehen. In Texas gilt seit dem 1. September 2021 | |
| das sogenannte Herzschlag-Gesetz. Es verbietet Schwangerschaftsabbrüche ab | |
| dem Zeitpunkt, da ein Herzschlag beim Embryo feststellbar sei – etwa ab der | |
| sechsten Woche, heißt es. | |
| Expert:innen sagen aber, dass bis dahin noch kein Herz beim Embryo, | |
| sondern nur ein Zellcluster ausgebildet sei und sich das Pochen im | |
| Ultraschallgerät nur aus elektrischer Aktivität des Zellclusters ergebe. | |
| ## Privatpersonen als zivilrechtliche Kläger | |
| Der rechtliche Kalkül in Texas: Privatpersonen dürfen demnach die Personen | |
| zivilrechtlich verklagen, die an einer Abtreibung mitwirken – vom | |
| Taxifahrer auf dem Weg zur Klinik bis zur dortigen Ärztin. Der Staat sei | |
| nicht beteiligt, so die Rechnung, und das macht es schwieriger, das Gesetz | |
| anzufechten. | |
| Ein ähnliches Gesetz soll bald auch in Idaho in Kraft treten. Bisher prüft | |
| es jedoch noch das Oberste Gericht des Bundesstaats auf seine | |
| Rechtmäßigkeit. | |
| „Wir müssen unseren Mut erneuern“, ruft Merle Hoffman in New York nun ins | |
| Mikro und fordert dazu auf, für die Abtreibungsfreiheit zu kämpfen. Die | |
| Demonstrierenden klatschen, viele von ihnen tragen grüne Jacken, Ketten | |
| sowie Bandanas wie auch schon die argentinische Bewegung für | |
| Abtreibungsrechte. | |
| ## Festnahme in Texas | |
| Große Massen sind allerdings nicht gekommen zum Protest, der nach Angaben | |
| von „Rise up 4 Abortion Rights“ auch in Atlanta, Chicago, Austin, Boston | |
| und anderen Städten stattfinden sollte. | |
| Dabei scheint Hoffmans Kleiderbügel-Warnung realistisch: Wie die | |
| Nachrichtenagentur ap berichtete, ist am Donnerstag erst eine 26-Jährige im | |
| Süden Texas festgenommen und wegen Mordes angeklagt worden, die laut den | |
| örtlichen Behörden selbst eine Abtreibung vorgenommen hatte. | |
| [3][Mehr Details dazu, ob die Frau bei sich selbst oder jemand anderem den | |
| Abbruch herbeigeführt haben soll, wurden bisher nicht bekannt]. Nach | |
| Angaben des texanischen Abtreibungshilfsfonds [4][„Frontera Fund“] ist sie | |
| am Samstag gegen Kaution freigelassen worden. | |
| 10 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://states.guttmacher.org/ | |
| [2] http://webserver1.lsb.state.ok.us/cf_pdf/2021-22%20ENGR/SB/SB612%20ENGR.PDF | |
| [3] https://www.washingtonpost.com/national/woman-faces-texas-murder-charge-aft… | |
| [4] https://twitter.com/LaFronteraFund | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Oer | |
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