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# taz.de -- Schweden lässt sich provozieren: Ostertour mit Gewalt
> Den Koran öffentlich anzünden, dann auf wütende Proteste von Muslimen und
> das Eingreifen der Polizei warten: Ein dänischer Neonazi sorgt für
> Unruhen.
Bild: Demonstranten gegen die Koranverbrennung greifen in Örebro die Polizei an
Stockholm taz |/afp „Ich verstehe nicht, dass man das zulässt“, empörte
sich ein schwedischer Rentner in den Fernsehnachrichten: „Das ist doch
rassistisch und Volksverhetzung. Das gehört verboten.“ Schwedens Polizei
sah das anders: Der dänische Neonazi Rasmus Paludan durfte so von
Gründonnerstag bis Ostersonntag eine regelrechte Koran-Verbrennungstour
durch Südschweden unternehmen.
Eine Provokation, die Proteste auslöste und teilweise in heftigen Krawallen
gipfelte. Also genau die Resultate erzielte, die sich der Gründer der
Partei „Stram Kurs“ erhofft hatte: Da habt ihr den Beweis für die
Demokratiefeindlichkeit und Intoleranz von Muslimen.
„Jede Menge Korane werden verbrannt. Wir nehmen auch Schweineblut mit. Das
kippen wir drüber“, lautete die Ankündigung im Facebook-Account seiner 2017
gegründeten Partei.
In sechs verschiedenen schwedischen Städten hatte er sich als Kulisse für
seinen Auftritt Vororte mit hohem Ausländeranteil ausgesucht, damit er
sicher sein konnte, dass seine Aktionen auch wirklich die erhofften
Reaktionen auslösten.
## Neuauflage einer früheren Provokation
Das Ganze war die Neuauflage einer ähnlichen „Ostertour“, die der wegen
Volksverhetzung vorbestrafte 40-jährige Jurist vor den Parlamentswahlen in
Dänemark 2019 veranstaltet hatte. Der damalige dänische Justizminister
Søren Pape Poulsen hatte die seinerzeit als „Zirkus“ verurteilt, „der nur
dazu dient, Zwietracht zu säen und zu provozieren“.
Paludan hatte schon 2020 geplant, auch in Schweden den Koran zu verbrennen,
worauf Stockholm kurzerhand ein Einreiseverbot gegen ihn verhängte. Das
gilt nicht mehr, weil er zwischenzeitlich – er hat einen schwedischen Vater
– auch die schwedische Staatsbürgerschaft angenommen hat.
Die Zusammenfassung seiner politischen Botschaft trägt Paludan auf der
Baseballmütze spazieren, die er gerne bei seinen Auftritten trägt: „Die
sollen nicht integriert werden, die sollen nicht assimiliert werden, die
sollen raus.“
„Die“, das sind alle „nicht-westlichen Personen“, von denen er Dänemark
unabhängig von ihren Herkunftsländern „reinigen“ will. Der Grund: Es gebe
„genetische Unterschiede“ zwischen den Menschen unterschiedlicher Kulturen,
weshalb aus deren Zusammenleben nur Konflikte entstünden. In einem
Interview bekannte er, dass er mit seinen Aktionen „selbstverständlich“ das
Ziel verfolge „zu zeigen, dass Muslime gewaltsam sind“.
## Gehen die Krawalle nach hinten los?
Die vorläufige Bilanz der Paludan-Tournee: An den verschiedenen
Veranstaltungsorten hätten sich mindestens 200 Personen an allgemeinen
Krawallen beteiligt, in welche die ursprünglichen Proteste übergegangen
seien, so die schwedische Polizei. 26 Beamte sowie 14 andere Personen seien
verletzt worden, 20 Polizeifahrzeuge seien zerstört worden.
Am Samstag wurde eine ursprünglich in der Stadt Landskrona geplante
Kundgebung von Stram Kurs auf einen abgelegenen Parkplatz in der Großstadt
Malmö verlegt, um Ausschreitungen zu vermeiden. Dennoch kam es in
verschiedenen Stadtteilen Malmös zu Protesten, bei denen ein Bus, ein Auto
und Mülltonnen in Brand gesteckt und Polizisten mit Steinen beworfen
wurden. Am Sonntag gab es in Malmö erneut gewaltsame Proteste, bei denen
eine Schule in Brand geriet.
In Norrköping und der Nachbarstadt Linköping gingen am Sonntag rund 200
Demonstranten gegen Stram Kurs auf die Straße. Nach Polizeiangaben wurden
Steine auf Polizisten geworfen und Autos angezündet. Als die Polizei in
Norrköping Warnschüsse abfeuerte, wurden nach Polizeiangaben drei Menschen
von Querschlägern getroffen und verletzt. Die Polizei nahm in beiden
Städten insgesamt 26 Menschen fest. Paludan sagte seine für Sonntag
geplanten Versammlungen in Linköping und Norrköping letztlich ab.
Schwedens Polizeichef Anders Thornberg sagte am Montag, „Kriminelle“ hätten
die Situation ausgenutzt, um „unabhängig von den Demonstrationen“ zu
randalieren. Die Angriffe auf Polizisten könnten in einigen Fällen als
versuchter Mord eingestuft werden.
## Debatte um Polizeitaktik
Nicht zum ersten Mal sei die Polizei gezwungen gewesen, die Aktionen von
Extremisten gegen Proteste zu schützen, sagte Jonas Hysing, der nationale
Einsatzchef für die Paludan-Operation: Aber die teils brutale Gewalt gegen
Polizeibeamte, die das diesmal zur Folge gehabt habe, habe man bislang noch
nie erlebt.
Stefan Holgersson, Polizeiforscher an der Uni Linköping, schiebt das
zumindest teilweise auf die unzureichende Vorbereitung und eine falsche
Taktik der Polizei. Die habe zu wenig Ressourcen eingesetzt. Er fragt sich
außerdem, warum nach den ersten gewaltsamen Krawallen nicht einfach die
übrigen Versammlungen Paludans verboten wurden, wie das beispielsweise
Dänemark 2019 gemacht habe. Das schwedische Polizeigesetz kenne diese
Möglichkeit durchaus.
Zumindest an einem Ort scheiterte Paludans Provokationsrezept. In Jönköping
ging schon der Beginn dessen Rede im Geläut von Kirchenglocken unter. Nach
einem kurzen Protest mit Gebet verließen Protestierende wie Zusehende den
abgesperrten Veranstaltungsort, Paludan überließ man auf einem leeren
Marktplatz einfach sich selbst.
Die Polizeibeamten überwachten dann nur noch, dass er den von ihm
angekokelten Koran sowie herausgerissene Seiten ordentlich aufsammelte und
wieder mitnahm.
18 Apr 2022
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Schwerpunkt Neonazis
Koran
Schweden
antimuslimischer Rassismus
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