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# taz.de -- Shitstorm nach Nestlé-Übernahme: Guter und böser Kapitalismus
> Beim hippen Hamburger Gewürzunternehmen Ankerkraut übernimmt Nestlé die
> Mehrheit. Das gefällt der linksliberalen Kundschaft gar nicht.
Bild: Steht bald zwischen diesen Nestlé-Produkten: Ankerkraut
Hamburg taz | Letztens war ich mal wieder bei einer Freundin zu Besuch. Wir
hatten uns abends nach der Arbeit verabredet und weil wir beide Hunger
hatten, wollten wir uns noch fix etwas kochen. Schnell ein bisschen Gemüse
schnippeln – Kartoffeln, Brokkoli, Möhren, Zwiebeln und den Rest der im
Kühlschrank lagernden Süßkartoffel – und ab damit in den Ofen. Nur schmeckt
das natürlich alles ein bisschen fad, wenn's nicht ordentlich gewürzt ist.
Doch ein Glück: Wie in so vielen WGs und Pärchenwohnungen, die ich kenne,
war auch in ihrer Küche das Regal neben dem Herd mit diesen schicken
klein-dicklichen Gläsern mit dem markanten Korkdeckel bestückt. Die
Gewürzmischung „Omas Liebling“ stand da, neben dem „Bratkartoffel Gewür…
dem „Pizza Gewürz“ und noch weiteren. Die Gewürzmischungen von Hamburgs
hippstem Unternehmen „Ankerkraut“ mit seinem hanseatenkitschigen Logo war
längst auch hier angekommen. Beim Anblick verdrehte ich achselzuckend die
Augen.
Tja, und nun traue ich mich gar nicht bei der Freundin nachzufragen, ob
auch in ihrer WG Gewürzgläser wütend im Müll gelandet sind. Denn ich
befürchte, auch dort wird Verrat gewittert: Seit 2013 betreibt das Ehepaar
Anne und Stefan Lemcke das Gewürz-Start-up „Ankerkraut“ – mit rasanten
Wachstumszahlen.
Denn es wirbt mit hübschen Werten, die viele linksliberale Herzen höher
schlagen lassen. Entschleunigung, zum Beispiel. Oder: Verantwortung für die
Kund:innen, aber auch für die Umwelt. Etwas für „unseren schönen Planeten
und die Menschen“ will das Unternehmen mit Charity-Aktionen erreichen.
## Amazon ist böse, Nestlé sowieso
Und diese guten Menschen lassen sich nun mit dem Teufel ein?! Der
[1][weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé] hat die Mehrheit am
super-sympathischen Unternehmen aus Hamburg-Wilhelmsburg übernommen. Die
beiden GründerInnen bleiben als „Markenbotschafter“ an Bord, wie sie
bekannt gaben.
Doch das half nichts: Es dauerte nach der Bekanntgabe nur Minuten, ehe der
[2][digitale Shitstorm losbrach]. Das linksliberale Milieu auf Instagram
war außer sich. Es wurde zum Boykott aufgerufen. Die sagenhaften 5,49 Euro
pro 50-Gramm-Glas wollen viele nun anderweitig ausgeben. Denn: Manche
Unternehmen darf man feiern, andere dagegen sind eben das absolut Böse.
Amazon ist böse, natürlich. Nestlé ebenso. So einfach kann man sich beim
dritten Glas Wein die Welt machen.
Nun also scheint klar: Auch die Ankerkraut-GründerInnen sind plötzlich
gierig und geldgeil geworden. Drum ab in den Müll mit ihren Gewürzen! Ich
befürchte, darum kreisen gerade die Debatten am Küchentisch vieler
Millenials. Vergessen scheint dabei, dass das Unternehmen seinen Aufstieg
auch dem Auftritt bei der Grusel-TV-Show „Die Höhle der Löwen“ zu verdank…
hat.
Zugeben muss ich übrigens: Lecker war unser Ofengemüse seinerzeit – auch
dank „Omas Liebling“ gepaart mit dem „Backbord“ und „Spicy Pumpkin“…
[3][Schuss Maggi] hätte ich allerdings gern noch dazugegeben, gerade weil
es von Nestlé kommt.
14 Apr 2022
## LINKS
[1] /Nachhaltigkeit-bei-Schokokonzern/!5820381
[2] https://www.instagram.com/p/CcScreMNBqv/
[3] /Der-kulinarische-Jahresrueckblick/!5737484
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Hamburg
Konsum
Nestlé
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