# taz.de -- Konzertempfehlungen für Berlin: Erinnerungen tonal freisetzen | |
> Eine Reihe von Konzerten fordern diese Woche alle Sinne. Und in der | |
> Brotfabrik findet eine Ausstellung über das DDR-Jugendradio DT64 ihren | |
> Abschlss. | |
Bild: Nguyen + Transitory | |
Was wir doofen Menschen in unserer Hybris gerne vergessen: eigentlich | |
verdanken wir unsere Existenz einer Laune der Evolution. Es hätten auch die | |
Dinosaurier sein können, die sich zu einer intelligenten Spezie entwickeln | |
– wären sie nicht von einem Kometeneinschlag ausgelöscht worden. | |
Ausgehend von diesem Gedankenspiel, hat das so ideenstrotzende wie | |
improvisationsgeneigte Trio The Liz – Liz Allbee (Trompete), Liz Korhan | |
Erel (Elektronik) und Liz Kosack (Synthesizer) – überlegt, wie die Welt | |
heute aussehen könnte, wenn es anders gekommen wäre. „No Comet“ [1][heißt | |
die Produktion], die sie am Samstag vorstellen. | |
Ebenfalls zu Gast sind Nguyen + Transitory. Das Duo erforscht, inwiefern | |
durch mit der Klangerzeugung einhergehende Vibrationen gespeicherte | |
Erinnerungen freisetzen können. Zu erleben ist das in der Villa Elisabeth | |
(2. 4., 20 Uhr, 10 – 15 Euro, [2][Tickets gibt es hier]; weitere Infos: | |
[3][kontraklang.de]). | |
Ebenfalls ein Einbeziehen aller Sinne verspricht die „Synaesthetic Suite“, | |
zu der Witch 'n’ Monk laden; dahinter verbergen sich die Sängerin und | |
Gitarristin Heidi Heidelberg und der aus Kolumbien stammenden Flötist | |
Mauricio Velasierra. | |
Als wäre ihre ausgesprochen dichte Mischung aus Prog Rock, Jazz, Post-Punk | |
und düsterem Reggae nicht stimulierend genug, soll bei dem Konzert der noch | |
recht neuen Reihe Jazzexzess neben einer Lichtinstallation auch noch die | |
Aroma- und Parfümexpertin Klara Ravat den Sinnen auf die Sprünge helfen. | |
Ravat nennt sich „olfaktorische Künstlerin“ und tritt als Duft-DJ auf. Das | |
Ganze findet im ebenfalls neuen House of Music auf dem R.A.W. Gelände statt | |
(3. 4., 20 Uhr, [4][Tickets] 10,65 Euro, AK 15 Euro) | |
Am Wochenende bietet sich zudem die letzte Gelegenheit, bei der Ausstellung | |
„Power von der Eastside!“ in der Brotfabrik vorbeizuschauen. Die zeichnet | |
die Protestbewegung nach, die sich erstmals formierte, als die Frequenzen | |
des DDR-Jugendradios DT64 im Jahr 1990 unangekündigt an den RIAS übertragen | |
wurden – was so massive Proteste auslöste, dass man 24 Stunden später | |
zurückruderte. | |
Und die dann Ende 1991 zu erstaunlicher Form auflief, inklusive | |
Hungerstreik und Protestcamps (im Winter!). Seinerzeit sollte die Welle | |
abgeschaltet werden, weil es so im Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR | |
stand – obwohl sich DT64 seit Herbst 1989 zu einem höchst lebendigem Sender | |
entwickelt hatte, der entsprechend geliebt wurde. Auch auf Westseite der | |
ehemaligen Mauer bildeten sich Unterstützerinitiativen. | |
Letztlich durfte der Sender in Gestalt der MDR-Welle Sputnik weiterleben, | |
verlor aber im Zuge weiterer Reformen bald seine Seele. Einige | |
DT64-Sendungen leben allerdings bei Radio Eins weiter: Holger Luckas’ | |
„Freistil“ etwa oder auch die „Electrobeats“ von Olaf Zimmermann. | |
Am Samstag werden Luckas, Lutz Schramm, Marion Brasch, Ronald Galenza, | |
Jürgen Balitzki und andere aus der einstigen Musikredaktion zum | |
„anlytisch-anekdotischen Talk mit Tendenz zum DJ-Set“ zusammenkommen (19 | |
Uhr). | |
Die Finissage am Sonntag (16 Uhr) sucht dann im Gespräch mit | |
Radioaktivist*innen nachwachsender Generationen unter anderem nach | |
Antworten auf die Frage, wieviel DT64 in Piratensendern und Freien Radios | |
steckt (Ausstellung bis 3.4., 12-18 Uhr, bei Veranstaltungen länger, | |
Eintritt frei, [5][www.brotfabrik-berlin.de]). | |
Am Donnerstag dann stellt die multidisziplinär arbeitende Norwegerin Jenny | |
Hval – neben der Musik schreibt sie auch Romane – im Columbiatheater ihr | |
neues, vielleicht bestes Album „Classic Objects“ vor. Das ist auf eine | |
überraschend unanstrengende Art toll geraten: introspektiv, ohne zur | |
Nabelschau zu geraten. Intim auf eine Weise, die weite Räume eröffnet | |
(7.4., 20 Uhr, Tickets 20,90 Euro, [6][Tickets gibt es hier]). | |
1 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://lizkosack.wixsite.com/theliz | |
[2] http://www.ticketbu.de/produkte/283-tickets-the-liz-nguy-n-transitory-villa… | |
[3] https://kontraklang.de/concert/the-liz-nguyen-transitory/ | |
[4] https://www.eventbrite.de/e/witch-n-monk-synaesthetic-suite-tickets-2773264… | |
[5] http://www.brotfabrik-berlin.de/programm | |
[6] https://puschen.tickets.de/de/tour/1004566-jenny_hval | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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