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# taz.de -- Ausstellung im Kunstverein Ost in Berlin: Kollateralschaden Kultur?
> „Belarus Female Artists. Dialogue between Generations“ will den
> multiperspektivischen Blick. Nur fällt uns die Multiperspektive gerade
> wohl schwer
Bild: Nix Folkloreromatik: Die 92-jährige Vera Zenko erzählt auf Fotografien …
Der Krieg in der Ukraine macht sich auch in Berlin bemerkbar. Die Neigung,
in Kunst zu unterscheiden, die gerade angesagt ist, und solche, die
momentan „nicht geht“, trifft gegenwärtig sogar Positionen, die sich mit
Kunst aus Belarus beschäftigen. „Ausstellungsberichte, die eigentlich schon
vereinbart waren, werden abgesagt“, erzählt Maya Hristova, eine aus
Bulgarien stammende und in Berlin lebende Fotografin und Kuratorin.
Aktuell zeigt sie im KVOST – Kunstverein Ost die von ihr gemeinsam mit
Jewgeni Roppel kuratierte Ausstellung „Belarus Female Artists. Dialogue
between Generations“. Sie wurde anfangs von Berliner Medien sehr positiv
aufgenommen.
Zu Recht. Denn hier im Hinterland der Leipziger Straße, dort, wo
Berlin-Mitte noch immer am stärksten einer Provinzstadt des einstigen
Ostblocks gleicht, wirkt „Dialogue between Generations“ nicht nur auf
besondere Weise zu Hause. Die Ausstellung erlaubt auch einen
multiperspektivischen Blick hinter die Stereotypen des lange als die
„letzte Diktatur Europas“ apostrophierten Landes. Vor allem der Blick von
Frauen wird darin starkgemacht.
Von Frauen, die, wie es Kuratorin Hristova betont, nicht unbedingt den
Kriterien des westlich geprägten Feminismus entsprechen, die aber durch
Krieg und Nachkrieg und die gesamte sowjetische Phase daran gewöhnt waren,
Männerrollen in Ökonomie und Gesellschaft zu übernehmen, und sich deshalb
durch Kraft und Selbstbewusstsein auszeichnen.
Besonders wird dies bei den zu sehenden Aufnahmen der 92-jährigen Vera
Zenko deutlich. Für die Fotografin Tatsiana Tkachova holt sie ihre vielen,
oft mit bunten Blumenmotiven versehenen Kleider aus dem Schrank und lässt
sich darin porträtieren. Sie erzählt dabei von Episoden, die mit den
Kleidern verbunden sind, von Liebe, von ihrem mittlerweile verstorbenen
Mann.
Sie erzählt auch, wie sie Kleider selbst danach nähte und stickte, was sie
an Städterinnen sah und was ihr bei Fahrten in die Hauptstadt Minsk
auffiel. Zenko und ihre Fotografin brechen mit dem Klischee der abgehärmten
alten Frau aus dem Dorf, die sich scheu dem Objektiv der durchreisenden
Fotografinnen und Fotografen stellen, und dabei vor allem folkloristische
Accessoires um sich herum arrangieren.
Der Grundton der Ausstellung ist eher selbstbewusst. Protagonistinnen wie
Fotografinnen zeichnen sich durch zupackenden Pragmatismus aus. Und der
macht Menschen sichtbar – in einem Land, das nur zu gern mit seinem
Herrscher gleichgesetzt wird.
Bedrückenderweise geschieht diese Gleichsetzung auch jetzt wieder,
beobachtet Hristova. Waren erste Rezensionen zur Ausstellung noch sehr
positiv und von Entdeckungsfreude geprägt, so setzte mit dem Einmarsch
russischer Truppen in der Ukraine auch eine zunehmende Distanz von Berliner
Medien ein. „Die Journalisten sagen uns, es sei jetzt nicht die rechte Zeit
für das Thema“, lautet Hristovas Erfahrung.
Und natürlich ist sie, die über ihre Plattform zeitgenössischer
osteuropäischer Fotografie EEP Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus
Polen, Tschechien, der Ukraine, Russland, Belarus und Bulgarien verbreiten
will, darüber massiv enttäuscht. Denn Künstlerinnen und Künstler würden
damit auf eine Stufe mit dem Präsidenten und der Führunsgclique eines
Landes gestellt, aus dem sie oft selbst schon geflüchtet sind.
„Das ist so verrückt. Die meisten der Künstlerinnen sind gar nicht mehr in
Belarus. Unabhängigen Umfragen zufolge sind auch 90 Prozent aller
Belarussen gegen den Krieg. Aktivisten haben fast alle Bahnverbindungen
zwischen Belarus und der Ukraine zerstört, sodass der russische Nachschub
behindert wird. Und 300 Belarussen kämpfen auf der Seite der Ukraine.“
Hristova sieht vor allem im medialen Feld und auf der Ebene von großen
Kulturinstitutionen eine Symbolpolitik der Trennung. Wer einen russischen
oder belarussischen Pass hat, dessen Arbeiten werden nicht mehr gezeigt,
beobachtet sie. Die von ihr eingerichtete Ausstellung betrifft das nicht.
Sie läuft noch bis 16. April.
Im Netzwerk ihrer Plattform EEP kommunzierten die Künstlerinnen und
Künstler noch über Ländergrenzen hinweg, auch Russen, Ukrainer und
Belarussen, betont sie. „Wir kennen einander, kennen auch unsere
Standpunkte und Denkweisen.“ Gemeinsame Ausstellungen vor allem von
russischen und ukrainischen Künstler*innen, wie Hristova sie in der
Vergangenheit kuratierte, hält sie inzwischen für äußerst schwierig.
„Ich denke aber, wenn man eine künstlerische Position gut begründet, sodass
nachvollziehbar wird, warum man genau diese Künstler in diesem Projekt
zeigt, wird es auch wieder möglich sein, russische Künstler zu zeigen.
Kunst ist dazu da, Brücken zu bauen“, sagt sie. Wie schwierig dieser
Brückenbau sein wird, weiß Hristova aber auch.
10 Apr 2022
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Belarus
zeitgenössische Fotografie
Kunst Berlin
Schwerpunkt Flucht
Bildende Kunst
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