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# taz.de -- Berliner Alltag: Kinderlachen, Kinderweinen
> Die Kolumne spannt einen weiten Bogen. Vom Krieg in der Ukraine und
> Kriegsflüchtlingen bis zu den Supermüttern im Berliner Bezirk Prenzlauer
> Berg.
Bild: Für alle, die es nicht kennen: So sieht das Kino International in der Be…
Eins kann ich sagen. Buchpremiere ist nichts gegen Kindergeburtstag,
zumindest, was meine Aufregung angeht.
Ersteres war vorletzten Sonntag. Berlin-Mitte, [1][Kino International], das
Prestige-Objekt der DDR-Regierung. In diese Sessel hatte schon Erich
Honecker gepupst. Das Gebäude sieht von außen aus wie ein
überdimensionierter Röhrenfernseher. Wenn man von der gegenüber liegenden
Straßenseite der Karl-Marx-Allee aus guckt, möchte man hinlangen und
umschalten.
„Es ist ein Jammer, dass sie die Straße so verfallen lassen“, sagte meine
ehemalige Deutschlehrerin. Sie kommt zu jeder meiner Buchvorstellungen und
schickt mir hinterher Fehlerlisten. Ich verdanke ihr viel. Zu Schulzeiten
sagte sie immer: „Leas Aufsätze lese ich abends vorm Schlafengehen, weil
die so schön geschrieben sind. Dann les ich sie morgens nach dem Aufstehen
noch mal und stelle fest, dass nichts drinsteht. Drei minus.“
Sie hatte übrigens unrecht. Die Karl-Marx-Allee ist nicht verfallen. Sie
wirkt lediglich etwas verlassen, seit da keine Panzer mehr fahren. Die
rollen derweil durch die Ukraine. Bei meiner Freundin S. waren am Tag
vorher neue Geflüchtete angekommen. Großmutter, Mutter, Kind. Die Mutter
war am 24. Februar noch in Kiew bei der Maniküre gewesen. „Hat mir ihre
Fingernägel gezeigt. Der Lack war noch dran. [2][Und plötzlich ist Krieg.]“
Seitdem war sie nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. „Sie hat nur ihre
Tochter eingesammelt und ist zu ihrer Mutter gefahren. Sie dachten ja, es
wäre nur kurz.“ Das Kind hatte aufgehört zu sprechen. „Hat gestern das
erste Mal seit drei Wochen wieder gelacht.“
## Stopptanz ja, Topf schlagen nein
Mein Sohn lacht die ganze Zeit. Vier Jahre alt ist er geworden. Unser
erster richtiger Kindergeburtstag dank Pandemie. Hier mein Resümee:
Stopptanz, ja. Topf schlagen, nein. (Die Kinder haben Angst vorm Augen
verbinden und keine Orientierung.) Ansonsten: Lieber Marmor- als
Käsekuchen. Tisch decken lassen. Geschenkeauspacken zelebrieren und zum
Schluss Nudeln essen zum Runterkommen. Das Beste war sowieso die Baustelle
direkt vor dem Haus.
Was ich eigentlich erzählen wollte: Vor zwei Wochen habe ich anderthalb
Stunden lang vor ausverkauftem Saal über Mutterbilder gesprochen. (Die gute
Mutter ist schon bei den Brüdern Grimm ausschließlich tot denkbar. So
hingebend, anspruchslos, unsichtbar kann nicht mal eine Kunstfigur sein.)
Aber als die Sprache auf selbstgefällige Mütter in Prenzlauer Berg kam, die
auf der Straße keinem Platz machen und ihre Kinderwagen überall
hinschieben, gab es Szenenapplaus. Der Mütterhass steckt so tief drin in
unserer Gesellschaft, da können wir noch viele Bücher gegen anschreiben.
Vor allem unter Ostdeutschen scheint sich die Vorstellung des invasiven
westdeutschen Mutterkörpers durchgesetzt zu haben, der sich in „unser“
Habitat einschleicht und dort mittels unkontrollierter Fortpflanzung die
Wohngebiete besetzt und mit Muttermilch verunreinigt.
Nur nochmal kurz: Kinder sind das Armutsrisiko Nummer eins in Deutschland,
deshalb müssen wir lange arbeiten, um sie uns leisten zu können, und wenn
wir sie dann haben, sind wir alt und müde und alles andere geht uns am
Arsch vorbei. Das ist aber nicht die Schuld der Mütter! Da stimmt was nicht
in der Sozialgesetzgebung. Und nebenbei bemerkt. Wir sind heute so alt, wie
unsere Großeltern waren, als wir geboren wurden. Und die waren uns sowieso
immer die liebsten. Wenn sie sich nicht gerade in Wölfe verwandelt haben.
Verworrener Text? Call my Deutschlehrerin. Ich geh Käsekuchen essen.
8 Apr 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Kino_International
[2] /Der-Krieg-und-die-Kinder/!5836996
## AUTOREN
Lea Streisand
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