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# taz.de -- Der Hausbesuch: Der Tausendsassa aus Hannover
> Als Abayomi Bankole nach Hannover kommt, läuft für ihn nicht alles rund.
> Trotzdem ist die Stadt seine Heimat geworden – dank Willy Brandt.
Bild: „Wie lange brauchen Sie fürs Gespräch“, fragt Abayomi Bankole. Für…
Ist einer offen der Welt gegenüber, kann es sein, dass die Welt auf ihn
zukommt, so wie es bei Abayomi Bankole der Fall ist.
Draußen: Die List ist eine noble Wohngegend in Hannover mit
Gründerzeithäusern, Geschäften und Gaststätten. Hier wohnt Abayomi Bankole
und viele kennen ihn und grüßen.
Drinnen: In der geräumigen Altbauwohnung in der Voßstraße wohnt er seit 20
Jahren. An den Wänden unzählige Fotos von seiner großen Familie. Vieles
wirkt typisch deutsch, die Porzellanengel, die schwere schwarze
Ledercouch. Doch in einer Glasvitrine erinnern ihn Trommeln und
afrikanische Figuren an Nigeria.
Zeit: Bankole hat Tee und Pralinen auf den Tisch gestellt. Er blickt auf
die Uhr. „Wie lange brauchen Sie?“ Zeit ist für den 74-Jährigen knappes
Gut, morgen ist die nächste Vorstellung mit dem Laientheater, am Nachmittag
hält er noch einen Vortrag im Kulturzentrum. Und die Seniorenbeiratswahl
naht, seit elf Jahren ist er dabei, jetzt will er wiedergewählt werden.
„Wir vertreten die 135.000 Seniorinnen und Senioren in Hannover.“
Kindheit: Bankole wächst mit sieben Geschwistern in Lagos auf. „Eine sehr
behütete Kindheit“, sagt er. Sein Vater ist ein hohes Tier bei der
Eisenbahn; die Mutter ist noch viel mehr: „Sie war Krankenschwester,
Mutter, Lokalpolitikerin.“ Seine Stimme ist voller Liebe. „Und das quasi
allein erziehend, mein Vater war immer unterwegs.“
Familienstruktur: Ob der Vater gefehlt hat? Natürlich, aber so sei das in
Afrika. „Bei uns sind Väter vor allem fürs Finanzielle zuständig.“ Wer a…
glaube, dass afrikanische Frauen keine Macht hätten, liege falsch. „Sie
haben die Hosen an, geben den Männern aber das Gefühl, die Größten zu
sein.“ Der Familie geht es finanziell sehr gut, deshalb können die Kinder
aufs Internat.
Fliegen: Sein Vater will, dass auch er zur Eisenbahn geht. Unterwegs zum
Vorstellungsgespräch trifft er einen Schulkameraden. Als der ihm erzählt,
dass er bei der Luftwaffe vorsprechen will, kommt Bankole kurz entschlossen
mit. Er wird genommen, sein Freund nicht. Die Pilotenausbildung begeistert
ihn. Er ist dreieinhalb Jahre dabei, als im Land Unruhen ausbrechen.
Bankole spricht von ethnischen Säuberungen. „Kameraden von mir wurden ohne
Grund vom Militär erschossen; ich wollte nicht der Nächste sein.“ Er
beschließt, das Land zu verlassen. Er will nach Amerika, aber ein Freund
warnt: `Mit deinem Dickkopf wirst du in den USA nicht lange leben.“ Er
empfiehlt Deutschland, dort sei Rassismus gegen Schwarze nicht so
ausgeprägt.
Ein neues Leben: Als Deserteur muss er klammheimlich verschwinden, kann
kein Visum beantragen. Ohne kommt er von Lagos nach London, wo er bei einem
seiner Brüder unterkommt. „Weil ich bei der Luftwaffe gebraucht wurde,
solle ich Amnestie bekommen, übermittelte mir ein Freund. Das habe ich
nicht geglaubt.“ Er verlässt die Stadt Hals über Kopf.
Deutschland: Am 15. Januar 1972 landet er in Hamburg. In London habe er
zwar versucht, Deutsch zu lernen, doch es sei ihm schwergefallen. „Unser
Deutschlehrer hat immer gesagt ‚Jawoll‘. Das hat mich an die Kriegsfilme
erinnert, die wir in Nigeria gesehen hatten.“ Dass Abayome Bankole nach
Deutschland geht, ist für den Vater eine Enttäuschung. „Er hat Deutsche
verachtet, für ihn waren das Krieger.“
Hannover: Ein Cousin lädt ihn zu sich nach Hannover ein. Dort hausen die
beiden in einer Einzimmerwohnung, die Toilette ist im Treppenhaus. Er
wartet auf Rückmeldung von der Lufthansa, wo er seine Pilotenausbildung
fortsetzen will, sonst hat er wenig zu tun.
Willy Brandt: „Ich habe den ganzen Tag Fernsehen geguckt,
Bundestagsdebatten, obwohl ich kein Wort verstand.“ Willy Brandt gefällt
ihm, auch weil er langsam spricht. Er gewöhnt sich an, ihm alles
nachzuplappern. Das wird sein Glück: Als er seinen Cousin, einen
technischen Zeichner, von der Arbeit abholt, ist dessen Chef begeistert.
„Weil ich nach drei Wochen schon etwas Deutsch konnte.“ Der Chef beginnt,
ihn zu protegieren; damals sei ein Engel in sein Leben getreten.
(Sozialdemokrat wird er später auch.)
Planänderung: Er könne seine Pilotenausbildung fortsetzen, wenn er sie
selbst finanziert, schreibt die Lufthansa. Die 150.000 Mark hat er nicht.
„Da ist für mich ein Traum zerplatzt.“ Nachdem er die Frist für ein
Elektrotechnikstudium verpasst, macht sich sein Freund mit ihm auf die
Suche nach einer Lehrstelle als Mechaniker. Weil: Keine Arbeit = keine
Aufenthaltsgenehmigung.
Die Stelle: „Irgendwann blieb ich dann im Auto sitzen.“ Nur sein Freund
ging zu den Chefs und fragte nach einer Lehrstelle. Eines Tages kommt sein
Freund aus einer Werkstatt und ruft: „Junge, du hast die Stelle.“ Als sein
zukünftiger Chef ihn sieht, schluckt er. „Sie hatten uns nicht gesagt, dass
er schwarz ist.“ Das sei doch kein Problem, interveniert seine Frau. „Aber
wir wollen das Okay der Belegschaft.“ Es klappt. „Ich wurde der Liebling
des Unternehmens.“ Ein Kollege schenkt ihm einen Fiat 600, ein anderer den
Wellensittich Marvin.
Taxi Taxi: Wegen einer Verletzung muss er die Ausbildung abbrechen. Er
hatte einen Unfall mit dem Auto; beim Versuch, den Kotflügel mit der Hand
rauszuziehen, schneidet er sich in sechs Finger. Dabei wird eine Sehne
durchtrennt. „Vielleicht war es Schicksal.“ Er beginnt doch noch mal die
Pilotenausbildung. Um sie zu finanzieren, macht er den Taxischein. „Ich war
der erste afrikanischstämmigeTaxifahrer der Stadt.“
Fast berühmt: Während der Fahrten singt er viel. Eine junge Frau findet
seine Stimme toll – und erzählt ihm von einer Band. Er besteht das
Vorsingen und könnte das erste männliche Mitglied von Boney M. werden. Der
Produzent legt ihm einen Blanko-Vertrag vor, einer der Gründe, warum er
sich dagegen entscheidet. Der andere: Es ist 1975, er hat gerade
geheiratet, will nicht die ganze Zeit unterwegs sein. Bereut er die
Entscheidung? „Nein, die anderen sind auch keine Millionäre geworden. Und
schlecht behandelt wurden sie dazu.“
Angekommen: Im Taxi kommt er viel mit Kund*innen ins Gespräch. Eine ist
Finanzberaterin; sie nimmt ihn mit zu ihrem Job. Es dauert nicht lange, bis
er, wie er sagt, in einem „typisch deutschen“ Geschäftsfeld Fuß fasst.
Bankole wird erfolgreicher Versicherungsmakler. 90 Prozent seiner Kunden
seien Deutsche, darauf ist er stolz. „Manche Kunden kommen seit 30 Jahren.“
Den Traum, Pilot zu werden, gibt er erst mal auf. „Da muss man dann auch
die Kirche im Dorf lassen.“ Deutsche Redewendungen verwendet er gerne. Und
was passiert noch in der Zeit? Seine Ehe wird geschieden, der Sohn wohnt
heute in der Nähe. „Ich lebe gerne alleine. Das passt so.“
Glaube: Glaube ist Hoffnung, sagt er. Er ist Protestant, Mitglied der
Lukasgemeinde um die Ecke. „Momentan gehe ich aber in die Afrikanische
Gemeinde, da ist mehr los.“ In Nigeria seien Kirchenfeste ein
gesellschaftliches Ereignis. „Alle singen und tanzen und wenn 400 Leute in
der Kirche sind, stehen noch 1.000 draußen und feiern mit.“
Engagement: 2007 gründet er den „Afrikanischen Dachverband
Norddeutschland“. Zuvor war er Zeuge, wie eine Polizist einen Afrikaner auf
dem Fahrrad anhält und eine Quittung für das Fahrrad verlangt. Im selben
Jahr initiiert er „Kicken gegen Vorurteile“, ein Turnier mit Polizisten,
Afrikanern und Interessierten. Zudem ruft er ein interkulturelles
Weihnachtsfest ins Leben, gründet eine Nachhilfeorganisation und ist
Vorstandsvorsitzer des Zentralrats der Afrikanischen Gemeinden in
Deutschland. 2018 bekommt er das Bundesverdienstkreuz für sein Engagement.
Zu Hause: Seine Geschwister sind alle nach Nigeria zurückgekehrt, deren
Kinder und Enkel leben in der Welt verstreut. Durch Besuche und Telefonate
bleibt der Kontakt eng. Auch wenn er sich manchmal nach Nigeria sehnt,
heute ist ihm Hannover die Heimat.
3 Apr 2022
## AUTOREN
Lea Schulze
## TAGS
Der Hausbesuch
Hannover
Willy Brandt
Schwerpunkt Rassismus
Afrika
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